Die Ausstellung Rolf Nesch – Schneefarben und Metallformen führt den Zyklus der Einzelausstellungen zu «Schülern» Kirchners weiter, den das Kirchner Museum 2001 mit dem Basler Künstler Albert Müller begonnen hat.
Die jetzt eingerichtete Ausstellung konzentriert sich auf die druckgraphischen Arbeiten Neschs, in denen die Verwandtschaft zu Kirchners künstlerischer Haltung am ehesten sichtbar ist. Einen Schwerpunkt bilden die Radierungen, die in den späten 1920er und frühen 1930er Jahren erstmals die formale und inhaltliche Experimentierfreude des deutsch-norwegischen Künstlers sowie seine Eigenständigkeit belegen.
Fokus Drucke
Die heute wohl bekannteste Werkgruppe Neschs, die Material- oder Metalldrucke, werden anhand einer Auswahl vorzüglicher Drucke vorgestellt. Alle Exponate stammen aus zwei privaten Sammlungen und waren teilweise noch kaum in der Öffentlichkeit zu sehen.
«Schüler-Zyklus» als Auftrag des Kirchner Museums
Die kritische Frage, wieso der «Schüler-Zyklus» nach fast vier Jahren Pause ausgerechnet mit einem Künstler fortgesetzt wird, dessen Werk sowohl in der Form wie auch im Gehalt eher durch die Ferne zu Kirchners Arbeit, denn durch eine Nähe gekennzeichnet ist, müssen wir als berechtigt ansehen. Dies umso mehr als Kirchner den jungen Künstler in seinem Davoser Tagebuch mit keinem Wort erwähnte. Dafür formulierte er beiläufige und gelegentlich harte Bemerkungen in einigen Briefen an seine Freunde und Sammler Carl Hagemann und Gustav Schiefler.
«Alle Kunst ist abstrakt, insofern sie Wirklichkeit umsetzt. Ihre Sprache aber stammt aus der Realität, sonst würde sie gar nicht aufgenommen werden können. Auch die kühnste Phantasie arbeitet mit irgendwie, irgendwo, irgendwann einmal gesehenen Formen»
Was hat der ältere Künstler möglicherweise vom Jungen genommen?
Nesch hat nach der Kirchner Begegnung die Themen und Formen Kirchners recht schnell überwunden, und ist zu einer eigenen Bildwelt gekommen, die ohne Vorbilder jedwelcher Art auskommt. Die Ausstellung stellt die Frage: Was hat der ältere Künstler möglicherweise vom jungen genommen? Immerhin befand sich Kirchner 1924/25 in einer Umbruchsphase, in einer künstlerischen Neuorientierung, die er (signifikanterweise) in dem bereits zitierten Brief an Schiefler ankündigte: «Beim Durchsehen der graphischen Blätter erkenne ich immer wieder, wie weit das Ziel endgültiger Realisierung noch liegt, und es erfasst mich oft die Sehnsucht, alles stehen und liegen zu lassen, und woanders ganz neu anzufangen.»
Auszug aus dem Brief vom 30. Dezember 1924 an Gustav Schiefler
Die Metalldrucke als gestalterische Herausforderung
Vor allem die Metalldruckfolge «Hamburger Brücken» bedeutete nicht nur eine thematische und formale Weiterentwicklung, sondern die Integration des handwerklichen oder technischen Experiments als konstitutives Element in den Werkprozess.
Erweiterung in die dritte Dimension
Bereits seit 1934 wurden die Metalldrucke in den Raum erweitert, d.h. sie wurden zu eigenen Bildobjekten, von Nesch «Materialbilder“ genannt. In einer traditionellen Terminologie würde man diese teils monumentalen Werke, bei der die verschiedensten Materialien kombiniert und wiederum bemalt wurden, «Relief-Mosaike» nennen – aus unserer heutigen Perspektive scheint der Begriff «Raummalerei» (ein Verweis auf die Bilder Frank Stellas) angemessener.
Das Procedere als Ausdruck
Das technische Procedere, dessen Eigenwertigkeit in der Literatur zu Nesch oft überbetont wird, diente dem Künstler allerdings in der Hauptsache dazu, einen eigenen Figuren- und Landschaftskosmos zu erschaffen, eine phantastische Innenwelt parallel zur trivialen Aussenwelt.(rs/mc/th)
Brief vom 30. Dezember 1924
An seinen Freund und Sammler Gustav Schiefler
«Wir hatten diesen Sommer so ein Exemplar von Künstler hier, Akademieschüler gewesen, Expressionist, Cubist, Gegenstandslos etc. durchgemacht und war nun buchstäblich am Ende der Wahrheit angekommen und malte Kinderein, dabei manuell nicht unbegabt. Nesch mit Namen, Meier-Gräfe-Protegé. Dem sollte ich nun aufhelfen, in dem ich seine Bilder corrigierte. Ich habe versucht, ihn auf einen einfachen wahren Weg zur Natur zu bringen. Leider nahm er sich meine Bilder zum Muster und malt nun so und meint Wunder, was er hier weggeschleppt hat. Eine neue Manier, er kam von Kokoschka. Aber en verité hat er nichts begriffen, und ich konnte ihn doch innerlich nicht umkrempeln. Er hat auch einen Knacks weg, er war lange Kriegsgefangener in England, armer Kerl, man möchte solchen Menschen gerne helfen, und doch geht es nicht, weil die Charaktere zu verschieden sind. Ich verstehe diese blonden Deutschen nicht, sie sind mir fremder wie Chinesen»