Kunsthaus Zürich zeigt «Félix Vallotton. Idylle am Abgrund»

Dabei scheute er weder karikierende Anspielungen noch wahrte er den Schein der bürgerlichen Idylle. In vielen Werken klingen bereits formale Elemente an, die im Surrealismus, der Neuen Sachlichkeit und in der Metaphysischen Malerei wichtig werden sollten.


Félix Vallotton (1865-1925) gilt als intelligenter Beobachter seiner Zeit. Erst durch Heirat selbst Teil der Bourgeoisie geworden, ging er kritisch und ironisch mit bürgerlichen Konventionen um. Seine messerscharfen «Körperportraits», die für die Zeitgenossen die Grenze des Erträglichen übersprangen, machten ihn zu einem international beachteten Künstler. In Lausanne geboren, studierte er in Paris und verkehrte einige Jahre im Kreis der Künstlergruppe Nabis. Er arbeitete als Illustrator für avantgardistische Zeitschriften und schrieb Stücke, die wie seine Kunst bisweilen von beissendem Sarkasmus und schwarzem Humor getragen sind. In der Ausstellung im Kunsthaus Zürich stehen diejenigen Gemälde im Zentrum, die damals wie heute die Betrachter irritieren.


Interieur und Ehebruch
Seine symbolhafte Bildsprache rückt ihn nahe an die Psychoanalyse – insbesondere, wenn es um das Verhältnis der Geschlechter zueinander geht, wie im Gemälde «La visite» (1899). Dessen Szene scheint aus einem gesellschaftskritischen Theaterstück von Ibsen oder Strindberg geschnitten. Es zeigt, wie eine Dame der Gesellschaft sich die Freiheit nimmt, die Wohnung ihres Liebhabers aufzusuchen. Neben Eingefrorenheit und Statik zeichnen sich diese wie andere Interieurszenen durch eine knisternde Spannung aus. 







Entblössung mit fotografischem Blick
Der Schwerpunkt der Auswahl liegt bei Aktbildern, die Frauen in stilisierten Umgebungen zeigen. Vallottons unverblümte Darstellung des weiblichen Körpers – ein sanftes Schielen, zwei unterschiedlich geformte Brüste oder ein tiefer Haaransatz – haben viele Zeitgenossen verunsichert. Als einer der wenigen Avantgardisten inspirierte er sich von den Bildfindungen der Klassizisten, wich aber von ihnen ab: kühler und schonungsloser war sein Blick auf den Körper, synthetischer seine Farbgebung und natürlicher seine Figuren, die sich in Haltung und Proportion vom Ideal entfernten. Ein Hang zur Deformation? Zu allererst der Versuch, der weiblichen Figur eine individuelle Gestalt zu verleihen.
Ironie im Grossformat
Zum ersten Mal in dieser Ausführlichkeit werden grossformatige Gemälde präsentiert, die sich auf die Mythologie beziehen. Vallotton nannte sie die «grandes machines», in denen er sich bekannter Themen wie «Persée tuant le dragon» (1910) bedient und neu interpretiert. Er stattet Figuren mit modernem Make-Up und Frisuren aus, lässt aus dem Drachen ein Krokodil werden, und anstelle des traditionell an einen Felsen geketteten, schönen Opfers stellt er eine emanzipierte Frau des 20. Jahrhunderts dar, die mürrisch dreinblickend den Kampf des Mannes mit dem Ungeheuer fast unbeteiligt miterlebt.

In der Gesellschaft seiner Zeit war der Kampf der Geschlechter aktuell, doch durch Konventionen kaschiert. Umso heftiger ist die Wirkung, wenn ihn Vallotton im Bild entkleidet und so unvermittelt darstellt.


Magischer Realismus in Landschaft und Stilleben
Unverfänglicher ist seit jeher die Gattung des Stilllebens, die ebenfalls vertreten ist. Doch bei Vallotton sind selbst diese von einer befremdlichen Künstlichkeit. Neben den «Poivrons rouges» (1915), blankpoliert auf einem jungfräulich weissen Tisch präsentiert, liegt ein rot beflecktes Messer. Ist es Blut oder nur eine Spiegelung der Peperoni? Vallotton enthüllt und verhüllt zugleich.


Leere Landschaften aus klar abgegrenzten Farbflächen und jähen Hell-Dunkel-Kontrasten springen dem Besucher ins Auge. Was den Impressionisten noch heilig war – das Licht, die Natur und die wissenschaftliche Zerlegung des Spektrums der Farbe – rückt Vallotton aus dem Blickfeld des Betrachters. Er seziert sein Gegenüber mit Blicken und überzieht die Gegenstände, denen er eine Bühne bereitet, mit einer eigenen Seelenstimmung. In Technik und Inszenierung nimmt er dabei formale Elemente des Surrealismus, der Neuen Sachlichkeit und der Pittura Metafisica vorweg. (kh/mc/th)

Exit mobile version