Joseph E. Stiglitz, Wirtschaftswissenschaftler & Nobelpreisträger

Von Helmuth Fuchs


Moneycab: Herr Stiglitz, Im Jahre 2008 haben Sie in einem Spiegel Interview vorausgesagt, dass das Schlimmste erst noch kommen werde. Und so kam es. Haben wir jetzt den Tiefpunkt der Krise erreicht, oder müssen wir mit einer anhaltend schweren Rezession rechnen, mit Ursprungsland USA, die uns noch grössere Probleme bringen wird?


Joseph E. Stiglitz: Die Antwort darauf, ob wir den Tiefpunkt der Krise bereits erreicht haben, hängt im Wesentlichen von den Antworten der Politik, im Speziellen denjenigen der Steuerpolitik ab. Ich glaube, es besteht ein Risiko, dass es noch schlimmer kommt. Wahrscheinlich nicht schlimmer als durch die unmittelbaren Auswirkungen des 15. Septembers (15. September 2008: Konkurs der Lehman Brother; Anmerkung der Redaktion), aber mit Sicherheit schlimmer als es heute ist. In den Vereinigten Staaten gibt es eine Anzahl von Problemen, die unter der Oberfläche gären und von denen jedes einzelne sich zu einer grösseren Krise entwickeln kann: Die Anzahl von Banken-Schliessungen und Banken-Zusammenbrüchen ist steigend, die Zahl der Arbeitslosen ist hoch und es gibt keine Anzeichen, dass sie sich verringern wird; ein grosser Teil der Arbeitslosigkeit wird uns langfristig erhalten bleiben; es gibt Finanzkrisen in zahlreichen Bundesstaaten, was wiederum dazu führt, dass diese ihre Ausgaben einschränken.



«Eine Eigenschaft der Märkte ist, dass sie sich zu einem bestimmten Zeitpunkt nur auf ein einziges Problem fokussieren und dabei das gesamte Arsenal von Problemen ausser Acht lassen, das sich auf uns zu bewegt.» Joseph E. Stiglitz


Eine Eigenschaft der Märkte ist, dass sie sich zu einem bestimmten Zeitpunkt nur auf ein einziges Problem fokussieren und dabei das gesamte Arsenal von Problemen ausser Acht lassen, das sich auf uns zu bewegt. Krisen entstehen, wenn die Märkte, aus welchem Grund auch immer, eine eigentlich seit längerem bekannte Tatsache für sich entdecken und daraus eine grosse Geschichte machen. Dazu ein Beispiel: Es gibt die wachsende Befürchtung, dass es aufgrund der anhaltenden Langzeitarbeitslosigkeit in den USA zu einem so genannten Hysteresis-Effekt kommt (Fortdauern einer Wirkung nach Wegfall ihrer Ursache; Anmerkung der Redaktion). Dadurch wird es schwierig sein, die Arbeitslosigkeit auf das vor der Krise normale Mass zu reduzieren, ein neues Normalmass wird sich festsetzen, manche Experten gehen von 7.5 bis 8 Prozent aus. Falls das eintrifft, sind alle heutigen Prognosen bezüglich des Defizits der USA viel zu rosig. Sie basieren alle auf einer Rückkehr der Arbeitslosigkeit auf ein Normalmass vor der Krise. Wenn also die Märkte plötzlich realisieren, dass das Defizit der USA viel schlimmer ist als sie bis anhin angenommen haben, kann man sich leicht vorstellen, dass der Dollar nach unten und der Euro nach oben geht, sich die Exporte aus Europa vermindern und die US-Märkte sich mit höheren Zinsen konfrontiert sehen. Es gibt also ein ganzes Sammelsurium von Problemen, das so entstehen kann.



«Es wird schwierig sein, die Arbeitslosigkeit auf das vor der Krise normale Mass zu reduzieren, ein neues Normalmass wird sich festsetzen, manche Experten gehen von 7.5 bis 8 Prozent aus. Falls das eintrifft, sind alle heutigen Prognosen bezüglich des Defizits der USA viel zu rosig.»


Welche Auswirkungen wird das auf die USA haben, erwarten Sie eine Hinwendung zu einem europäisch inspirierten Sozialsystem, wo die Menschen zum Preis von höheren Steuern besser abgesichert sind?


Ich glaube, dass die USA und zu einem gewissen Teil die ganze Welt sich in Richtung einer Wirtschafts-Misere im japanischen Stil entwickeln. Die Wut, die ich in den USA sehe, richtet sich gegen die falsch umgesetzte Notrettung der Banken. Die Menschen sehen das ganze Geld, das in den Bankensektor floss, die Banker mit den Rekord-Boni und wie sie selbst unter der Arbeitslosigkeit leiden. Zu viele Leute sehen sowohl Busch als auch jetzt Obama auf Seiten der Banker statt der gewöhnlichen Bürger. Ironischerweise ist die Reaktion darauf nicht, dass wir die Probleme, die uns hierher geführt haben, lösen und ein soziales Auffangnetz knüpfen, sondern eine Opposition zu beiden Kammern und eine Stimmung gegen die Institutionen, die Unternehmen und die Regierung. Eine eigentliche Populismus Welle der kleinen und mittleren Unternehmer greift um sich, mit der Konsequenz, dass die Wirtschaft geschwächt wird, weil die KMU weder die Wirtschaft stimulieren noch Geld ausgeben.



«Ich glaube, dass die USA und zu einem gewissen Teil die ganze Welt sich in Richtung einer Wirtschafts-Misere im japanischen Stil entwickeln.»


Einige beginnen hier von einem Ping-Pong-Effekt zu sprechen. Die erste Reaktion ist ein Rutsch nach rechts und es bleibt die Frage, was geschieht, wenn die wirtschaftlichen Probleme nicht gelöst werden. Es kann eine Bewegung noch weiter nach rechts geben, oder wieder in Richtung einer Balance gehen. Wir wissen es zurzeit einfach nicht. Ich glaube, Amerikas politische Ausrichtung ist hochgradig unsicher.


Mit all den Problemen in den USA wird China vermehrt zum Brennpunkt für wirtschaftliches Wachstum. Glauben Sie, dass China das Wachstum aufrecht erhalten und die USA als den Weltwirtschafts-Motor ablösen kann, oder wird es durch die eigenen sozialen und umwelttechnischen Entwicklungen zurück gebunden?


Ich denke, dass China sein Wachstum aufrecht erhalten kann. China ist schon jetzt die zweitgrösste Wirtschaftsmacht der Welt. Aber auch als zweitgrösste Wirtschaftsmacht ist China zu klein, um die Schwächen von Amerika und Europa auszugleichen. Es kann nicht der Motor für Amerika und Europa sein, ist aber ein Motor für Afrika und Lateinamerika. Der Erfolg von China hat schon heute einen enormen Einfluss auf die Weltwirtschaft.



«Es ist also immer noch unsicher, wie die Geschichte zu Ende gehen wird, in der jetzigen Situation bin ich aber auf der sehr optimistischen Seite.»


China ist sich der Umweltprobleme bewusst und nimmt ihre Lösung auch in Angriff. Es ist sich auch bewusst, dass es sich aus der Export-Abhängigkeit lösen muss. Ich glaube, China kann an beiden Fronten erfolgreich sein, wenn auch die Risiken nicht unbeträchtlich sind. Zwei positive Aspekte sind, dass die chinesische Regierung die Probleme erkannt hat und dass sie viel mehr Mittel und den Willen besitzt, diese auch einzusetzen, als die westlichen Regierungen. Der Nachteil ist, dass China eine komplexe Wirtschaft darstellt, die sich zudem sehr schnell verändert. Es gibt ausserdem immer noch Einschränkungen in Bezug darauf, was die Regierung unternehmen kann und allmählich entstehen auch viele Interessensgruppen, welche schon zahlreiche westliche Länder in ihrer Entwicklung zurückbinden. Es ist also immer noch unsicher, wie die Geschichte zu Ende gehen wird, in der jetzigen Situation bin ich aber auf der sehr optimistischen Seite.






Das Interview wurde am Anlass des Swiss Finance Institutes durchgeführt. Das Swiss Finance Institute ist eine Forschungs- und Ausbildungsorganisation in den Bereichen Banking & Finance. Rund 75 Schweizer Banken, die Schweizer Börse, sechs Universitäten, der Schweizerische Nationalfond sowie private Stiftungen unterstützen das SFI.

Exit mobile version