Heinrich Christen, Partner und Industry Leader Medtech EMEIA bei Ernst & Young
von Patrick Gunti
Herr Christen, die Schweiz hat ihren Anteil am wachsenden Weltmarkt für Medizintechnik ausgebaut und ist mit der weltweit höchsten Konzentration an Medtech-Firmen pro Kopf so etwas wie ein Zentrum der Medizinaltechnik. Wie ist diese führende Stellung der Schweiz möglich geworden?
Die historischen Gründe für diese in der Tat einzigartige Weltmarktstellung liegen in der starken Präsenz der feinmechanischen Industrie in der Schweiz. Praktisch alle grossen führenden Medtech-Firmen der Schweiz haben ihre historischen Wurzeln in der Feinmechanik (Uhrenteile) oder im klassischen Maschinenbau. Daneben ist auch noch die starke Stellung der Kunststoffindustrie in der Schweiz und der entsprechenden Werkzeugbauer zu erwähnen.
Gemäss dem von Ernst & Young mit verschiedenen Organisationen und Ämtern herausgegebenen «Swiss Medtech Report 2008» sind in der Schweiz mehr als 700 Medizinaltechnik-Unternehmen tätig. In welchen Bereichen hauptsächlich?
Prinzipiell in allen Subsegmenten der Medtech-Branche, wobei ich einen starken Schwerpunkt in der Orthopädie, den damit verbundenen Instrumenten sowie der Dentaltechnik sehe.
Das Wachstum hängt auch damit zusammen, dass vermehrt Global Player der Medizintechnikindustrie ihre europäischen Standorte in die Schweiz verlegen. Wie vorteilhaft sind die Rahmenbedingungen für diese Unternehmen?
Diese Unternehmen profitieren vom internationalen Arbeitsmarkt der Schweiz, der exzellenten Verkehrsinfrastruktur, der Nähe zu Hochschulen und anderen Forschungsinstitutionen und schliesslich auch von der vernünftigen Unternehmensbesteuerung.
«Die historischen Gründe für diese in der Tat einzigartige Weltmarktstellung liegen in der starken Präsenz der feinmechanischen Industrie in der Schweiz.» (Heinrich Christen, Partner und Industry Leader Medtech EMEIA bei Ernst & Young)
Wer sind die grössten «Gegenspieler» der Schweiz und wo liegen die wichtigsten Herausforderungen für die Schweiz im Konkurrenzkampf mit anderen Standorten?
Deutschland hat eine sehr starke und ebenfalls breit diversifizierte Medtech-Industrie. Dann natürlich USA, nach wie vor das Medtech-Land Nummer 1. Weitere interessante Länder sind Israel und Italien. Einige Aktivitäten sehe ich auch im skandinavischen Raum und in Grossbritannien.
Ist in der Schweiz die rasche Umsetzung neuen Wissens aus der Forschung in marktfähige Produkte schneller möglich als an anderen Standorten?
Ich denke schon, da man sich kennt und nahe zusammen wohnt und arbeitet. Diese Nähe ist im Alltag von sehr grossem Wert!
Wie beurteilen Sie die Zusammenarbeit zwischen den Hochschulen und den Unternehmen im Medizinaltechnik-Bereich?
Diese ist gut und hat sich vor allem in den letzten Jahren enorm entwickelt; ich sehe mit Freude, dass auch Fachhochschulen und nicht nur die ETH die Medizinaltechnik als forschungsintensive Branche entdeckt haben und entsprechend aktiv geworden sind.
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Innovation ist einer der Grundpfeiler des Erfolgs der Branche. Diese kommt nicht nur von grossen Unternehmen oder Universitäten, sondern immer mehr auch von kleinen Unternehmen oder Start-ups. Welche Entwicklung können Sie in diesem Bereich feststellen?
Die Schweizer Medtech Start-up Szene hat sich in den letzten Jahren ebenfalls sehr belebt, wobei mir auffällt, dass die meisten aus dem ETH-Umfeld entstehen, was gut ist. Sie profitieren auch von einem grossen Interesse der Investoren an Medtech. Allerdings gelingt es nur den wenigsten Start-ups im Alleingang ein globales Medtech-Unternehmen zu bauen, frühzeitige Allianzen mit grossen Playern sind deshalb oft sinnvoll.
Wie wichtig ist in diesem Prozess die Rolle der Förderagentur für Innovation KTI des Bundes?
Die KTI fördert, wie es ihrer Mission entspricht, die Zusammenarbeit von Industrie und Hochschulen. Wichtig finde ich auch die Start-up Coaching-Aktivitäten des Bundes, die nun deutlich zu greifen beginnen.
«Ich gehe von einem weiteren stetigen Wachstum der Medtech-Branche aus, da Gesundheit und Wohlbefinden eines der höchsten Güter des Menschen ist, für das er immer bereit ist, auch eigenes Geld auszugeben.»
Die Medizinaltechnik scheint gegen Finanzkrise und konjunkturelle Abschwächung resistent zu sein, trifft dies auch auf die zahlreichen Zulieferer zu?
Natürlich sehen wir im rein privaten Bereich zurzeit eine gewisse Zurückhaltung der Kunden – zum Beispiel im Dentalmarkt – aber diese ist nicht von grosser Dramatik. Ich denke sogar, dass die Medizinaltechnik-Branche die krisenresistenteste Branche überhaupt ist und das gilt auch für die Zulieferer.
Von welcher weiteren Entwicklung der Branche gehen Sie aus?
Ich gehe von einem weiteren stetigen Wachstum der Branche aus, da Gesundheit und Wohlbefinden eines der höchsten Güter des Menschen ist, für das er immer bereit ist, auch eigenes Geld auszugeben. Luxusgüter, Autos etc. kann man demgegenüber auch einmal einsparen bzw. eine entsprechende Anschaffung verschieben, ohne grosse persönliche Kosten.
Welches sind die wichtigsten Punkte, die beachtet werden müssen, damit die Schweiz ihre führende Stellung behaupten und vom weiteren globalen Wachstum der Branche profitieren kann?
Die Schweiz sollte ihre Stärken im Bereich Arbeitsrecht, Unternehmensbesteuerungen, offene Grenzen etc. weiter ausbauen und die Branche kommt nicht darum herum, sich den grossen Chancen aber auch Risiken im asiatischen Markt zu stellen. Ich bin sehr optimistisch, was die Zukunft der Schweizer Medtech-Industrie anbelangt.
Herr Christen, besten Dank für das Interview.
Zur Person – Heinrich Christen
Ausbildung & Kenntnisse
-Masters of Business Administration (MBA), HSG St. Gallen
-Mitherausgeber Swiss Medtech Report 2005 und 2008
-Co-Autor des Ernst & Young Reports «Nanotechnolgy in Life Sciences»
-Lic.phil. I, Universität Zürich
-Führung des Programms «Entrepreneur of the Year»in der Schweiz
-Leitet die EMEIA-weiten Medtechaktivitäten von Ernst &Young
Erfahrung
-Langjährige Erfahrung bei der Begleitung und Durchführung von Akquisitions- und Integrationsprojekten
-Client Service Partner international tätiger Medtechfirmen
Swiss Medtech Report 2008
Der Swiss Medtech Report 2008 wird herausgegeben von den Projektpartnern Ernst & Young, SWX Swiss Exchange, Bundesamt für Berufsbildung und Technologie (BBT), Switzerland Trade and Investment Promotion, Eidgenössisches Institut für Geistiges Eigentum, Schweizerische Vereinigung für Technologietransfer, Medical Cluster sowie Swiss Medtech und bietet auf 36 Seiten Interviews, Zahlen und Hintergrundtexte zur Schweizer Medtech-Branche. Namhafte Persönlichkeiten wie Prof. Dr. Urs Martin Lütolf, Prof. Dr. Gustav von Schulthess und Prof. Dr. Gregor Zünd (Universitätsspital Zürich), Peter Nicklin (President Baxter Europe) und Markus Nufer (Manager of Governmental Programs, IBM Schweiz), aber auch Verbandsvertreter und Finanzexperten äussern sich darin zu aktuellen Herausforderungen der Branche.