von Patrick Gunti
Herr Fricker, die Erderwärmung und der damit verbundene Klimawandel haben den Umgang mit und die Gewinnung von Energie in den Mittelpunkt des Interesses gerückt. Der WWF stellt sich gegen Pläne für neue Grosskraftwerke, wie sie die Stromproduzenten vorantreiben. Welche Alternativen propagieren Sie?
Der WWF setzt klar auf mehr Energieeffizienz. Mit dem konsequenten Einsatz zeitgemässer Technologien könnten wir schon heute 40 Prozent des Energieverbrauchs einsparen. Zudem sollten erneuerbare Energien gezielt gefördert werden. Die Entwicklung der deutschen Wirtschaft zeigt, dass von beiden Massnahmen auch die Unternehmen profitieren.
Das Konzept der 2000-Watt-Gesellschaft will den Energieverbrauch auf ein tragbares Mass senken, dies unter Berücksichtigung, dass alle Gesellschaften eine hohe Lebensqualität anstreben. Wie realistisch ist diese Zielsetzung?
Studien der Umweltverbände und der ETH Zürich zeigen, dass die 2000-Watt-Gesellschaft schon heute realisierbar wäre, wenn überall die besten verfügbaren Technologien eingesetzt würden. Und die technische Entwicklung geht ja weiter….
Gibt es ein Rezept, wie das einzelne Individuum zu einem nachhaltigeren Umgang mit der Umwelt angehalten werden kann, in der Schweiz, aber auch darüber hinaus?
Aus unserer Sicht gilt es weiterhin, die Bevölkerung für das Problem des Klimawandels zu sensibilisieren und die Eigenverantwortung zu stärken. Aber das allein genügt nicht: Es braucht auch einen Mix aus Rahmenbedingungen und finanziellen Anreizen. Ich denke etwa an die Lenkungsabgabe auf Treibstoffen, die der WWF seit Jahren fordert.
«Mit dem konsequenten Einsatz zeitgemässer Technologien könnten wir schon heute 40 Prozent des Energieverbrauchs einsparen.» (Hans-Peter Fricker, CEO WWF Schweiz)
Wie wichtig sind finanzielle Anreize?
Ganz wichtig, denn billige Energie führt zu einem hohen Verbrauch – und das ist nicht erwünscht. Wichtig sind in diesem Zusammenhang aber auch verlässliche Termine. Denn wenn man weiss, wann eine Lenkungsabgabe kommt, kann man sich entsprechend vorbereiten. Die gegenwärtige Unsicherheit ist für die Wirtschaft schädlich.
Was tun Sie persönlich, um die Umwelt zu schützen?
Ich benütze fast ausschliesslich den öffentlichen Verkehr, fliege sehr wenig und bin zu Hause vorsichtig beim Heizen – 20 Grad genügen – und beim Wasserverbrauch. Beim Kauf von Elektrogeräten und Glühbirnen wähle ich konsequent die effizientesten.
Der WWF arbeitet aktiv mit der Wirtschaft zusammen, respektive die Wirtschaft mit dem WWF. In welchen Bereichen ist das gemeinsame Engagement am stärksten?
In den Bereichen Klimaschutz, Holz und Papier sowie Seafood. Der WWF arbeitet hier mit fortschrittlichen Firmen zusammen, die der WWF Climate Group, der WWF Wood Group oder der WWF Seafood Group beigetreten sind. Das sind Zusammenschlüsse von Firmen, die sich aktiv für eine intakte Umwelt einsetzen. Neue Mitglieder sind übrigens willkommen.
Geht das Interesse zu einer Zusammenarbeit heute verstärkt von der Wirtschaft aus?
Ja, denn Umweltschutz ist heute in verantwortungsvollen Unternehmen ein fester Bestandteil der Strategie. Und da der WWF seit Jahren mit der Wirtschaft zusammenarbeitet, gilt er als kompetenter Partner.
Mit Themen wie Umweltschutz und Nachhaltigkeit kann heute jedes Unternehmen Imagepflege betreiben. Findet hier nicht einfach auch ein Missbrauch statt, weil hinter den schönen Worten und Absichten oftmals kaum etwas passiert?
Aus diesem Grund prüfen wir jede Partnerschaft sorgfältig. Gemeinsam mit jedem einzelnen Partner legen wir konkrete Umweltziele und Massnahmen fest – zum Beispiel dass ein Unternehmen seinen CO2-Ausstoss innerhalb von drei Jahren um 15 Prozent reduziert. Die Fortschritte werden jährlich überprüft. Genügt eine Firma unseren Anforderungen nicht mehr, beenden wir die Zusammenarbeit.
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Was bringen Öko-Labels und besteht nicht die Gefahr einer Verwässerung, wenn heute praktisch jedes Produkt mit einem Label versehen wird?
Ökolabels bringen mehr Transparenz und ermöglichen den Kunden, eine bewusste Wahl zu treffen. Leider sind aber nicht alle Labels gleich gut. Deshalb bewertet der WWF die Labels regelmässig im Rahmen von Ratings.
Klimawandel macht vor keinen Grenzen halt – trotzdem sind die Massnahmen individuell. Wo sollte die Schweiz die Prioritäten im Kampf gegen die Erderwärmung setzen?
Die grössten Potentiale liegen bei Gebäuden und im Verkehr. Fast die Hälfte der in der Schweiz verbrauchten fossilen Energie geht in die Wärmeerzeugung. Wenn wir also Wohn- und Bürogebäude besser isolieren, können wir schon viel einsparen. Deshalb gilt es, Häuser konsequent nach Minergie-Standard zu renovieren, was den Heizenergiebedarf meist mehr als halbiert. Und Neubauten sollten als Passivhäuser geplant werden, damit die Heizung kaum mehr ins Gewicht fällt.
Beim Verkehr macht uns Sorge, dass die Schweiz europaweit Jahr für Jahr die ineffizienteste Neuwagen-Flotte in Betrieb nimmt. Das hängt sicher auch mit den tiefen Treibstoffpreisen zusammen – Sie sehen also: Preissignale spielen eine wichtige Rolle.
Länder wie die USA, China oder Indien gelten als die schlimmsten Verursacher von CO2. Was entgegnen Sie Behauptungen, dass es da kaum eine Rolle spiele, wie sich die kleine Schweiz verhalte?
Die Pro-Kopf-Emissionen der Schweiz sind überdurchschnittlich hoch und ihre Reduktion kann eine enorme Wirkung haben, weil die Schweiz die Technologie, das Geld und die Fähigkeit hat, Lösungen für ein Leben ohne fossile Energien zu finden. Diese Lösungen könnten nicht nur der Exportwirtschaft helfen, sondern auch internationale Klima-Verhandlungen voranbringen. Und nicht zuletzt: Als Pionierin beim Klimaschutz könnte die Schweiz ihr Image in der Welt verbessern.
«Beim Verkehr macht uns Sorge, dass die Schweiz europaweit Jahr für Jahr die ineffizienteste Neuwagen-Flotte in Betrieb nimmt.»
Was sagen Sie zu Thesen, der Klimawandel sei nicht mehr aufzuhalten, wir würden die Zeit besser nützen, uns den neuen Gegebenheiten anpassen?
Das Ausmass der Klimaerwärmung lässt sich sehr wohl beeinflussen. Es ist dringend nötig, die Erwärmung unter zwei Grad Celsius zu halten, weil sonst dramatische Auswirkungen drohen. Um dieses Ziel zu erreichen, müssen wir jetzt dringend handeln. Tun wir das nicht, kostet uns der Klimawandel in einigen Jahren gemäss Report des ehemaligen Weltbank-Chefökonomen Nicholas Stern 5- bis 20-mal mehr als die Vorsorge.
Von der Tierschutzorganisation mit dem Panda-Bär-Logo hat sich der WWF zu einem gewichtigen Mitstreiter im Kampf für eine intakte Umwelt entwickelt. Wie hat sich dieser Wandel vollzogen?
Als dynamische Organisation ist der WWF immer dort tätig, wo Natur und Umwelt bedroht sind. Deshalb setzen wir uns gegenwärtig mit aller Kraft für eine Eindämmung des Klimawandels ein. Auch das ist eine Form von Artenschutz, denn ein Erfolg käme ja nicht nur den Menschen zugut, sondern auch den Tieren und Pflanzen.
Herr Fricker, wir bedanken uns für die Beantwortung unserer Fragen.
Zur Person:
Dr. Hans-Peter Fricker (1949) ist seit 2004 CEO WWF Schweiz. Zuvor war er acht Jahre Direktor der Schweizersichen Multiple Sklerose Gesellschaft. Zwischen 1985 und 1995 war er bei Radio DRS beschäftigt, zuerst als Leiter der Abteilung Wort und anschliessend sechs Jahre als Programmleiter von DRS2.
Studium: Germanistik, Anglistik, Geschichte, Musikwissenschaft und Staatsrecht (Genf, England, Zürich)
Zum WWF:
Der WWF (World Wide Fund for Nature) wurde 1961 in Zürich als Stiftung gegründet. Heute liegt sein internationaler Hauptsitz in Gland am Genfersee. Der WWF Schweiz, als nationale Organisation, ist Lizenznehmerin des WWF International und vergibt wiederum an 23 – meist kantonale – WWF Sektionen eine Lizenz.
Zur globalen Umweltschutzorganisation WWF zählen 56 WWF-Niederlassungen in über 40 Ländern. Miteinander verfolgen sie alle ein Ziel: Die weltweite Naturzerstörung zu stoppen und eine Zukunft zu gestalten, in der Mensch und Natur in Einklang leben. Der WWF Schweiz mit Hauptsitz in Zürich und Zweigstellen in Genf, Bellinzona und Bern spielt dabei weltweit eine führende Rolle: Er ist viertgrösster nationaler Geldgeber an das internationale Programm und hat die fachliche Führung über weltweite Aktivitäten.
Die vom WWF Schweiz seit Jahren verfolgte Kooperation mit wichtigen Wirtschaftszweigen ist heute Muster für die weltweite Organisation und die Erfahrungen in der Arbeit mit Kindern und Jugendlichen gelangen mittlerweile in vielen anderen Teilen Europas zum Einsatz. Dem WWF Schweiz steht ein Stiftungsrat mit insgesamt acht Stiftungsräten vor. Die Direktion des WWF Schweiz besteht aus fünf Personen.