Hans Künzle, CEO National Versicherung: «Märkte wie Italien und Spanien bieten gute Wachstums- und Ertragschancen.»

Von Helmuth Fuchs

Moneycab: Herr Künzle, seit sechs Monaten sind Sie als CEO an der Spitze der National und konnten das Jahresergebnis 2004 am 20. April bekannt geben. Die Steigerung des Konzernergebnisses von 8.8 Prozent auf 32.9 Millionen Franken wurde durch die Abnahme des Konzerngewinnes von 29.1 Millionen auf 6.1 Millionen Franken getrübt. Die Erklärung findet sich in der Einführung der Discounted-Cash-Flow-Methode bei der Immobilienbewertung. Was hat es damit auf sich und wie wird dies das zukünftige Ergebnis beeinflussen?

Hans Künzle:
Jeder Hausbesitzer weiss, wie schwer es ist, eine Liegenschaft zu bewerten. Wir haben einen Immobilienbestand mit über 220 Ueberbauungen mit einem Wert von rund 1.6 Milliarden Franken. Bis und mit dem Abschluss 2004 haben wir diese nach der Ertragsmethode bewertet. Da bei Immobilien aber auch die zukünftigen Erträge massgeblich bestimmen, wieviel eine Liegenschaft wert ist, haben wir auf diese als Best Practice geltende Methode gewechselt.  Wir haben mit diesem Methodenwechsel auch bereits eine mögliche Abschwächung der aktuellen Immobilien-Hausse vorweggenommen. Die negative Seite ist eine Reduktion des Konzerngewinnes von 19.5 Millionen Franken und eine Belastung des Eigenkapitals um 32.5 Millionen Franken. Das sind heute Belastungen, die aber letztlich gute Perspektiven für die Zukunft ergeben.

Sie haben angekündigt, dass Sie Klarheit in die strategische Positionierung der National Gruppe bringen möchten. Wie soll das vor sich gehen und was kann man aus diesem Projekt an konkreten Resultaten erwarten?

Jede Gesellschaft muss ihre strategische Positionierung permanent überprüfen. Das ist bei der National nicht anders. Es geht darum, unsere Stärken auszubauen und gegen innen und aussen klar zu kommunizieren, wofür die National steht und was sie unverwechselbar macht. Der strategische Review geht dieses Jahr etwas tiefer. Konkrete Resultate erwarten wir im Herbst 2005 und ich denke, dass diese bis zur Präsentation des Semesterergebnisses 2005 soweit fundiert sind, dass ich sie kommunizieren kann. Es ist ein grosser Vorteil dieser Strategiefindung, dass sie aus einer Position der Stärke heraus erfolgt.

Im Juli 2005 wird die Automatisierung des Motorfahrzeuggeschäftes operationell sein, in der zweiten Hälfte 2005 und im 2006 folgen die übrigen Retail-Branchen. Das Projekt wird zu Einsparungen in der Grössenordnung von mehreren Millionen pro Jahr führen. Dies wird  auch zu einem weiteren Abbau von Arbeitsplätzen führen. Hans Künzle, CEO National Versicherung


Die Combined Ratio (Kombinierter Schaden-Kosten-Satz) als eine der wichtigsten Messgrössen im Versicherungsgeschäft, ist noch zu hoch (Brutto 99.6 Prozent, netto 103.8 Prozent). Nach Ansicht von Branchenexperten beginnt die Versicherungswirtschaft, ihre Kapitalkosten von circa 12 oder 13 Prozent erst bei Combined Ratio von unter 96 Prozent zu verdienen. Mit welchen Massnahmen wollen Sie die Combined Ratio senken und wo gedenken Sie hier bei nächsten Jahresabschluss zu stehen?

Zuerst ein Wort zu den Kapitalkosten bei einer Versicherungsgesellschaft. Diese hängen davon ab, wie risikoreich das betriebene Versicherungsgeschäft ist. So sind die Kapitalkosten eines Industrie- oder eines Rückversicherers bedeutend höher als bei einem Retailversicherer mit Heimmarkt Schweiz wie es die National ist. Bei unserem Geschäft setzen wir den erwarteten industriebezogenen ROE (Return on Equity) für Versicherungsgesellschaften wie die National bei den heutigen Kapitalmarktzinsen auf 7% an. Das bedeutet, dass wir eine Combined Ratio von deutlich unter 100% erzielen müssen, um eine vernünftige Rendite erzielen zu können. Tatsächlich sind wir mit der gruppenweiten Combined Ratio noch nicht zufrieden. Mit vier strategischen Projekten werden wir in den nächsten Jahren die erforderlichen Verbesserungen erreichen. 

Die Zielgrösse für die Eigenkapitalrendite liegt bei etwa 7 Prozent. Aktuell weisen Sie eine Rendite von 4.6 Prozent aus. Was werden Sie unternehmen um die Eigenkapitalrendite in die gewünschte Region zu bringen?

Zwei der oben erwähnten Projekte arbeiten gezielt auf eine Verbesserung des Kosten- und des Schadensatzes hin und werden ebenso die jetzige Eigenkapitalrendite verbessern. Zum einen wird die Automatisierung der Retailbranchen im Schweizer Geschäft zu Effizienzsteigerungen und  Kostensenkungen führen. Zum anderen werden wir unsere Verkaufs- und Service-Organisation verbessern. Wir wollen dadurch erreichen, dass unsere Kundenberater in der Schweiz möglichst viel Zeit für Dienstleistungen an unseren Kunden verbringen können und die administrativen Arbeiten auf ein Minimum reduziert werden. Ausbildung, Führung und Controlling werden ebenso verbessert.

Im Sachversicherungsgeschäft sehen Sie sich mit diversen Problemkreisen wie zum Beispiel den zunehmenden Fällen von Schleudertraumen konfrontiert. Das scheint ein spezifisch schweizerisches Problem zu sein. Welche weiteren Problemkreise sehen Sie im Sachversicherungsgeschäft und wie können Sie hier entgegenwirken?

Das Underwriting ist für jedes Versicherungsunternehmen eine Schlüsselfähigkeit. Gerade in deregulierten Märkten geht es darum, risikogerechte Tarife zu haben. Kunden mit gutem Risikoprofil sollen günstigere Prämien erhalten. In diesem Sinn hat die Schweizerische Assekuranz in den letzten Jahren mit der Aufhebung der Einheitstarife einen gewaltigen Wandel durchgemacht. Wir haben unsere seit Jahren tiefe Schadenbelastung halten können und uns somit grundsätzlich richtig positioniert. Das zahlt sich heute und wohl auch in Zukunft aus, weil das Versicherungsgeschäft ja ein langfristig wirkendes Geschäft ist. 


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Ein weiteres Schlüsselprojekt bei der National Versicherung ist die Automatisierung der Retail-Branchen in der Schweiz. Hier arbeiten Sie an einer neuen Informatiklösung. Wo stehen Sie im Projekt, welche Kosten fallen für das Projekt an und wie viele Arbeitsplätze lassen sich durch die Automatisierung einsetzen?

Im Juli 2005 wird die Automatisierung des Motorfahrzeuggeschäftes operationell sein, die Pre-Tests sind erfolgreich abgeschlossen, die Schulung der Mitarbeitenden läuft. In der zweiten Hälfte 2005 und im 2006 folgen die übrigen Retail-Branchen. Die mit diesem Projekt verbundenen Kosten sind zu einem grossen Teil Investitionen, da wir die Erfahrungen aus der Applikationsentwicklung für weitere Branchen nutzen werden. Das Projekt wird zu Einsparungen in der Grössenordnung von mehreren Millionen pro Jahr führen. Dies wird  auch zu einem weiteren Abbau von Arbeitsplätzen führen.

Sie haben zwar immer noch ein sehr nationales Image, sind aber in ganz Europa tätig. Wo sehen Sie die besten Wachstumschancen und wo werden Sie in den kommenden Jahren die meisten Arbeitsplätze schaffen?

Mit der Tätigkeit in verschiedenen Ländern erreichen wir eine geographische Diversifikation, die uns von einzelnen Märkten unabhängiger macht. Während der Schweizer Markt weitgehend gesättigt ist, haben Märkte wie Italien und Spanien gute Wachstums- und Ertragschancen. Unsere europäischen Gesellschaften sind zudem fokussiert und können sich auf bestimmte Produkte und Nischen beschränken. Wir müssen nicht die ganze Produktepalette anbieten. Da wir in diesen Operationen aus eigener Kraft wachsen und auch dort die Kosten senken wollen, werden wir kaum zusätzliche Arbeitsplätze schaffen. Unsere primäre Verantwortung in der Schweiz und in Europa liegt in der Sicherung der Arbeitsplätze unserer bestehenden guten Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter.

Die Coop Allgemeine Versicherung soll 2005 nach zehn Jahren erstmals schwarze Zahlen schreiben. War diese Übernahme aus Ihrer Sicht sinnvoll und welche Rolle wird dieser Geschäftsbereich in der künftigen Strategie spielen?

Ein Blick auf die Wachstumsdynamik zeigt: Mit der Coop Allgemeine Versicherung schöpfen wir wichtige Marktpotentiale mit hohen Wachstumsraten im stagnierenden Schweizer Markt aus. Die Verlustzone wird 2005 aller Voraussicht nach verlassen. Wer je eine Versicherungsgesellschaft von null aufgebaut hat, weiss, dass Break-Even-Zeiten von 5 bis 10 Jahren normal sind. Das braucht es einfach, um eine Mindestrgösse zu erreichen, um profitabel zu werden. Wir haben die Coop Allgemeine Versicherung 2001 übernommen und konnten damals abschätzen, dass der Break-Even in fassbarer Nähe war. 

Zur letzten Frage: Im Lebensversicherungsgeschäft haben Sie das Ergebnis von 270’000 Franken auf über 11.5 Millionen Franken steigern können, und dies bei abnehmendem Prämienvolumen (Schweiz -2.7 Prozent, Europa ? 16.8 Prozent). Wie beurteilen Sie die Chancen und Risiken im Lebensversicherungsgeschäft der National?

Diese Erfolgsstory zeigt, dass das Lebengeschäft zu einem veritablen 2. Standbein der National geworden ist. Die National Leben ist eine «feine, kleine» Leben-Gesellschaft, die im Einzelleben-Geschäft zu den Kostenführern in der Schweiz gehört. Dieses Geschäft wollen wir zielstrebig ausbauen. Auch im Kollektivleben-Geschäft haben wir signifikante Fortschritte erzielt. Dies stimmt uns zuversichtlich, auch wenn dieses Geschäft nur dann erfolgreich betrieben werden, wenn die politischen Rahmenbedingungen stimmen.





Hans Künzle
Dr. iur. (Universität Zürich), Vorsitzender der Geschäftsleitung.

Geboren 1961, Schweizer.
Hans Künzle trat nach kurzer Tätigkeit am Bezirksgericht Bülach 1989 in die Winterthur Versicherungen ein. Zwischen 1995 und 2004 übernahm er verschiedene leitende Funktionen in der Schweiz und in Europa. Unter anderem war er CEO der Winterthur-Operationen in der Tschechischen Republik und verantwortlich für den Bereich Mergers & Aquisitions auf Konzernstufe.

Im Oktober 2004 trat er in die Dienste der Schweizerischen National-Versicherungs-Gesellschaft ein und übernahm per 1. Januar 2005 den Vorsitz der Geschäftsleitung.


National Versicherung
Die Schweizerische National-Versicherungs-Gesellschaft mit Sitz in Basel wurde 1883 gegründet und gehört heute zu den zehn führenden Allbranchen-Versicherern der Schweiz. Im Weiteren verfügt sie über ein Netz von kleineren Tochtergesellschaften im europäischen Raum.

Zur Kernkompetenz der Gruppe gehören das Schadenversicherungs-, das Personenversicherungs- und das Lebensversicherungsgeschäft. Die Versicherungsdienstleistungen sind vorwiegend für Privatpersonen und KMU konzipiert. In ausgewählten Branchen werden Dienstleistungen aber auch Grossunternehmen angeboten. Besonderen Wert legt die Gruppe auf die persönliche und kompetente Beratung und Betreuung der Kunden.

In der Schweiz bietet die Gruppe rund 1’600 Arbeitsstellen (auf Vollzeitstellen umgerechnet), in den europäischen Töchtern sind es rund 600 Stellen.

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