Wie funktioniert die Zahlstellensteuer? Und warum ist die EU dagegen? Hans Geiger, Uni-Professor und VR-Vizepräsident der Bank Vontobel, nimmt im zweiten Teil des Moneycab-Interviews Stellung.
Von Herbert Lanz
Hans Geiger (Foto: Keystone)Moneycab: Im Rahmen der zweiten bilateralen Verhandlungen hat der Bundesrat der EU den Vorschlag gemacht, eine so genannte «Zahlstellensteuer» einzuführen. Wie funktioniert diese und wie viel ist sie wert?
Hans Geiger: Wirtschaftlich entspricht die Zahlstellensteuer unserer Verrechnungssteuer, welche in der Schweiz trotz des international sehr hohen Satzes von 35 Prozent etabliert und akzeptiert ist. In dieser Beziehung ist sie für die Schweiz akzeptabel. Allerdings weist sie eine Reihe technischer Schwächen und Fehler auf, und sie ist teuer. Zahlstellen können verlagert werden.
Unter welchen Umständen kann die Schweiz voll hinter dieser Steuer stehen?
Die Schweiz dürfte eine Zahlstellensteuer nur akzeptieren, wenn auch alle andern wichtigen Finanzplätze, die USA eingeschlossen, einbezogen werden. Ob die Schweiz eine Zahlstellensteuer akzeptieren soll, müsste darüber hinaus davon abhängig sein, was die EU dafür als Gegenleistung anbietet.
Marcel Ospel, Chef der UBS, hat kürzlich in einem Interview erklärt, die Zahlstellensteuer sei derart viel wert, dass die EU noch einiges auf den Tisch zu legen hat, um das wettzumachen? Teilen Sie diese Einschätzung?
Ich teile diese Meinung vollständig. Ich sehe nicht ein, warum die Schweiz der EU Zugeständnisse oder Geschenke machen soll, ohne dafür eine gleichwertige Gegenleistung zu erhalten.
«Der Neid auf den profitablen Finanzplatz Schweiz ist sicher ein kräftiges Motiv der EU» Hans Geiger, VR-Vizepräsident Bank Vontobel
Wie erklären Sie sich die Tatsache, dass die EU bislang das Schweizer Angebot als ungenügend zurückgewiesen hat?
Ich bin kein intimer EU-Kenner. Es scheint aber, dass man die interne Uneinigkeit in dieser Sache mit der Beschwörung des externen Feindes zu überdecken versucht. Zudem ist sicher der Neid auf den profitablen Finanzplatz Schweiz ein kräftiges Motiv. Wenn die Schweiz weniger attraktiv würde, erhoffte man sich für den eigenen Finanzplatz und den Staatshaushalt ein Stück des süssen Kuchens.
Kommt die neue Steuer, wandern ausländische Vermögenswerte ab. Was sind Ihre konkreten Befürchtungen?
Ich glaube nicht, dass es dann zu einer massiven Abwanderung kommen wird. Ganz so einfach ist das nicht. Erstens ist das Bankkundengeheimnis bei weitem nicht die einzige Stärke des Finanzplatzes Schweiz, dazu gehören auch effiziente Infrastrukturen und Abwicklungssysteme, ein zuverlässiges Rechtssystem, talentierte und motivierte Finanzfachleute und eine gute Aufsicht. Zweitens wird die Schweiz hoffentlich nie eine Regelung akzeptieren, welche ihre Banken gegenüber den Banken auf andern guten Finanzplätzen diskriminieren würde. Auf obskure Finanzplätze und zweifelhafte Banken werden die Kunden im eigenen Interesse nicht ausweichen.
Wer ist Profiteur, wenn die Schweiz derart ihr Bankgeheimnis lockern würde?
Die Profiteure wären andere renommierte Finanzplätze, vor allem in Europa, also London und Luxemburg, vielleicht auch Frankfurt, Amsterdam und Paris.
(Foto: Keystone)
Was muss demzufolge im Rahmen der bilateralen Verhandlungen II von der EU gefordert werden?
Ich weiss nicht, ob es in nächster Zeit überhaupt zu einer zweiten Runde kommt. Die Probleme beim Land- und Luftverkehr scheinen mir aus der Sicht der Schweiz dringender zu sein als Finanzplatzfragen. Im Finanzbereich gibt es keine dringenden Forderungen der Schweiz.
Marcel Ospel erklärte in der jüngsten Ausgabe des «SonntagsBlick»: «Wenn die Steuersätze prohibitiv hoch sind … habe ich Verständnis, dass sich die Leute zu schützen versuchen. Das geschieht durch Schwarzarbeit und durch Flucht in die Schweiz und anderswohin.» Wird mit einer solchen Aussage nicht die Verhandlungsposition der Schweiz geschwächt?
Schwarzarbeit, Leistungsverweigerung und Missbrauch der sozialen Netze haben nichts mit dem Bankkundengeheimnis zu tun. Wenn die Bürger den Glauben an den eigenen Staat verlieren, dann kann das schweizerische Bankkundengeheimnis weder schaden noch nützen.
Welche konkreten Auswirkungen hätte ein Abbruch der Verhandlungen durch den Bundesrat?
Ich bin kein politischer Experte. Aus meiner Sicht als Stimmbürger und Steuerzahler besteht kein Bedarf nach einer raschen, zweiten Verhandlungsrunde. Ich würde von unserer Regierung erwarten, dass die Ergebnisse aus der ersten Runde sauber umgesetzt werden. Man sollte die Verhandlungen aber nicht abbrechen, sondern gar nicht aufnehmen. Auf der bankpolitischen Ebene sehe ich jedenfalls keinen Verhandlungsbedarf.
Hans Geiger
Der Betriebswirtschafter Hans Geiger (58) ist Professor am Institut für schweizerisches Bankwesen der Universität Zürich. 1969 hat er das Studium der Nationalökonomie mit einer Dissertation abgeschlossen (Thema: Die Wirtschaftlichkeit des Computereinsatzes). Von 1970 bis 1996 war Geiger bei der Schweizerischen Kreditanstalt/Credit Suisse tätig. Seine Tätigkeitsbereiche: Rechnungswesen/Planung/ Controlling sowie kommerzielles Auslandgeschäft Europa und Afrika. Von 1987 bis 1996 gehörte Geiger der Generaldirektion an, ab 1992 war er zudem Chief Information Officer der CS Holding. Hans Geiger ist unter anderem Mitglied des Stiftungsrats der Swiss Banking School sowie Vorstand der Zürcher Handelskammer. Zudem ist er VR-Vizepräsident der Bank Vontobel.
Bilaterale Verhandlungen II Steuerhinterziehung im EU-Visier (Foto: Keystone)
Eigentlich war bislang erwartet worden, dass die EU Anfang nächster Woche ihre Mandate für die zweiten bilateralen Verhandlungen mit der Schweiz verabschieden wird. Das wäre das Startsignal für den offiziellen Beginn der Verhandlung. Doch gemäss Insidern aus dem Bundeshaus dürfte die EU noch nicht so weit sein – erst vier von zehn Mandaten liegen bislang vor. Bern rechnet denn auch damit, dass die Gespräche erst im Juni aufgenommen werden.
Zehn unterschiedliche Dossiers sind Inhalt der bilateralen Verhandlungen II. Für den Finanzplatz Schweiz besonders zentral sind die Dossiers Betrugsbekämpfung (Schmuggel) sowie Zinsbesteuerung. Beiden gemeinsam ist, dass die EU Druck macht, das Schweizer Bankgeheimnis zu lockern. Für den Bundesrat hingegen ist das Bankgeheimnis «nicht verhandelbar».
Bei der Zinsbesteuerung hat die EU die Steuerhinterziehung durch ihre Bürger im Visier, die ihre Gelder auf Schweizer Konten haben und diese im Heimatland nicht deklarieren. Die EU fordert eine Informationspflicht der Banken. Der Bundesrat lehnt dies ab. Stattdessen schlägt er eine «Zahlstellensteuer» vor, ähnlich der Verrechnungssteuer. Das wiederum stösst auf Widerstand in der EU. Es ist deshalb mit langwierigen Verhandlungen zu rechnen.