Italien verhaftet Zürcher Devisenhändler

Salvatore Paulangelo und Alfonso Zoccola sind in der Schweiz keine Unbekannten. Mit den Firmen World Financial Services und PP Finanz machten die heute 44- und 39-jährigen Devisenhändler 2003 und 2004 Schlagzeilen. Rund 1700 Anleger sollen zwischen 80 und 100 Millionen Franken verloren haben, als die beiden Firmen im Oktober 2003 Konkurs gingen, ohne dass irgendwelche Aktiven zum Vorschein gekommen wären. Nun hat die Mailänder Staatsanwaltschaft gemäss italienischen Nachrichtenagenturen neun Haftbefehle wegen Geldwäscherei ausgesprochen. Sie richten sich gegen mutmassliche Mitglieder der kalabresischen Mafia, der ‹Ndrangheta, und ihre Helfershelfer. Sie sollen Einkünfte aus dem Geschäft mit Drogen und Waffen über die Schweiz reingewaschen haben. Jahrelang haben deshalb italienische und schweizerische Polizisten und Staatsanwälte gemeinsam ermittelt. Nach Einschätzung eines italienischen Untersuchungsrichters ist der Fall komplexer und umfangreicher als die meisten bisher bekannten Geldwäschereiverfahren.

Paulangelo flüchtete nach Sardinien
Die Haftbefehle betreffen unter anderem Paulangelo und Zoccola, die beiden Hauptakteure beim vermuteten Anlagebetrug in der Schweiz. Die Zürcher Justiz hatte 2004 wegen Betrugs in der Höhe von 80 bis 100 Millionen Franken gegen den flüchtigen Devisenhändler Paulangelo ermittelt. Um den Schweizer Untersuchungsbehörden zu entgehen, flüchtete der ursprünglich aus Apulien stammende Paulangelo im Sommer 2003 nach Sardinien. Dort kann der Automechaniker, der zum Devisenhändler aufgestiegen war, sich sicher fühlen: Wie die Schweiz auch, liefert Italien eigene Staatsangehörige nicht aus. Immerhin fanden die Carabinieri Anfang 2005 laut dem Haftbefehl gegen einen anderen Angeklagten bei einer Untersuchung von Paulangelos Haus in der Nähe von Olbia eine nicht angemeldete Waffe, worauf der Flüchtige kurz inhaftiert wurde.

Verwandtenbesuch endet mit Verhaftung
Zoccola wurde im August 2004 in der Schweiz wegen Verstosses gegen das Betäubungsmittelgesetz, Geldwäscherei und Beteiligung an einer kriminellen Organisation verhaftet. Er war ein enger Mitarbeiter von Paulangelo. Nach der Verhaftung sass er lange in Untersuchungshaft; danach durfte er das Land nicht verlassen. Vom letzten Freitag bis heute Montag hatte er laut der Agentur Apcom eine Bewilligung erhalten, um in Neapel Verwandte zu besuchen. Die italienische Polizei legte ihm sofort nach der Ankunft am Flughafen Handschellen an. Die Zürcher Bezirksanwaltschaft und das eidgenössische Untersuchungsrichteramt in Bern hatten im Oktober 2006 die italienischen Behörden gebeten, die Strafverfolgung von Paulangelo, Zoccola und einem weiteren Italo-Schweizer zu übernehmen. Das Justizministerium in Rom willigte ein und beauftragte die Staatsanwaltschaft in Mailand damit. Laut Haftbefehl des Mailänder Untersuchungsrichters sollen die Angeklagten ein Gestrüpp von Finanz- und Offshoregesellschaften auf die Beine gestellt haben, die unter anderem Immobilieninvestitionen in Sardinien, Spanien und in der Schweiz tätigten. Einziges Ziel: Reinwaschen der Gelder, die der Clan der Familie Ferrazzo aus dem Dorf Mesoraca in den kalabresischen Bergen mit Drogen und Waffen gemacht hatte.

Waschmaschinen der Mafia in Zürich
Eine zentrale Rolle hatten dabei die Zürcher World Financial Services und die PP Finanz mit Sitz in Berikon AG. Laut den Untersuchungsbehörden zeichneten sich die beiden miteinander verbundenen Firmen durch «eine grosse buchhalterische Unordnung» aus. Um sich den Anschein einer normalen Anlagefirma zu geben, hatten diese tatsächlich Millionen von Franken bei Schweizer Anlegern eingesammelt, um damit in London Devisengeschäfte zu tätigen. Doch Hauptzweck der Gesellschaften war die Geldwäsche: Laut Haftbefehl sollen allein aus dem Drogenhandel 1,2 Millionen Dollar pro Woche in Zürich gewaschen worden sein. Laut Aussagen einer früheren Angestellten flogen Paulangelo und andere Mitarbeiter der World Financial Services regelmässig nach Kalabrien und kehrten mit Koffern voller Bargeld zurück. Dieses wurde jeweils im Tresor eingeschlossen und nicht ordentlich verbucht. Einige «Kunden» seien zu später Stunde auch mit einer Pistole unter der Jacke im Büro aufgetaucht.

Bereits 2003 hatte die Zürcher Bezirksanwaltschaft die italienischen Kollegen darüber informiert, dass die drei Italo-Schweizer aus der World Financial Services und der PP Finanz Gelder von Anlegern in die eigene Tasche abgezweigt hatten. Insgesamt sollen so 14,81 Millionen Franken auf eigene Konten oder solche von Firmen, welche die drei besassen, umgeleitet worden sein. Wie Zoccola wurde am Freitag in Mailand auch der bekannte Anwalt Giuseppe Melzi bereits verhaftet. Er hatte in den 1980er-Jahren die Interessen der Kleinsparer nach dem Zusammenbruch des Banco Ambrosiano vertreten. Er gab sich als Treuhänder einer wohlhabenden italienischen Familie aus und diente der Mafia-Organisation als unverdächtige Adresse, um in der Mailänder Finanzwelt Auffangfirmen für diverse Gelder zu gründen. So sollen Mittel aus den beiden Schweizer Firmen über Offshorefirmen auf den britischen Jungferninseln in der Karibik nach Mailand abgezogen worden sein, nachdem das Pflaster in Zürich zu heiss geworden war. Wo diese Gelder heute sind, wissen die Untersuchungsbehörden nicht.

Uster-Clan hatte Kontakt zu Zoccola
Die Affäre um die Zürcher Devisenhandelsfirmen weist enge Bezüge zu einem anderen Verfahren auf, das die Bundesanwaltschaft und das eidgenössische Untersuchungsrichteramt in der Schweiz gegen das organisierte Verbrechen führen. Auch hier geht es um mutmassliche Mitglieder des Mesoraca-Clans aus Kalabrien. Der Hauptbeschuldigte, ein schweizerisch-italienischer Doppelbürger, war am 19. Juli 2004 in Uster zusammen mit weiteren Beschuldigten verhaftet worden. Ihm werden Mitgliedschaft und Unterstützung einer kriminellen Organisation, Drogenhandel, Geldwäscherei, Verstösse gegen das Waffengesetz, Angriff, Nötigung und Hehlerei vorgeworfen. Er ist wegen Drogenhandels vorbestraft. Das Ermittlungsverfahren richtet sich insgesamt gegen rund 40 Beschuldigte. Der Hauptverdächtige sass fast drei Jahre in Untersuchungshaft und wurde erst im letzten Juli gegen eine Kaution von 50’000 Franken auf freien Fuss gesetzt. Er bestreitet alle Vorwürfe. Wegen diverser Beschwerden der Beschuldigten – der Hauptverdächtige verglich sein Haftregime mit Guantánamo – gibt es Dutzende von Urteilen des Bundesgerichts und des Bundesstrafgerichts.

(Tagesanzeiger/mc/hfu)

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