Kunsthaus Bregenz: Mythos

«Mythos» gehört zu einer zweiteiligen Ausstellungsfolge, die zwei wesentlichen Quellen künstlerischen Handelns gewidmet ist. «Mythos» führt, wie schon die erste Ausstellung «Re-Object», eine zentrale historische Position mit drei zeitgenössischen Künstlern zusammen. Stellte bei «Re-Object» Marcel Duchamp mit ausgewählten Werken das Bezugsfeld für die künstlerischen Strategien von Damien Hirst, Jeff Koons und Gerhard Merz dar, so übernimmt in der Ausstellung «Mythos» mit Werkstatements von Matthew Barney, Douglas Gordon und Cy Twombly diese Rolle Joseph Beuys.

Verdichtende Wünsche
Mit der Idee des «Mythos» wird die Welt der rational fassbaren Wirklichkeit ins Übernatürliche und Übermenschliche ausgeweitet. In dieser verdichten sich Wünsche, Ahnungen und Schicksale. Dass der Mythos die Wahrheit nicht beschreibt, sondern umschreibt und mythische Erfahrungen zu den urtümlichen Erlebnissen und Äusserungsweisen der Menschen gehören, wurde für das Wirken von Joseph Beuys in der erstrebten Konvergenz von Kunst und Leben zur Grundvoraussetzung. Beuys verkörpert durch das Zusammenwirken von Person und Werk die grösste individuelle Mythologie seit Duchamp. Beuys hat ein Werk geschaffen, in dem durch die Transformation von Materialien, Kräften und Energien mythische Erfahrungen wieder zur Hauptquelle künstlerischen Schaffens und des Lebens überhaupt erhoben werden. Insofern sind seine Werke vor allem für jene Künstler von Bedeutung, die den scharfen Gegensatz zwischen einem rein rationalen Vorgehen und dem umfassenden Bewusstsein des Menschen aufzuheben versuchen.

Das alles überragende Todesmotiv
Die zentrale Idee der im Kunsthaus Bregenz gezeigten Werke ist das Todesmotiv. Bei Joseph Beuys und seinem Werk «Strassenbahnhaltestelle», das der Künstler 1976 ursprünglich als Installation für den zentralen Raum des deutschen Pavillons auf der Biennale in Venedig schuf, entsteht aus der Rekonstruktion einer frühen Kindheitserinnerung an ein historisches Monument in Gestalt von Eisenabgüssen barocker Mörserbomben, einer Strassenbahnschiene und eines martialisch anmutenden Kopfes in der Mündung eines Kanonenrohrs ein mythisches Bild des Erinnerns, Leidens und Erkennens.

Durch das Werk von Douglas Gordon zieht sich als mythisch-tragischer Grundton der persönliche Zwiespalt des Menschen angesichts seines anderen, dunklen Ichs. Gordon arbeitet mit verschiedenen Medien wie Film, Video, Text und Skulptur und hat, wie bei seiner Ausstellung 2002 im Kunsthaus Bregenz, immer wieder grosse Installationen zum Thema der Fragilität menschlicher Existenz geschaffen. So wird seine neue, speziell für «Mythos» entstandene Arbeit eines von vierzig Sternen durchlöcherten Totenkopfes zum Sinnbild des Todes an der Grenze zwischen dem Überdauern von Kunst und dem Verlöschen der menschlichen Existenz.

Alle Elemente in Matthew Barneys Werk wie Zeichnungen, Filme und Objekte funktionieren zusammen wie grosse skulpturale Systeme. Ihre verschlüsselte narrative Grundstruktur basiert auf der Verknüpfung unterschiedlicher mythischer Quellen verschiedener Kulturen. So zeigt Matthew Barney die bisher in Europa noch nicht ausgestellte raumfüllende Skulptur «Cetacea» von 2005. Sie ist ein Abguss von Barneys berühmtem «Field Emblem» in zerstörtem Zustand. Ort der Handlung war das japanische Walfangschiff «Nisshin Maru», Schauplatz seines neuen Films «Drawing Restraint 9». Dieser handelt vom Zusammentreffen und Ineinanderaufgehen von Fremden (dargestellt von Matthew Barney und seiner Frau Björk) als «Occidental Guests» in der fernöstlichen Kultur Japans und kulminiert in der mythischen Verwandlung menschlicher Wesen in walähnliche Kreaturen.


Cy Twombly Lepanto, 2001.

Cy Twombly hat in seinem Werk mit grosser Geste Mythologie, Literatur und Geschichte im poetischen Duktus skripturaler malerischer Handlung vereint. Eine zentrale Rolle spielt die Idee der Passage, das Bild des Schiffes und der Reise als eines transformierenden Übergangs zwischen Leben und Tod. Diese Idee klingt auch in dem berühmten Bildzyklus «Lepanto» (2001) an, den Twombly als Beitrag für die Biennale in Venedig schuf. Heute befindet sich der Zyklus im Besitz der Sammlung Udo und Anette Brandhorst, München. Er erzählt in zwölf Bildtafeln die Geschichte einer der bedeutendsten und blutigsten Seeschlachten, bei der eine Allianz zwischen spanischen, venezianischen und päpstlichen Truppen die Osmanen besiegte. Aus der Tradition der Historienmalerei heraus verlegt Twombly das Historisch-Erzählende und Antik-Mythische in ein malerisches Panorama abstrakt expressiver Spannung zwischen Schönheit und Tod. (kb/mc/th)

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