Von Helmuth Fuchs
Moneycab: Herr Schneider, die Bankiersvereinigung kritisiert das «musterschülerhafte» Verhalten der Schweiz, die EU möchte eigentlich noch strengere Richtlinien. Sie haben bei PostFinance im Februar dieses Jahres eine Lösung zur Bekämpfung der Geldwäscherei (mlds von Innovations Softwaretechnologie) eingeführt. Welcher Aufwand (Projektdauer, Anzahl involvierter Personen) war damit verbunden und wie beurteilen Sie den Stand der Geldwäschereibekämpfung in der Schweiz im Vergleich mit den EU-Ländern?
Die schweizerische Gesetzgebung und deren Umsetzung ist sowohl im Vergleich zu den EU-Ländern als auch weltweit in einer Spitzenposition angesiedelt. Um die Geldwäscherei wirksam bekämpfen zu können, sind weltweite Standards notwendig. Ein Alleingang der EU oder der Schweiz mit strengeren Richtlinien ist in seiner Wirkung eingeschränkt und hat negative Konsequenzen auf die Bedürfnisse eines effizienten und starken Finanzplatzes.
Die Definition der Anforderungen sowie die gewissenhafte Evaluation der Software hat ca. 10 Monate beansprucht. Nach dem Entscheid zu Gunsten von mlds erfolgte die Erweiterung und Anpassung der bestehenden Lösung innerhalb von 8 Monaten. Es waren rund 100 Mitarbeiter aus Business und IT involviert.
Die grösste Schwierigkeit war die Bewältigung der enormen Volumina, die Zuordnung der verschiedenen Transaktionstypen und teilweise fehlenden Daten…Die nicht vorhandenen Daten wurden erhoben, zum Teil mit telefonischem und brieflichem Nacherfassen beim Kunden. Jochen Schneider, Leiter Informatik, PostFinance
PostFinance hat ein umfassendes Data Warehouse und eine eigene Informatikabteilung. Was hat bei dieser Ausgangslage dafür gesprochen, eine externe Lösung zu wählen und was hat den Ausschlag zu Gunsten von mlds gegeben?
Zu Beginn eines Projektes stellt sich für PostFinance stets die Frage, ob unter Berücksichtigung von Kosten, Nutzen, Strategie, Risiken und Terminen Kauf oder Eigenentwicklung vorteilhafter ist.
In allen Punkten konnten wir Vorteile für den Kauf ausmachen – auch gegenüber einer Neuausrichtung des umfassenden Datawarehouses (DWH). Wir haben jedoch unsere Daten im DWH dazu benutzt, mittels nicht automatisierter Auswertungen Prognosen für die Trefferhäufigkeit zu finden. Wir untersuchten ebenfalls die Möglichkeiten der Kombination der vorhanden Daten aus den unterschiedlichen Gebieten CRM, Nationaler Zahlungsverkehr, sowie Retailbanking, die alle im DWH vorlagen.
Die ganzheitlichen Betrachtung von Überwachung, Abklärung und Workflow als integrierte Lösung sowie die Gewähr, dass auch die grossen Volumina von PostFinance (bis 10 Mio. Transaktionen pro Tag) verarbeitet werden können, haben den Ausschlag zu Gunsten von mlds gegeben. Voraussetzung war, dass die Lösung gut in die Applikationslandschaft von PostFinance integriert werden konnte.
Die Beurteilung der anfallenden Meldungen wird bei PostFinance von etwa 30 dezentralen Compliance Mitarbeitern vorgenommen. Wie viele Meldungen fallen täglich etwa an und wie lange war der Schulungsaufwand vor der Einführung der neuen Lösung?
Pro Jahr fallen mehr als 10’000 Namens- und Formalitätenprüfungen der Bartransaktionen am Schalter an. Über die Anzahl Meldungen möchte ich an dieser Stelle, wie in der Branche üblich, nicht sprechen. Die Compliance Mitarbeitenden prüfen sowohl Namen als auch Formalitäten von Bartransaktionen am Schalter. Die Compliance Officers erhielten einen halben Tag Einführung (Toolhandling, Szenarieninhalt), 3 Tage Betreuung durch Coaches sowie eine präzise Arbeitsanleitung.
Geldwäscherei kann ja schon mit der Eröffnung eines Kontos beginnen und sich dann bei den Finanztransaktionen fortsetzen. Wie können Sie dem mit der neuen Lösung entgegenwirken (Names-Matching, Transaktionsmonitoring, Stoppen der Transaktionen.)?
Bei Eröffnung und Mutation von jedem Konto erfolgt eine Namensprüfung. Mit zwölf Szenarien werden alle wertbewegenden Transaktionen eines Tages geprüft. Verdächtige Transaktionen werden manuell geprüft ud könen auch jederzeit gestoppt werden. Anpassungen bei der schwarzen Liste werden laufend mit dem gesamten Kundenstamm abgeglichen.
Die Komplexität und Neuheit der Anforderungen sowie die grossen Datenbestände von PostFinance (2 Millionen natürliche, 300’000 juristische Personen als Kunden) dürften zwei der wichtigsten Problemfelder gewesen sein. Wie gross ist der Datenbereich heute, wie viel Historie wird mitgeführt und bis zu welchem Volumen werden Sie den Datenbereich sinnvoll bearbeiten können?
Wir führen über die 3 Millionen Kundenkonti und eine History von mindestens 13 Monaten für die Transaktionen. Der aktuelle Datenbestand beträgt 2 Terabyte. Technisch kann auch das doppelte Volumen mittels Hardwareerweiterungen einfach bewältigt werden. Mit Erhöhung der Anzahl Kundenkonti wäre eine Erhöhung der Anzahl Compliance Officers notwendig. (Schmunzelnd) Das werden wir natürlich gerne tun, wenn wir profitable, neue Kundinnen und Kunden gewinnen können.
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Die Geldwäschereiverordnung lässt den Finanzinstituten einigen Spielraum in der Umsetzung. Wie viele mögliche Szenarien zur Bekämpfung der Geldwäscherei haben Sie bis heute definiert und wie viele davon sind in der neuen Lösung umgesetzt?
PostFinance will als Marktleaderin im Zahlungsverkehr ein umfangreiches Dispositiv gegen den Missbrauch ihrer Dienstleistungen sicherstellen. Dies umfasst neben den zwölf technischen und zahlreichen organisatorischen Szenarien zur Erkennung von verdächtigen Transaktionen insbesondere auch die Feststellung der wirtschaftlichen Berechtigung.
Das gesamte Projekt dauerte 2 Jahre. Was waren für Sie die grössten Schwierigkeiten, mit denen Sie konfrontiert wurden?
PostFinance ist der von den Behörden anerkennten Selbstregulierungs-Organisation der Post unterstellt. Diese hat die Vorschriften der EBK-Verordnungen per 1. Januar 2004 übernommen. Die Anpassung der bestehenden Systeme an die neue Gesetzgebung dauerte 15 Monate. Die grösste Schwierigkeit war die Bewältigung der enormen Volumina, die Zuordnung der verschiedenen Transaktionstypen und teilweise fehlenden Daten. Der historische Erstbestand bei Produktionsbeginn betrug sechs Monate. Die Übernahme der grossen Datenmengen in die mlds Staging Area wurde über einen Zeitraum von 4 Wochen vorgenommen. Die nicht vorhandenen Daten wurden erhoben, zum Teil mit telefonischem und brieflichem Nacherfassen beim Kunden.
Nach der Einführung der neuen Lösung haben sich aus dem Betrieb sicher schon erste Erweiterungsanforderungen ergeben. Welche zusätzlichen Funktionen oder Erweiterungen stehen als nächstes an?
Die ersten Erfahrungen aus dem Betrieb sind positiv und es besteht kein grosser Bedarf an Erweiterungen. Die bevorstehenden Neuerungen wurden bereits langfristig geplant und beinhalten insbesondere die Zentralisierung von Alerts (Ablösung der bestehenden Applikation durch mlds) sowie die Berücksichtigung weiterer Umsetzungsschritte auf die Personensicht (bisher Kontosicht).
Finanzinstitute haben aus der Historie heraus oft eine sehr Konto-zentrierte Datensicht. Die Geldwäschereiverordnung erfordert zusätzlich eine sehr Kunden-orientierte Sichtweise. Wie konnten Sie mit diesen unterschiedlichen Sichten in Ihrem Projekt umgehen?
Die Daten von PostFinance hatten in der Vergangenheit ebenfalls diese rein kontozentrierte Datensicht. Neben der Geldwäschereiverordnung ist eine ganzheitliche Personensicht aber auch für eine optimale Kundenberatung notwendig. Die grosse Menge an Daten und davon abhängigen Applikationen erfordert einen schrittweisen und sorgfältigen Wandel. Die ersten Etappen (Abbildung der wirtschaftliche Berechtigung, neue Adress-Struktur, Rollendefinitionen) erfolgten zugunsten der Geldwäscherei-Bekämpfung parallel zur Einführung von mlds. Die verbleibenden Etappen dienen primär einer optimalen Kundenberatung und der vollständigen Anbindung der Umsysteme. Die Anwender dieser Erweiterungen sind im CRM und in der Customer Intelligence. Also beides in Bereichen, die der gezielteren und effizienteren Kundenberatung dienen werden.
Nachdem die Lösung jetzt fast sechs Monate im Einsatz ist, was ist der Feedback der Benutzer, in welchem Umfang wurden die gesetzten Ziele des Projektes erreicht?
Für die Benutzer konnte ein leicht verständliches, übersichtliches und bedienungsfreundliches Werkzeug zur Verfügung gestellt werden. Die Antwortzeiten sind sehr gut und die Abarbeitung der Fälle erfolgt zeitgerecht gemäss den geplanten Aufwänden.
Zum Schluss des Interviews haben Sie zwei Wünsche frei, wie sehen diese aus?
Die Wirtschaft denkt und handelt in globalen Dimensionen, während sich die Finanzmarktaufsicht und die Regulierung noch zu sehr national ausrichtet. Erstens sollten mehr Spielregeln auf internationaler Ebene definiert und umgesetzt werden
Und zweitens erhält PostFinance die Bankenlizenz und damit die gleichen Spielregeln wie alle Banken.
Jochen Schneider
CIO PostFinance, Mitglied der Geschäftsleitung
Geboren am 15.12.1959
Zivilstand: verheiratet, eine Tochter, ein Sohn
Wohnort: Lindenweg 1, 2532 Magglingen
Staatsangehörigkeit: Deutschland (seit 1995 in der Schweiz wohnhaft)
Jochen Schneider hat in Stuttgart Verfahrenstechnik studiert und sich später am IBM Informatikkollegium zum Wirtschaftsinformatiker weitergebildet.
1984 ist er in die IBM eingetreten und war dort während 10 Jahren in verschiedenen Funktionen, u.a. als IBM Systemberater und als Key Account Manager, tätig.
1994 übernahm er bei der MCC AG die Teamleitung für den Bereich Prozessdesign und IT-Projekte, bevor er Program Manager IT-Projekte und stellvertretender CIO wurde.
1998 wechselte er zur Swisscom, wo er zuerst CIO von blue window und später Leiter Einkauf und Logistik der Swisscom AG war.
Seit 1.4.01 ist Jochen Schneider CIO bei der PostFinance.
PostFinance
PostFinance ist ein ertragsstarker Geschäftsbereich der Schweizerischen Post. Als eigenständiges, umfassendes und konkurrenzfähiges Finanzinstitut entwickeln wir Lösungen für nahezu alle Geldangelegenheiten.
Kennzahlen PostFinance 2004:
Geschäftsertrag (Mio. CHF) 986&
Betriebsergebnis (Mio. CHF) 287&
Personalbestand (Personaleinheiten) 2’246&
Bilanzsumme (Mio. CHF) 44’166