Tino Sehgal hat eine spezifische Form von Kunst entwickelt, die nur dann entsteht, wenn man ihr begegnet. Ausgeführt von Interpreten, existieren seine Arbeiten als Situationen, die in flüchtigen Gesten, in Bewegungen oder gesprochenen Wörtern gründen und im Austausch mit den Besuchern stattfinden. Der Künstler ersetzt damit die materielle Produktion von Objekten durch temporäre Werke aus Körper, Raum und Zeit.
Das unkonventielle Arbeiten im Museum
Dennoch erfüllen Sehgals Arbeiten die Konventionen von Werken der bildenden Kunst. Sie sind für die gesamte Dauer einer Schau im Ausstellungsraum präsent, werden verkauft und von Museen oder Privatpersonen gesammelt. Die jeweilige Arbeit entsteht dadurch, dass eine oder mehrere Personen im Ausstellungsraum etwas tun. Sehgal hat dabei in den letzten Jahren mit einer Vielzahl von Interpreten gearbeitet, darunter mit Museumsaufsichten und Sängerinnen, mit Kindern, Akademikern und sozial benachteiligten Personen. In ihrer Situationsgebundenheit und Ereignishaftigkeit stellen seine Arbeiten den traditionellen musealen Kontext auf die Probe. Die menschliche Stimme, Sprache, Bewegung und Interaktion sind also die künstlerischen Materialien, mit denen Sehgal innerhalb der Tradition von Skulptur und Installation eine radikale Position absteckt.
Der Choregraph als Forscher
Sehgals Ausbildungen in politischer Ökonomie und Choreographie spielen eine grundlegende Rolle für sein Werk. Mithilfe seiner Arbeit erforscht Sehgal soziale Prozesse, Konventionen und Rollenzuweisungen und unterzieht grundlegende Bestandteile nicht nur der Kunstherstellung, sondern ebenso gesellschaftlicher Systeme einer Neudefinition: Materialität, Idee, Originalität, Produzent, Konsument, Eigentümer und Marktwert.
Bei seiner ersten Einzelausstellung in Österreich wird Tino Sehgal auf den vier Ausstellungsebenen des Kunsthauses drei skulpturale Situationen präsentieren, von denen zwei erstmalig gezeigt werden.
Zum Künstler:
Tino Sehgal wurde 1976 in London geboren und lebt zurzeit in Berlin. 2005 vertrat er (zusammen mit Thomas Scheibitz) Deutschland auf der 51. Biennale in Venedig. Einzelausstellungen in jüngerer Zeit: ICA, London (2006 und 2005), Kunsthalle Hamburg (2005), Fundacão Serralves, Porto, Musée des Beaux-Arts de Nantes, Van Abbemuseum, Eindhoven (2004). Außerdem hat er an einer Reihe von Gruppenausstellungen teilgenommen, u. a. an der 1. Moskauer Biennale (2005), der 50. Biennale in Venedig (2003) sowie an «I promise it?s political», Museum Ludwig Köln (2002). (khb/ mc/th)