Hans Geiger: «Die Schweizerin und der Schweizer wollen nicht gläsern werden» (I)


Die zweiten bilateralen Verhandlungen kommen nicht vom Fleck. Der Grund: Die EU fordert eine Lockerung des Bankgeheimnisses. Im Moneycab-Interview: Hans Geiger, Uni-Professor und Vontobel-VR-Vizepräsident.

Von Herbert Lanz


Hans Geiger (Foto: Keystone)
Moneycab: Hans Geiger, wie wichtig ist das Bankgeheimnis für die Schweiz?
Hans Geiger: Das Bankkundengeheimnis ist eines der Qualitätsmerkmale der Schweizer Banken, die jährlich eine Wertschöpfung von rund 26 Milliarden Franken erarbeiten. Es schützt die Privatsphäre der Kunden, auch vor direkten Einblicken der Steuerbehörden, nicht aber vor Einblicken des Richters. Eine Aufhebung brächte für in- und ausländische, grosse und kleine Kunden eine massive Beeinträchtigung ihrer Privatsphäre. Der finanzielle Schaden für die Kunden, die Banken, die zuliefernden Branchen und die ganze Wirtschaft wäre gross.

Das Bankgeheimnis gerät immer stärker unter Druck. Die Banken wehren sich wie Berserker. Wehren sie sich damit nicht auch gegen den dringend notwendigen Strukturwandel?
Die Schweizer Banken haben den dringend notwendigen Strukturwandel in den letzten rund zehn Jahren insgesamt gut gemeistert, ganz im Gegensatz zu den Instituten in anderen europäischen Ländern. Rund ein Drittel der Banken und Finanzgesellschaften sind innert zehn Jahren verschwunden. Der Stellenwert des Schutzes der Privatheit erhöht sich in der Informationsgesellschaft deutlich, die Banken spielen dabei eine wichtige Rolle.

Das Ausland moniert, dass das Bankgeheimnis den internationalen Kampf gegen die Steuerhinterziehung erschwere. Deshalb wird eine Lockerung verlangt. Haben Sie Verständnis für diese Haltung?
Ich habe gar kein Verständnis für diese Haltung. Die Schweiz ist für Privatpersonen beileibe kein Niedrigsteuerland. Trotzdem haben wir in Europa die kleinste Schattenwirtschaft, die ehrlichsten Steuerzahler. Ein grosses Problem vieler europäischer Länder ist die zu hohe Fiskalquote bei zu schlechten staatlichen Leistungen und defekten Sozialversicherungssystemen. Steuerhinterziehung ist nur eine Seite der Münze, die andere ist die ungenügende Gegenleistung des Staates. Es gibt in Europa ausser der Schweiz kein Land, in dem die Bürger an der Urne nicht nur über das Steuersystem, sondern auch über den Steuersatz entscheiden können. Die Schweizer sind wohl mit ihrem Staat eher zufrieden als unsere Nachbarn.


«Die jungen Reichen sind in Finanzfragen so versiert, dass sie auch ohne Steuerhinterziehung die Steuerbelastung niedrig halten können» Hans Geiger, Betriebswirtschafter



Wie gross ist die Summe der nicht versteuerten, ausländischen Vermögenswerte, die in der Schweiz verwaltet werden?
Eine Schätzung scheint mir nicht möglich zu sein, die groben Umrisse sind aber bekannt: Ende 2000 verwalteten die Schweizer Banken rund 3700 Milliarden Franken, davon ca. 2000 von ausländischen Kunden. Von diesen stammt knapp die Hälfte von Privaten,1100 Milliarden Franken dagegen von Institutionellen, Banken und Firmen. Von den Privaten sind rund ein Drittel, also gut 300 Milliarden Franken, in Euro angelegt. Persönlich nehme ich an, dass der Anteil der unversteuerten Gelder von ausländischen Privatkunden rückläufig ist.

Weshalb?
Die jungen Wohlhabenden wissen, dass unversteuertes Geld deutlich weniger wert ist als versteuertes. Zudem sind die jungen Reichen dermassen mobil und in Finanzfragen so versiert und gut beraten, dass sie auch ohne Steuerhinterziehung die Steuerbelastung niedrig halten können.


(Foto: Keystone)
Wie lange wird das Bankgeheimnis, wie es hierzulande gehandhabt wird, noch Bestand haben?
Das hängt nur von den schweizerischen Stimmbürgern ab. In der direkten Demokratie können Regierung und Verwaltung dem Druck von aussen nicht nachgeben, wenn die Bevölkerung nicht will. Meine Prognose berücksichtigt zwei Aspekte: Der Schutz der finanziellen Privatsphäre wird uns noch sehr, sehr lange erhalten bleiben und sich tendenziell verstärken. Die Schweizerin und der Schweizer wollen nicht gläsern werden, auch nicht in der Informationsgesellschaft. Der zweite Aspekt ist die Beurteilung der Steuerhinterziehung, die in der Schweiz nicht strafrechtlich geahndet wird. Die finanzielle Lage des Staates ist in der Schweiz weit weniger schlecht als in den meisten europäischen Ländern, auch dank guter Steuermoral. Von daher darf man der heutigen Handhabung des Bankkundengeheimnisses, das dem Steuerbeamten keinen direkten Zugriff auf die Bankdaten gewährt, ein langes Leben prognostizieren. Die Kriminalisierung der Steuerhinterziehung in der Schweiz lohnt sich nicht.






Hier geht es zum zweiten Teil des Interviews mit Hans Geiger.


Hans Geiger 
Der Betriebswirtschafter Hans Geiger (58) ist Professor am Institut für schweizerisches Bankwesen der Universität Zürich. 1969 hat er das Studium der Nationalökonomie mit einer Dissertation abgeschlossen (Thema: Die Wirtschaftlichkeit des Computereinsatzes). Von 1970 bis 1996 war Geiger bei der Schweizerischen Kreditanstalt/Credit Suisse tätig. Seine Tätigkeitsbereiche: Rechnungswesen/Planung/ Controlling sowie kommerzielles Auslandgeschäft Europa und Afrika. Von 1987 bis 1996 gehörte Geiger der Generaldirektion an, ab 1992 war er zudem Chief Information Officer der CS Holding. Hans Geiger ist unter anderem Mitglied des Stiftungsrats der Swiss Banking School sowie Vorstand der Zürcher Handelskammer. Zudem ist er VR-Vizepräsident der Bank Vontobel.
Bilaterale Verhandlungen II Steuerhinterziehung im EU-Visier (Foto: Keystone)
 
Eigentlich war bislang erwartet worden, dass die EU Anfang nächster Woche ihre Mandate für die zweiten bilateralen Verhandlungen mit der Schweiz verabschieden wird. Das wäre das Startsignal für den offiziellen Beginn der Verhandlung. Doch gemäss Insidern aus dem Bundeshaus dürfte die EU noch nicht so weit sein – erst vier von zehn Mandaten liegen bislang vor. Bern rechnet denn auch damit, dass die Gespräche erst im Juni aufgenommen werden.

Zehn unterschiedliche Dossiers sind Inhalt der bilateralen Verhandlungen II. Für den Finanzplatz Schweiz besonders zentral sind die Dossiers Betrugsbekämpfung (Schmuggel) sowie Zinsbesteuerung. Beiden gemeinsam ist, dass die EU Druck macht, das Schweizer Bankgeheimnis zu lockern. Für den Bundesrat hingegen ist das Bankgeheimnis «nicht verhandelbar».

Bei der Zinsbesteuerung hat die EU die Steuerhinterziehung durch ihre Bürger im Visier, die ihre Gelder auf Schweizer Konten haben und diese im Heimatland nicht deklarierten. Die EU fordert eine Informationspflicht der Banken. Der Bundesrat lehnt dies ab. Stattdessen schlägt er eine «Zahlstellensteuer» vor, ähnlich der Verrechnungssteuer. Das wiederum stösst auf Widerstand in der EU. Es ist deshalb mit langwierigen Verhandlungen zu rechnen.

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