Aus Anlass des 50. Geburtstages des bereits mit 27 Jahren an einer Überdosis Drogen verstorbenen Künstlers veranstaltet, ist sie dessen erste umfassende Ausstellung in Europa. Sie vereint mit über einhundert Gemäl-den, Papierarbeiten und Objekten aus renommierten Museen und Privatsammlungen aus aller Welt die wichtigsten Werke Basquiats und zeichnet dessen Schaffensperioden nach.
Jean-Michel Basquiat, Untitled, 1982
Der in Brooklyn, New York, geborene Jean-Michel Basquiat war Sohn eines haitianischen Einwanderers und einer ursprünglich aus Puerto Rico stammenden Mutter. Basquiat startete im New Yorker Underground als Graffitikünstler, Musiker und Schauspieler, bevor er sich im Alter von 19 Jahren auch der Malerei zuwandte. Seine Werke sind von eben jener Intensität und Energie geprägt, die auch sein kurzes Leben bestimmten. In nur acht Jahren, in denen er unter anderem mit Andy Warhol, Keith Haring, Francesco Clemente und Debbie Harry zusammenarbeitete, hat er ein umfängliches Werk von rund 1000 Gemälden und mehr als 2000 Zeichnungen geschaffen. Dabei gelang es ihm, neben der vorherrschenden konzep-tuellen Kunst und der Minimal Art neue figurative und expressive Elemente zu etablieren. Seine von comicartigen Figuren, skeletthaften Silhouetten, kuriosen Alltags-objekten und poetischen Slogans bevölkerten Werke sind farbenprächtig und kraftvoll. Sie vermischen Motive aus Popkultur und Kulturgeschichte, unter anderem aus den Bereichen Musik und Sport, sowie politische und wirtschaftliche Themen zu kritisch-ironischen Kommentaren über die Konsumgesellschaft und soziale Ungerechtigkeit, insbesondere mit Blick auf den Rassismus.
Jean-Michel Basquiat, Boy and Dog in a Johnnypump, 1982
Ende der 1970er-Jahre, im Alter von 16 Jahren, begann Basquiat gemeinsam mit Al Diaz, unter dem Pseudonym »SAMO©« Graffiti auf die Wände Downtown Manhattans zu sprayen. Nach Beendigung der Zusammenarbeit verlegte er sich darauf, Collagen als xerokopierte Postkarten ebenso wie selbstbemalte T-Shirts und Zeichnungen zu verkaufen. Für kurze Zeit spielte er Klarinette und Synthesizer in der 1979 von ihm mit Michael Holman, Shannon Dawson und Vincent Gallo gegründeten Musikband Gray. In dieser Zeit befreundete er sich mit den Filmemachern, Musikern und Künstlern, die die angesagten Downtown-Clubs, den Mudd Club, Club 57, CBGB?s, Hurrah?s und Tier 3, frequentierten ? darunter Patti Astor, David Byrne, Blondie, Madonna, John Lurie und Diego Cortez. Erstmals malte Basquiat auch auf Alltagsgegenstände wie Kühlschränke, Türen und Fenster. Lange Zeit ohne eigenen festen Wohnsitz, verwendete er hierfür häufig die Einrichtungen seiner Gastgeber, bei denen er Unterkunft gefunden hatte. Bemalte Objekte sind auch später immer wieder in Basquiats Werk anzutreffen. 1980/81 übernahm er die Hauptrolle im Film Downtown 81 (erst 2000) veröffentlicht), in dem er vor dem realen Hintergrund der Kunst- und Musikszene in Downtown Manhattan im Wesentlichen sich selbst spielte.
Jean-Michel Basquiat, Untitled, 1981
Sein künstlerischer Durchbruch gelang Basquiat 1981, als seine Arbeiten in der Ausstellung New York / New Wave im Kunstzentrum P.S.1 neben denen anderer Künstler wie Keith Haring und Robert Mapplethorpe präsentiert wurden. Seine rund 20 Malereien und Zeich-nungen machten bedeutende Galeristen wie Emilio Mazzoli, Annina Nosei und Bruno Bischofberger auf ihn aufmerksam. Nach seiner darauffolgenden ersten Einzelausstellung in der Galerie von Emilio Mazzoli im italienischen Modena stellte er wenige Monate später in einer Gruppenausstellung der New Yorker Galerie Annina Nosei aus, unter anderem neben den Konzeptkünstlern Jenny Holzer und Barbara Kruger. 1982 wurde der 21-jährige Basquiat als jüngster Teilnehmer zur Documenta eingeladen. Seine Werke wurden dort neben jenen von Joseph Beuys, Anselm Kiefer, Gerhard Richter, Cy Twombly und Andy Warhol gezeigt. Als mittlerweile international gefeierter Star stellte er in renommierten Galerien, etwa bei Larry Gagosian in Los Angeles, aus. So konnte der Sohn karibischer Einwanderer als erster schwarzer Künstler auch grosse internationale Erfolge verzeichnen. Der Zürcher Galerist Bruno Bischofberger übernahm weltweit seine Hauptvertretung neben der Galeristin Mary Boone in Amerika.
Basquiat hat die Schweiz insgesamt vierzehn Mal besucht. Er hielt sich in Basel, Zürich und St. Moritz auf, wo er im Atelier von Bruno Bischofberger arbeitete. Es entstanden Werke mit Schweizer Motiven wie Bergen und Skiliften. Ernst Beyeler brachte den 22-jährigen Basquiat nach Basel und zeigte dessen Werke 1983 erstmals in seiner Galerie, darunter die Bilder Philistines und Self-Portrait (beide 1982), die sich heute in weltberühmten Privatsammlungen befinden und in der Ausstellung zu sehen sind.
Jean-Michel Basquiat, Self-Portrait with Suzanne, 1982
Das Werk von Jean-Michel Basquiat kann in fünf Hauptphasen gegliedert werden. Die erste erstreckt sich vom Ende der 1970er-Jahre bis zum Herbst 1981, als ihm Annina Nosei das Kellergeschoss unter ihrer Galerie als Atelier zur Verfügung stellte, was ihm ermöglichte, nicht mehr auf vorgefundene Gegenstände, sondern auf Leinwände zu malen. Die frühen Gemälde wie Aaron I und Cadillac Moon (beide 1981) sind von jener Unmittelbarkeit und Schnelligkeit geprägt, mit der Basquiat auch seine Graffiti auf Hausmauern angefertigt hatte. Zugleich zeichnete er fortwährend, wobei der Akt des Zeichnens für ihn nicht nur auf das künstlerische Resultat zielte, sondern die Selbstversicherung des eigenen alltäglichen Seins bedeutete. Er nahm in Zeichnung, Malerei und Musik auf, was ihn unmittelbar umgab oder was er zufällig fand, so auch in Untitled (Refrigerator) oder in Pork (beide 1981). Beeinflusst von den Kompositionsmethoden von John Cage und dessen Aufforderung, den Zufall und das Unberechenbare in die Kunst zu integrieren, verwandelte Basquiat sein unmittelbares Umfeld in ein freies Assoziationsfeld. Die Worte, Zeichen und Begriffe, die er in seinen Werken einsetzte, bezog er zuweilen von der Strasse, aber auch aus Büchern, dem Fernsehen, Schallplatten, Filmen und Gesprächen. Zudem waren der Hip-Hop und dessen künstlerische Verfahren des Sampling und Scratching von Bedeutung für sein Werk. Die Kombination aus Pentimenti, Acrylfarbe, Ölkreide und Collage ergab eine Form von gemal-tem, rhythmisiertem Hip-Hop. 1982/83 produzierte Basquiat gemeinsam mit weiteren Musikern ein Album, Beat Bop, das zu den Klassikern des frühen Hip-Hop zählt. Musik, insbesondere auch der Jazz von schwarzen Musikern wie Billie Holiday, Dizzy Gillespie, Charlie Parker, Max Roach und Miles Davis, begleitete Basquiat ständig.
In der zweiten Werkphase von 1981 bis 1982 dominierte vor allem die Malerei auf Leinwand. Hervorragende Beispiele dieser Zeit sind Boy and Dog in a Johnnypump (1982) und Untitled (1981). Basquiat betonte dabei zunehmend das Malerische, wenngleich in ständigem Dialog mit dem Zeichnerischen durch eine Kombination von Acrylfarben und Ölkreiden auf der Leinwand mit zunehmend intensiveren Farben. Dies ging einher mit einer Erweiterung des figurativen Repertoires und des Fundus an Bildelementen. Die Leinwand als Bildgrund bleibt präsent und assoziiert die Graffiti tragende Mauer. Basquiat begann nun zusehends, mehre-re Farblagen übereinanderzulegen, wobei er Bildelemente und Schriftzüge zum Teil nur deshalb kreierte, um sie dann wieder auszulöschen. Ein vom Künstler als bewusstes Stil-mittel eingesetztes Wechselspiel von Transparenz und Löschung bestimmte nun den Werk-prozess: Er übermalte seine Bildkompositionen und -elemente ganz oder teilweise, wobei erkennbar blieb, was ursprünglich dargestellt war. Damit eröffnete er eine zweite, geradezu haptische Bildrealität.
Den Beginn der dritten Werkphase markierte eine Ausstellung von Arbeiten in der New Yorker Fun Gallery im November 1982, in denen Basquiat zu einem ausgiebigeren Zeichnen von Wörtern und Symbolen zurückkehrte und die Verwendung roher Materialien als Bild-träger initiierte. Er setzte sich deutlich mit dem Bildträger und dessen Körperlichkeit auseinander. Statt auf Keilrahmen befestigte er in Anlehnung an Robert Rauschenbergs Combine-Paintings die Leinwand auf unorthodoxen Trägern von Holzpaletten bis hin zu einer Assemblage aus Türen. Im Extremfall entstand gleichsam eine Skulptur aus Leinwand und Holz. Die Form des Triptychons, die Basquiat von 1982 und 1983 in einer Reihe von Arbei-ten aufgriff, ermöglichte ihm durch die Montage verschiedener Leinwände eine Erweiterung des Bildfeldes, indem er diese gleichsam zu sampeln begann. In diese Werkreihe fällt auch die Darstellung berühmter afroamerikanischer Boxer wie Mohammed Ali (Cassius Clay, 1982), Joe Lewis, Jersey Joe Walcott oder Jack Johnson. Die Leinwand wirkt in symboli-scher Analogie zur Wildheit der berühmten Boxer buchstäblich ungezähmt, nicht zuletzt weil sie zum Teil den Blick auf die aus ungeschliffenen Holzlatten zusammengesetzte Transportpalette freigibt. Bis zu zwölf Tafeln hat Basquiat miteinander kombiniert, wobei er stets jedem Segment seine Eigenständigkeit zubilligte. So setzte er seinen »Rap« fort, indem er ver-schiedenste Worte, Zeichen, Piktogramme und Bildelemente collagierte. Besonders häufig treten die dreizackige Krone, etwa in Untitled (1982), und die Dornenkrone ikonenartig in Basquiats Werk in Erscheinung. Im Frühjahr 1983 erreichten seine Werke ihre höchste Komplexität sowohl hinsichtlich der Bildthemen als auch der künstlerischen Strategien, die Basquiat nun unterschiedlichst kombinierte und veränderte. Vergleichbar der performativen Qualität seines Zeichenstils sind auch Basquiats Gemälde prozesshaft entstanden, haben sich aus vorgegebenen Strukturen und Zufällen entwickelt. Dabei gehörten physische Angriffe gegen den Bildträger und das Werk in Form von Umarbeitung, Zerstörung, Neuzu-sammensetzung von Bildtafeln zu den künstlerischen Verfahren Basquiats. Auch hob er Wörter gerade durch deren Löschung hervor. Prominente Beispiele hierfür sind In Italian (1983) und Zydeco (1984).
Unter Warhols Stern
1983 begann auch Basquiats intensive Zusammenarbeit und Freundschaft mit Andy Warhol. Basquiat sampelte in dieser vierten Werkphase ab 1984 frühere Bildcollagen mittels des von Warhol eingebrachten Siebdruckverfahrens und wandte sich zugleich aber auch wieder ver-stärkt der Malerei auf Leinwand zu. Von Basquiats Galeristen Bruno Bischofberger initiiert, entstanden zunächst etwa fünfzehn Gemeinschaftsarbeiten mit Warhol und Francesco Clemente, in den Jahren 1984/85 dann ungefähr einhundert weitere Werke in Kooperation mit Warhol, ein Zehntel von Basquiats malerischem ?uvre. Die fruchtbare Zusammenarbeit mit Warhol beendete Basquiat 1985 abrupt, nachdem eine Ausstellung mit sechzehn Colla-borations in der New Yorker Tony Shafrazi Gallery von den Medien verrissen worden war.
Radikale Leere
Die Jahre 1986 bis 1988 sind als fünfte und letzte Schaffensphase Basquiats anzusehen, in der der Künstler einen neuen Typus der Figurendarstellung entwickelt und sein Quellen-, Symbol- und Inhaltsrepertoire deutlich erweitert hat. Die in dieser Zeit entstandenen Werke kennzeichnet ein Wechselspiel aus radikaler Leere und einer gleichsam von einem Horror Vacui diktierten Fülle, etwa in Light Blue Movers von 1987. In diesem Jahr schuf Basquiat auch eine Reihe wichtiger grossformatiger Zeichnungen, in denen eine intensive Auseinan-dersetzung des Künstlers mit dem Tod erkennbar wird. Riding with Death (1988) wurde zur Ikone für Basquiats eigenen Tod und zum Nährboden seines Mythos.
Vom Bedeutsamen
Es ist die Art der Aneignung des Alltäglichen, des Beiläufigen ebenso wie des scheinbar Bedeutsamen, die Basquiats Kunst unverwechselbar und einzigartig macht. Er kopiert bewusst aus der ihn umgebenden Wirklichkeit, führt den Zufall als künstlerische Strategie ein und transformiert das vorgefundene ästhetische Material, gleich dem Cut-and-paste-Sampling der kommenden Internetgeneration, in seine eigene Ästhetik. Jean-Michel Basquiat war ebenso ein Vorläufer der Wissensgesellschaft wie der Cut-and-paste-Generation, indem er den Umgang mit neuen Medien vorwegnahm. (fb/mc/th)