Hans Künzle, CEO Nationale Suisse
Von Bob Buchheit
Moneycab: Herr Künzle, im letzten Jahr konnte Nationale Suisse den Deckungsgrad Solvency 1 von knapp unter 160 auf über 180% steigern. Das ist im nationalen Vergleich gut, wenn auch nicht überragend. Wo liegt Ihre endgültige Zielgrösse?
Hans Künzle: Ich bin sehr zufrieden, wie sich unsere Solvency 1 Marge in den letzten Jahren entwickelt hat. Wir sind einer der ganz wenigen Versicherer in Europa, der diese Kenngrösse zwischen 2007 und 2009 signifikant verbessern konnte. Die Zielgrösse lag bisher zwischen 150 und 180%. Da die Zinsen zwischenzeitlich auf ein Rekordtief gefallen sind, liegt die Zielgrösse sicher höher. Das gibt die notwendige Reserve für steigende Zinsen und den Übergang zum Solvency II-Regime, das 2011 in der Schweiz in Kraft treten wird.
«Trotz Krise ist unser Eigenkapital seit 2007 von gut CHF 550 Mio. auf knapp CHF 730 Mio. angestiegen, was im Branchenvergleich exzellent ist.» Hans Künzle, CEO Nationale Suisse
Obwohl das Eigenkapital von 607 auf 729 Mio. CHF gewachsen ist, wird Nationale Suisse an der Börse deutlich unter Buchwert gehandelt. Sind Sie da nicht versucht, den Anteil eigener Aktien, der ja im 2007 bei satten 8,1% lag, wieder hochzufahren?
Dass unsere Aktie deutlich unter Buchwert gehandelt wird, ist richtig und gibt der Aktie somit auch Potential. Zur Frage des Erwerbs von eigenen Aktien ist meine Antwort ein klares Nein. Ein börsenkotiertes Unternehmen sollte grundsätzlich keine grösseren Bestände an eigenen Aktien besitzen. Eigene Aktien brauchen wir in erster Linie, um einen Teil der Entlöhnung abdecken zu können, dies im Zusammenhang mit unseren Aktienbeteiligungsprogrammen.
Seit über 100 Jahren zahlt Nationale Suisse kontinuierlich Dividenden. Gegenwärtig rentiert die Aktie viermal so hoch wie Schweizer Staatsanleihen. Weshalb nur notiert die Aktie dann immer noch mehr als 50% unter ihrem letzten Hoch?
Wir sind ein Dividendentitel für langfristig orientierte Aktionäre. Unsere Dividendenrendite liegt zurzeit bei 4%. Die Nationale Suisse-Aktie hat zwischen 2007 und heute mit dem SMI und dem europäischen Versicherungsindex sehr gut mitgehalten, was angesichts eines kostenintensiven Turnarounds und einer umfassenden strategischen Neupositionierung nicht selbstverständlich ist. Leider haben im gleichen Zeitraum Versicherungstitel zusammen mit den Banken an den Börsen über Gebühr gelitten, obwohl eine grosse Anzahl der Versicherer die Finanzkrise gut bis sehr gut bewältigt und an Substanz zugelegt haben. Trotz Krise ist unser Eigenkapital seit 2007 von gut CHF 550 Mio. auf knapp CHF 730 Mio. angestiegen, was im Branchenvergleich exzellent ist.
«Bis 2012 wollen wir mindestens ein Drittel unserer Prämien im Specialty Lines-Geschäft erzielen.»
Eine Versicherung ist eine Kapitalanlagegesellschaft mit konstantem Cashflow über die Prämieneinzahlungen. Im Gegensatz zu einer Zürich oder Swiss Re verfolgen die mittelgrossen Schweizer Versicherer eine sehr konservative Anlagepolitik. Daher erreichten Sie im 2009 «nur» eine Rendite von 3,5% auf ihr über 6 Mrd. CHF schweres Portfolio. Andererseits ist das Risiko nach unten beschränkt. Selbst 2008 erwirtschafteten Sie noch 2,1% Rendite. Wo liegt in einem derart ausbalancierten Geschäftsmodell überhaupt noch ein Risiko?
Ganz allgemein wird der Versicherungsmarkt härter. Es geht also darum, eine sehr gute Strategie zu haben und genau zu wissen, was man will. Wer nicht gut positioniert ist, hat also – ich sage dem – ein strategisches Risiko. Wir bei Nationale Suisse haben eine klare Strategie, die zwei Pfeiler hat: zum einen sind wir vorab in der Schweiz im Retail- und KMU-Geschäft tätig, wo wir als solider, auf Swissness aufbauender Qualitätsversicherer eine klare Alternative zu den Grossen sind. Zum anderen sind wir ein Nischenanbieter in der Schweiz und in Europa. Wir bieten sechs sogenannte «Specialty Lines» an, in denen wir klar zweistellig wachsen wollen.
«Der verhältnismässig hohe Kostensatz im Ausland ist mindestens zu einem Teil gewollt: Wir investieren zurzeit in Deutschland, Italien, Spanien und Belgien stark in unsere Nischenstrategie.»
Es gibt auch Risiken im Geschäft selbst: Nichtlebenversicherer müssen ihre Gewinne primär im Grundgeschäft, der Risikoabdeckung, erzielen, weshalb wir uns hier nicht auf die Kapitalerträge abstützen dürfen. Der Kosten-Schadensatz muss deutlich unter 100% liegen, sonst hat man ein zu starkes Anlagerisiko. Im Lebengeschäft sind die Kapitalerträge ein wesentlicher Teil des Angebots. Weil die Kunden in vielen Produkten eine Mindestverzinsung garantiert haben, müssen wir die Kundengelder konservativ anlegen. Im derzeitigen Tiefzinsumfeld haben somit fast alle im Lebengeschäft tätigen Anbieter Anlagerisiken, die es hochprofessionell zu managen gilt. Ansonsten schreibt man Verluste und hat keinen oder einen ungenügenden Ertrag auf dem eingesetzten Kapital.
Grossschäden im Nicht-Leben-Geschäft sind natürlich immer ein Thema – gerade in den Medien. So kostete Sie der Hagelzug vom Sommer 2009 rund 7,5 Mio. CHF. Gibt es ein absolutes Worst Case Szenario. Und wenn ja, in welcher Grössenordnung liegt dieses für eine mittelgrosse Versicherung wie Nationale Suisse?
Natürlich gibt es auch im Nichtlebengeschäft Worst case-Szenarien. Solche sind zum Beispiel schwere Ereignisse, zum Beispiel die Kombination von Sturm- und Überschwemmungsschäden, Pandemien oder Erdbeben. Hier hat Nationale Suisse allerdings eine sogenannte Gruppenschutzdeckung eingekauft, welche die maximale Belastung aus den Ereignissen so reduziert, dass das Unternehmen auch im Katastrophenfall profitabel weiter arbeiten kann. Unsere diesbezüglichen Exposures sind somit begrenzt.
Die Schaden-Kosten-Summe liegt in der Schweiz bei 94,7% im Ausland immer noch mit 103,5% zu hoch. Wie werden Sie Abhilfe schaffen?
Mit 94.7% ist der Schaden-Kosten-Satz in der Schweiz gut bis sehr gut. Der verhältnismässig hohe Kostensatz im Ausland ist mindestens zu einem Teil gewollt: Wir investieren zurzeit in Deutschland, Italien, Spanien und Belgien stark in unsere Nischenstrategie. Wir richten uns in Zukunft verstärkt auf die schon erwähnten Specialty Lines aus, etwa Technische Versicherungen, Transportversicherungen und Kunst. Im klassischen Geschäft sind wir zurzeit im Ausland ein kleiner Anbieter mit entsprechenden Grössen- und Kostennachteilen. Das Specialty Lines-Geschäft wird aber über die Zeit immer grösser werden, sodass die Ertragskraft ausserhalb der Schweiz mittelfristig wieder deutlich ansteigen wird.
Letztes Jahr haben Sie den Immobilienanteil von 23,1% auf 20% reduziert. Renditeliegenschaften im Wert von rund 150 Mio. CHF wurden verkauft. Rechnen Sie mit einem Preisrückgang in der Schweiz?
Preisprognosen im Immobiliengeschäft sind schwierig, sie hängen unter anderem von der Zinsentwicklung und der Wirtschaftssituation ab. Unsere Verkäufe von Immobilien erfolgten, weil wir mit 23.1% im Quervergleich einen sehr hohen Immobilienanteil hatten. Wir mussten diesen aus Gründen der Risikodiversifikation und regulatorisch bedingt reduzieren. Da 2007 und 2008 sehr hohe Immobilienpreise erzielt werden konnten, haben wir aus den Transaktionen Gewinne gemacht, die wir jetzt in unsere neue Strategie investieren können.
«Wir gehen davon aus, dass wir mit einem noch besseren Pricing, mit einem klar überdurchschnittlichen und persönlichen Service und mit einer effizienten Schadenerledigung noch ein ausgiebiges Gewinnpotential haben.»
Bei den Anleihen ist wohl kaum mehr mit einer Preissteigerung zu rechnen. Wie positionieren Sie sich hier?
Hier ist entscheidend, dass man die Cashflows und Garantien aus dem Versicherungsgeschäft kongruent mit Aktiven bedeckt. Damit hat man mindestens kurzfristig keine negativen Auswirkungen auf Bilanz und Erfolgsrechnung. Somit hat das Zinsniveau unmittelbar keinen Effekt auf das Geschäft. Ein tiefes Zinsniveau ist jedoch negativ für die Attraktivität von Versicherungsprodukten mit Garantien. Das heisst beispielsweise, dass wir heute im Lebengeschäft die Zinsgarantien jedenfalls mittelfristig dem Marktniveau anpassen müssen, sonst ist das Geschäft wertvernichtend.
Als Nischenanbieter profitieren Sie stark vom zweistelligen Wachstum der Specialty Lines, welche knapp ein Viertel Ihres Prämienaufkommens ausmachen. Geht dort der langfristige Trend zu einem Anteil von einem Drittel?
Ja, bis 2012 wollen wir mindestens ein Drittel unserer Prämien im Specialty Lines-Geschäft erzielen. Aber auch das schweizerische Retail- und KMU-Geschäft entwickeln wir weiter. Dort wollen wir vor allem in spezifischen Zielgruppen wachsen und die Profitabilität weiter verbessern.
In der Schweiz herrscht ein starker Verdrängungswettbewerb, beispielsweise in der Motorfahrzeugversicherung. Dennoch zeichnet Nationale Suisse keine Risiken um jeden Preis und bei den Verwaltungskosten wurden letztes Jahr über 7 Millionen CHF eingespart. Welche zusätzlichen Einsparungen versprechen Sie sich von der Multikanalvertriebs- und Abwicklungssystems?
Wir gehen davon aus, dass wir mit einem noch besseren Pricing, mit einem klar überdurchschnittlichen und persönlichen Service und mit einer effizienten Schadenerledigung noch ein ausgiebiges Gewinnpotential haben. Als solider Versicherer mit einer klaren Zielgruppenstrategie sind wir eine echte Alternative zu den grossen Playern im Markt. Für uns sehe ich zudem noch ein grosses Potential in der Verbesserung des Schadensatzes durch besseres Underwriting und eine hervorragende Schadenbearbeitung. Daneben werden wir in den nächsten Jahren unsere IT-Landschaft in der Schweiz komplett erneuern, was zu höherer Effizienz führen wird.
Der Gesprächspartner:
Hans Künzle trat nach kurzer Tätigkeit am Bezirksgericht Bülach 1989 in die Winterthur Versicherungen ein. Zwischen 1995 und 2004 übernahm er verschiedene leitende Funktionen in der Schweiz und in Europa. Unter anderem war er CEO der Winterthur-Operationen in der Tschechischen Republik und verantwortlich für den Bereich Mergers & Acquisitions auf Konzernstufe. Seit Oktober 2004 arbeitet er für die Schweizerische National-Versicherungs-Gesellschaft AG , wo er per 1. Januar 2005 den Vorsitz der Geschäftsleitung übernahm.
Hans Künzle ist Präsident des Verwaltungsrates der Schweizerischen National Leben AG, Bottmingen, und der Europäischen Reiseversicherungs AG, Basel. Er ist ferner Mitglied des Vorstands des Schweizerischen Versicherungsverbands (SVV) und des Stiftungsrates der Behindertenstiftung MyHandicap.
Das Unternehmen:
Nationale Suisse ist ein international tätiger Schweizer Versicherer für erstklassige Risiko- und Vorsorgelösungen und für massgeschneiderte Nischenprodukte. Die Bruttoprämien belaufen sich konsolidiert auf 1,7 Milliarden Schweizer Franken. Rund 30% davon erwirtschaftet Nationale Suisse in ihren Tochtergesellschaften in Deutschland, Belgien, Italien und Spanien. Der Hauptsitz der Schweizerischen National-Versicherungs-Gesellschaft AG ist in Basel. Auf Ende 2009 beschäftigte die Gruppe 1862 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter.