Global Workforce Study 2007: Martin Emmerich, Principal Towers Perrin

von Patrick Gunti


Herr Emmerich, die Global Workforce Study 2007 von Towers Perrin trennt zwischen Mythos und Realität. Ein Mythos ist demnach, dass das Engagement der Mitarbeiter in erster Linie durch den direkten Vorgesetzten beeinflusst wird. Wie sieht die Realität aus?

In der Tat zeichnet unsere Studie ein differenzierteres Bild. Entscheidend für die Motivation von Mitarbeitern am Arbeitsplatz ist nicht allein der Einfluss der direkten Vorgesetzten, auch das Unternehmen als solches spielt eine wichtige Rolle. Faktoren wie klare Visionen für langfristigen Erfolg und eine grundsätzlich rasche Reaktion in Kundenangelegenheiten sind von herausgehobener Bedeutung, ebenso die Offenheit der Unternehmensleitung für neue Ideen. Methodischer Hintergrund dieser Ergebnisse ist, dass wir uns mit unserer Studie nicht auf die Rolle des Vorgesetzten konzentriert, sondern das Spektrum der möglichen Treiber von Mitarbeitermotivation wesentlich breiter ausgeleuchtet haben.


Was bedeutet das für die Unternehmen?

Unternehmen dürfen auf keinen Fall den Fehler machen, die Rolle des direkten Vorgesetzten zu unterschätzen. Soll das Mitarbeiterengagement erhöht werden, sind aber auch wesentliche andere Faktoren wie die Flexibilisierung der Arbeitsverhältnisse, die Verbesserung der Karrieremöglichkeiten oder das Verhalten der Unternehmensleitung zu addressieren. Gerade die Rolle des Top-Managements wird von Mitarbeitern offensichtlich wesentlich stärker als motivierender Faktor gesehen als bislang angenommen.


Wie kann die Unternehmensleitung ihr Interesse denn konkret unter Beweis stellen, wenn doch häufig die Führungskräfte zwei Ebenen darunter nicht mehr namentlich bekannt sind?

Gerade in grossen Unternehmen kann tatsächlich nicht mehr jeder mit Handschlag begrüsst und verabschiedet werden, aber das ist in der Regel auch nicht die Erwartung. Mitarbeiter schätzen es vielmehr, wenn Strategien klar vorgegeben und Unternehmenswerte wie Offenheit, Fairness oder Kundenorientierung konsequent gelebt werden. Die Global Workforce Study zeigt, dass das Management mit Visionen und Strategien die Köpfe der Mitarbeiter bereits erreicht. Damit aber die Werte gelebt werden, ist es notwendig, auch das Herz der Mitarbeiter zu erreichen. Dazu muss das Top-Management Werte nicht nur kommunizieren, sondern auch selbst als Vorbild in diesem Sinne agieren. Der Lohn dafür ist ein wirtschaftlich erfolgreicheres Unternehmen.


«Mitarbeiter schätzen es vielmehr, wenn Strategien klar vorgegeben und Unternehmenswerte wie Offenheit, Fairness oder Kundenorientierung konsequent gelebt werden.» (Martin Emmerich, Principal Towers Perrin)


Was verstehen Sie unter Motivation? Gute Stimmung im Betrieb ist sicher nett, aber warum ist eine motivierte Mitarbeiterschaft eigentlich so wichtig?

Wir verstehen unter Engagement bzw. Motivation die individuelle Bereitschaft, zum Erfolg des Unternehmens beizutragen und dafür zusätzliche Anstrengungen auf sich zu nehmen. Mitarbeitermotivation ist dabei weder Selbstzweck noch ein «nice-to-have»-Feature, denn engagierte Mitarbeiter haben einen signifikanten Einfluss auf den Unternehmenserfolg. Dieser Zusammenhang wird durch unsere ergänzenden Analysen anschaulich unterstrichen. So haben wir beispielsweise über drei Jahre hinweg den Einfluss des Mitarbeiterengagements auf die Unternehmensleistung in international agierenden Firmen untersucht. Die Ergebnisse zeigen, dass Betriebe mit hoch engagierter Arbeitnehmerschaft ihre Umsatzrendite um fast vier Prozent steigern konnten, während sie in Unternehmen mit wenig engagierten Mitarbeitenden um zwei Prozent gefallen ist.


Mit welchen Gegenleistungen rechnen Schweizer Arbeitnehmer für ihr Engagement?

Mitarbeitende in der Schweiz sind bereit, sich im Sinne der Unternehmensziele einzubringen, vor allem dann, wenn ein «Return on Investment» zum Beispiel hinsichtlich der individuellen Karriere- und Entwicklungsmöglichkeiten zu erwarten ist. Die Vergütung spielt dabei eine untergeordnete Rolle. Sie ist eher wichtig bei der Mitarbeitergewinnung, denn ob Mitarbeiter sich für ein Unternehmen entscheiden, hängt nicht unwesentlich von wettbewerbsfähigem Lohn und Bonus ab.


Die Studie räumt auch mit dem Mythos auf, dass nur die jüngeren Mitarbeiter wirklich motiviert sind. Die Annahme, dass die Begeisterung für den Beruf mit der Zeit nachlässt, stimmt demnach nicht?

Ältere Mitarbeitende erweisen sich generell ähnlich engagiert als jüngere und sind speziell in der Schweiz im Gegensatz zu anderen Ländern sogar noch motivierter als die Jüngeren. Dies ist eine sehr gute Nachricht für die Unternehmen – gerade in Zeiten, in denen der Anteil der älteren Mitarbeiter an der Gesamtbelegschaft aufgrund der demografischen Entwicklungen zunimmt. Die Unternehmen müssen dieses Motivations-Potenzial nun halten und sich von existierenden Denkmustern, wie zum Beispiel dem «Alten Eisen», lösen.


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Sie stellen in der Studie fest, dass die Treiber für die Mitarbeitermotivation über Länder und Regionen hinweg variieren, es also kein weltweites Patentrezept für Mitarbeiterengagement gibt. Erwarten Sie in diesem Bereich durch Personenfreizügigkeit und Globalisierung Veränderungen?



Zu den wichtigsten Schlussfolgerungen der Studie zählt, dass Unternehmen ihre Massnahmen im Personalmanagement stärker segmentieren und differenzen müssen. Sie sollten analysieren, welche spezifischen Bedürfnisse ihre verschiedenen Mitarbeitergruppen in unterschiedlichen Bereichen und Ländern in puncto Motivation haben und darauf aufbauend massgeschneiderte Personalprogramme entwickeln. Alle über einen Kamm zu scheren, sprich alle mit den gleichen HR-Management-Massnahmen zu beglücken, ist schon heute nicht mehr machbar, wird sich aber vor dem Hintergrund einer zunehmenden Mobilität von Mitarbeitern und Unternehmen zukünftig noch sehr viel mehr als untauglich erweisen.

Die Studie unterscheidet zwischen hoch, moderat, teilweise nicht und nicht engagierten Mitarbeitern. Weltweit bilden die moderat engagiert Mitarbeiter die grösste Gruppe. Wie definieren Sie moderat engagiert?

Vielleicht machen die folgenden Bezeichnungen hinsichtlich der unterschiedlichen Motivations-Ausprägungen die Antwort etwas verständlicher. Wir haben die Gruppe der moderat Engagierten auch «Mitmacher» genannt. Ihre Mitglieder definieren wir als Mitarbeitende, die sehr wohl die Unternehmensziele verstanden haben, generell bereit sind, sich zu engagieren, aber doch nicht wie die hoch engagierten «Mitreisser» willens sind, an ihrem Arbeitsplatz die berühmte Extra-Meile zu gehen.


Welche Chancen und Risiken bedeutet die hohe Anzahl moderat engagierter Mitarbeiter für die Unternehmen?

Die «Mitmacher» sind eine Mitarbeitergruppe, die aufgrund ihrer Nähe zu den hoch motivierten Mitarbeitern nicht vernachlässigt werden darf. Es ist möglich, sie mit überschaubarem Aufwand stärker zu motivieren. «Mitmacher» können aber auch leicht in die Gruppe der nicht engagierten «Zaungäste» fallen oder sich ganz vom Unternehmen abwenden. Unsere Studie belegt den Zusammenhang zwischen der Höhe des Mitarbeiterengagements und der Bereitschaft den Arbeitgeber zu verlassen. Dies ist besonders wichtig vor dem Hintergrund der demografischen Entwicklung und dem sich abzeichnenden Mangel an Fachkräften.


Mit 23 % hoch und 50 % moderat motivierten Mitarbeitern liegt die Schweiz deutlich über dem weltweiten Durchschnitt, in Europa sogar auf Rang 1. Was zeichnet Schweizer Arbeitgeber gegenüber ausländischen aus?

Das Engagement wird – wie schon erwähnt – erheblich von der Unternehmensleitung beeinflusst. Gerade in diesem Punkt scheinen Schweizer Unternehmen zu punkten – die Unternehmensleitung wird in verschiedenen Aspekten recht gut und besser als in anderen europäischen Ländern beurteilt. Lassen Sie mich an dieser Stelle aber anmerken, dass das Antwortverhalten kulturbedingt sehr unterschiedlich ist. Die Schweiz mit anderen westeuropäischen Staaten zu vergleichen ist durchaus noch legitim, aber ein Vergleich über diese Kulturgrenze hinaus ist nicht zielführend und führt zu falschen Rückschlüssen.


«Erfreulicherweise können sich Unternehmen in der Schweiz auf recht loyale Arbeitskräfte stützen.» (Martin Emmerich)


Welche Bedeutung haben die restlichen 27 %, teilweise nicht oder gar nicht engagierten Mitarbeiter?

Ein Unternehmen muss sich entscheiden: Wo besteht die grösste Chance, das Mitarbeiterengagement zu vergrössern? Am sinnvollsten scheint es, gezielt die «Mitmacher» und «Zaungäste» zu adressieren und zu fördern. Investitionen in die Gruppe der gar nicht Motivierten mit ihrer «Bin schon weg»-Attitüde dürften sich indes nicht rechnen.


Wie sieht es mit der Loyalität der Arbeitnehmer gegenüber den Unternehmen aus?

Erfreulicherweise können sich Unternehmen in der Schweiz auf recht loyale Arbeitskräfte stützen. Trotz der belebten Konjunktur besteht bei 39 Prozent der Mitarbeiter aktuell keine Wechselbereitschaft. Dieser Wert liegt deutlich über dem europäischen Durchschnitt von 32 Prozent. Auf den ersten Blick mag dieses Bild beruhigend wirken. Es ist aber für die Unternehmen kein Grund sich zurückzulehnen. Denn zugleich erweisen sich in der Schweiz 58 Prozent der Mitarbeiter als wechselwillig, da sie entweder aktiv auf der Suche nach einer neuen Stelle sind oder immerhin ein anderes Angebot in Erwägung ziehen würden.


Welche Schlussfolgerungen für die Unternehmen ergeben sich aus den Resultaten der Studie?

Unternehmen sollten die Mitarbeitermotivation ernst nehmen, denn ihre Umsetzung ist entscheidend für die Erreichung der Unternehmensziele. Zudem sollten Unternehmen ihre Personal-Management-Programme stärker segmentieren und an den spezifischen Bedürfnissen der unterschiedlichen Mitarbeitergruppen ausrichten.


Herr Emmerich, besten Dank für die Beantwortung unserer Fragen!





Hintergrundinformationen zur Studie
Die Towers Perrin Global Workforce Study 2007 ist die derzeit grösste gleichzeitig erfolgende Analyse von Mitarbeiterpräferenzen weltweit. Zu den wesentlichen Aspekten des beruflichen Umfelds sowie der individuellen Einstellung zur Arbeit wurden mehr als 86’000 Arbeitnehmer in 18 Industrienationen befragt, davon in der Schweiz über 1000. Zentrales Anliegen der Untersuchung ist es, die wichtigen Faktoren für das Mitarbeiterengagement, die Mitarbeiterbindung sowie die Attraktivität von Unternehmen zu erfassen und zu analysieren. Unternehmen erhalten anhand der Studienergebnisse konkrete Hinweise, wie sie ihre Mitarbeiter stimulieren können, noch besser und stärker zum Unternehmenserfolg beizutragen.


Zur Person:
Martin Emmerich ist Principal bei Towers Perrin. Er leitet das Beratungsgeschäft von Towers Perrin HR Services in der Schweiz.


Zu Towers Perrin:
Towers Perrin zählt zu den weltweit führenden Management-Beratungen. Die Beratungsgesellschaft unterstützt Unternehmen, ihre Mitarbeiter so einzusetzen und zu führen, dass sie die Unternehmensperformance nachhaltig steigern. Das Unternehmen bietet innovative Lösungen in den Beratungsbereichen HR Services (Human Resource Management Consulting), Tillinghast (Managementberatung für Finanzdienstleister) sowie Reinsurance. Die Geschäftsbereiche sind mit mehr als 5000 Mitarbeitern in 26 Ländern weltweit präsent.

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