Moneycab: Herr Wangler, in den Schweizer Detailhandel kommt in den nächsten Jahren Bewegung. Die deutschen Discounter Aldi und Lidl drängen auf den Schweizer Markt. Wie gut stehen die Chancen, dass dieses Unternehmen für die beiden Discount-Riesen erfolgreich verläuft?
Gotthard F. Wangler: Sowohl Aldi als auch Lidl haben grosse Erfahrung in der Auslandexpansion. Aber die Schweiz bildet auch im Lebensmitteleinzelhandel einen Sonderfall; ja nicht nur die Schweiz sondern jeder Kanton und wenn Sie so wollen jede Gemeinde. Es kommt hinzu, dass sich in der Schweiz über Jahrzehnte mit Migros und Coop eine marktdominante Supermarkt-Kultur entwickelt hat; in einzelnen Warengruppen verzeichnen diese Marktanteile von über 70 Prozent. Gerade wegen dieser Dominanz von zwei Anbietern sehe ich für Aldi und Lidl gute Chancen für eine erfolgreiche Expansion in die Schweiz.
Welches sind die grössten Stolpersteine für Aldi und Lidl, um auf dem Schweizer Markt erfolgreich zu sein?
Es gibt zahlreiche Stolpersteine. So u.a. die enorme Reglementierungsdichte in den Bereichen Baubewilligungen, Beschaffung (für Agrarprodukte) und lebensmittelrechtlichen Bestimmungen. Diese «Stolpersteine» sind aber keine Verhinderungspunkte. Wohl aber haben diese Faktoren Einfluss auf den Expansionsrhythmus resp. auf die Expansionszeitachse.
Aldi gibt?s von Deutschland über Spanien bis nach Australien, auch Lidl ist weltweit erfolgreich tätig. Warum ist der relativ kleine Schweizer Markt für die beiden Riesen in Anbetracht der harten und schon fast monoplistischen Konkurrenz von Coop und Migros überhaupt von Interesse?
Weil in der Schweiz einerseits ein eigentlicher Hart-Discounter nicht vorhanden ist und anderseits weil auch in der kaufkraftstarken Schweiz der Preis immer mehr eine bedeutendere Rolle spielt. Gerade in der Schweiz lässt sich mit im Vergleich zu Deutschland höheren Discount-Verkaufspreisen gute Profite erwirtschaften.
Wieso erfolgt die Expansion in die Schweiz gerade jetzt?
Einer der Gründe ist sicherlich, dass beide Discounter im Heimmarkt Deutschland die Sättigungsgrenze erreicht haben und dort der Einzelhandel sich bereits im Bereich des ruinösen Wettbewerbs befindet.
Mit dem Markteintritt der deutschen Discounter verschärft sich der Preiskampf. Laut Studien sind bei uns Lebensmittel zum Teil über 50 % teurer als im EU-Raum. Wie schnell wird der Schweizer Konsument etwas von allgemeinen Preissenkungen merken?
Bereits die Ankündigung, dass Aldi und Lidl in die Schweiz expandieren werden, hat für schweizerische Verhältnisse zu zum Teil «dramatischen» Reaktionen geführt, das heisst zu erheblichen Preissenkungen. Also schon mit der Ankündigung hat der Schweizer Konsument profitiert.
Aldi und Lidl werden in der Schweiz nicht zu gleich tiefen Preisen anbieten können, wie in Deutschland. Die Grundstückpreise sind höher, die Löhne auch, ausserdem werden Zölle erhoben. Wie viel billiger als die Konkurrenz werden die Discounter letztlich sein?
Ein erfolgreicher Hart-Discounter profiliert und differenziert sich am Markt durch die klare Preisführerschaft und zwar über das gesamte Sortiment. Das bedeutet, dass Aldi und Lidl ca. 15 Prozent billiger sein müssen.
Nun basieren die tiefen Preise bei Aldi ja nicht zuletzt auf einer minimalen Ausstattung und einem schmalen Angebot von etwa 700 Produkten. Die Produkte bleiben in den Verpackungskartons, diese werden in den Läden gestapelt. Mit diesem System hat schon Denner vor Jahren Schiffbruch erlitten, wieso soll das bei Aldi funktionieren?
Die Aldi-Eigenmarken haben wie die Migros-Eigenmarken Marken-Status und Lidl bietet vorwiegend Markenartikel an! – Sowohl Aldi als auch Lidl haben bereits langjährige Erfahrungen mit Schweizer Konsumenten: In den grenz-nahen Gebieten tätigen Schweizer Konsumenten seit Jahren den «Wocheneinkauf». Berechnungen gehen davon aus, dass somit über eine Milliarde Schweizerfranken dem schweizerischen Lebensmitteleinzelhandel entgehen.
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Wie sieht es mit dem Argument aus, dass in der Schweiz die «Geiz ist geil»-Kultur fehlt, die in Deutschland auch den Mercedes-Fahrer und die Frau im Pelzmantel zum Discounter führt?
Es ist gut, dass in der Schweiz die «Geiz ist geil»-Kultur fehlt! – Aber der Schweizer Konsument ist bereits heute ein «Smart-Shopper». Somit können Sie bereits heute einen Mercedes-Fahrer und die Frau im Pelzmantel im Denner antreffen! Bei Geiz spielt der Preis einziges Kriterium, der Smart-Shopper differenziert: Bei ihm muss das Preis-Leistungsverhältnis stimmen (Also z.B. Erreichbarkeit, Freundlichkeit, Preis, Qualität usw.)
Die Schweizer Detaillisten stehen also unter Zugzwang. Wie werden Coop, Migros, Denner etc. den Preiskampf bestreiten? Wie sind sie darauf vorbereitet?
Migros baut laufend die Tiefpreisschiene «M-Budget» aus, Coop senkt punktuell die Preise. Ebenfalls Preissenkungen hat Denner vorgenommen. Generell: Alle Lebensmittelanbieter werden die Preise senken müssen. Der eigentliche Preissenkungsschub wird nach der Eröffnung der ersten Aldi- und Lidl-Verkaufsstellen erfolgen.
Die Schweizer Konsumenten werden von tieferen Preisen profitieren. Aber ist das nicht zu kurz gedacht? Wenn die Schweizer Detaillisten die Preise senken, werden sie die Einbussen anderweitig kompensieren, z.B. bei den Preisen an die Produzenten, oder beim Personal.
Tatsächlich werden die Margeneinbussen des Detaillisten zum Teil die Lie-feranten resp. Produzenten mittragen müssen. Wie immer gilt: Die Letzten beis-sen die Hunde. Im weitern werden durch «Optimierungen» im Logistikbereich und Administration Personalkosten gespart und tragen somit zur Finanzierung der Preissenkungen mit.
Aldi und Lidl meiden mehrheitlich die grossen Städte und suchen sich Standorte in ländlicheren Gebieten aus. Inwieweit werden Aldi und Lidl auch eine Konkurrenz für die Dorflädeli resp. die von Volg übernommenen Primo- und Visavis-Läden?
Optimale Standorte für Aldi und Lidli sind die u.a. Einfallsachsen in die Ballungszentren. Es ist eher unwahrscheinlich, dass man einen Aldi oder Lidl in einem isolierten 4000-Seelen-Dorf antreffen wird. – Aber an gewissen Standorten wird auch Volg zweifellos die Konkurrenz von Aldi und Lidl spüren; denn «Jeder Baum gibt Schatten»!
Letzte Frage: Nehmen wir das Beispiel einer Agglomerationsgemeinde mit rund 8000 Einwohnern, 15 Minuten von der nächsten Stadt und dem nächsten Shopping-Center entfernt. Das volle Angebot: Migros, Coop, Denner, PickPay, Visavis und Landi. Und nun auch noch Aldi oder Lidl. Wen triffts am härtesten und wer ist in vielleicht fünf Jahren nicht mehr vor Ort zu finden?
Das Fazit der letzten drei Jahre im Detailhandel: Sicher ist nur die Veränderung! Oder wer hätte gedacht, dass Traditionsunternehmen wie Waro, EPA, ABM, Jelmoli usw. als Detaillisten vom Markt verschwinden. Zurück zu Ihrer Frage: In der Anfangsphase werden alle Aldi oder Lidl spüren und wie immer wird der Stärkere überleben. (mc/stö)
Der Gesprächspartner
Geburtsdatum:
9. November 1947
Wohnort:
Luzern
Zivilstand:
Verheiratet, zwei Kinder
Ausbildung:
Studium an der Dolmetscherschule in Zürich (Publizistik, Journalistik und Sprachen) und an der Fachhochschule für Wirtschaft in Luzern mit Abschluss als Dipl. Betriebsoekonom FH (Spezialgebiet Marketing).
Beruflicher Werdegang:
Während zwei Jahrzehnten in verschiedenen Nahrungsmittel- und Detailhandels-unternehmen auf Geschäftsleitungsstufe tätig; zuletzt CEO und VR-Delegierter in der Nahrungsmittelindustrie. Seit 1998 selbständiger Wirtschaftsberater.