Kommentar: Ein müdes Volk von Hirten?
Von Helmuth Fuchs
Selbstverständlich gibt es Menschen, welche in Berufen arbeiten, die einen hohen physischen und psychischen Zoll fordern und deren Leistungen schlecht entlöhnt werden. Beispiele dafür sind Bauarbeiter oder Krankenpflegerinnen. Diese Branchen benötigen die Flexibilisierung des Rentenalters und setzen sie auch in ihrer Branche durch. Menschen mit ebenso anforderungsvollen Aufgaben, die aber überdurchschnittlich bezahlt sind, wie Ärzte oder Manager, können sich die Frühpensionierung selbst finanzieren.
Zustupfe über Schwarzarbeit
Wer nun vor die Wahl gestellt wird, bei vollen Bezügen mit 62 Jahren mit der Arbeit aufzuhören, mit der einzigen Auflage, dass er nicht mehr arbeiten darf, oder drei Jahre weiter zu arbeiten, ohne damit aber später eine höhere Rente zu bekommen, wird der Versuchung der Frühpensionierung wohl kaum widerstehen können. Der jetzt schon hohe Druck auf ältere Arbeitnehmer seitens der Arbeitgeber wird zunehmen, da sich mit der Frühpensionierung eine elegante Möglichkeit der Wegbeförderung ergibt. Zudem muss die staatliche Überwachungsfunktion signifikant ausgebaut werden, um sicherzustellen, dass die fitten Frühpensionäre sich nicht doch über Schwarzarbeit verschiedenste Zustupfe verdienen. Die direkten Kosten von jährlich mindestens 1.5 Milliarden Franken sind auch hier nur die Spitze des Eisberges.
Flächendeckendes Wohlfühlen statt Ärmel hochkrempeln
Völlig ausgeblendet werden in der Initiative die aktuelle Wirtschaftsentwicklung und was noch viel schwerer wiegt, die demografische Entwicklung der Schweiz. Während Amerika sich mitten in der Krise wieder einmal neu definiert und Barack Obama versucht, die dringendsten Probleme für die unterste Bevölkerungsschicht anzugehen, ohne dabei die Wirtschaft als Motor abzuwürgen, glauben wir in der Schweiz noch immer, von globalen Krisen verschont zu werden und flächendeckendes Wohlfühlen finanzieren zu können. Die demografische Entwicklung läuft dahin, dass schon in wenigen Jahrzehnten zwei Arbeitende einen Rentner werden finanzieren müssen. Statt Überlegungen anzustellen, wie wir diese konfliktgeladene Generationenfrage entschärfen können, bürden die Initianten der kommenden Generation bedenkenlos weitere Lasten auf. Wer Familie hat, kann seine Kinder oder Neffen mal fragen, ob diese bereit seien, zu zweit Ihr Frührentner-Dasein zu finanzieren. Eben, und wir sprechen hier von der Familie, nicht von Fremden.
Würde der Arbeit statt Leistungsverzicht
Viel wichtiger wäre es, im Hinblick auch auf kommende globale Krisen, festzulegen, welche Arbeiten für die Schweiz die höchste Wertschöpfung und das meiste Zukunftspotenzial haben, um dann möglichst viele Menschen für diese Aufgaben zu begeistern und Rahmenbedingungen zu schaffen, dass die Menschen altersgerecht und würdevoll möglichst lange am Arbeitsprozess teilnehmen können. Die Schweiz ist nicht durch Leistungsverzicht wohlhabend geworden. Wie falsch die Anreize der Initiative sind, zeigt die Aussage einer Bäuerin, die Initiative sei wichtig, damit die nächste Generation den Hof etwas früher übernehmen könne und dann eine Chance habe, den Hof weiter zu entwickeln. Die Frage drängt sich auf, wieso die nächste Generation erst etwas richtig machen kann, wenn die Alten abtreten und wieso wir das scheinbar falsche Modell jedes Jahr mit Milliarden subventionieren. Ich hoffe doch, die Schweizer sind mehr als ein müdes Volk von Hirten und falsch wirtschaftenden Bauern.
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