Bern – Anhand von Werken aus der Sammlung des Kunstmuseum Bern wirft die Ausstellung «Alles zerfällt» von 13.12.2019 bis 20.09.2020 ein neues Licht auf die Folgen der Demütigung des menschlichen Subjektes in der Schweizer Kunst des 19. und frühen 20. Jahrhunderts.
Sigmund Freud hält 1917 in einem Text fest, dass die drei «narzisstischen Kränkungen der Menschheit», ausgelöst durch den historischen Fortschritt wissenschaftlicher Erkenntnis, den Menschen zu einer Möglichkeit unter vielen machen. Die drei umstürzenden Entdeckungen Kopernikus’, Darwins und Freuds, die zu einer wesentlichen Veränderung des menschlichen Bewusstseins führen, sind: die kosmologische – die Erde ist nicht der Mittelpunkt des Weltalls –, die biologische – der Mensch ist aus der Tierreihe hervorgegangen – und die psychologische Kränkung – Entdeckung des Unterbewusstseins. Die Bezeichnung des «Ich» bezieht sich plötzlich nicht mehr auf ein sich selbst beherrschendes und selbstständiges Wesen und macht klar, dass ein beträchtlicher Teil des Seelenlebens sich der Herrschaft des bewussten Willens entzieht. Die Ausstellung zeigt, wie die Schweizer Kunst des 19. und frühen 20. Jahrhundert diesen Prozess, der den Menschen aus dem Mittelpunkt drängt, bildlich zu fassen versuchte.
Politische und gesellschaftliche Umwälzungen
Die in alle Bereiche eingreifenden technischen Erfindungen sowie politische und gesellschaftliche Umwälzungen machten auch vor der Kunst nicht halt. So lost sich in den damaligen Darstellungen der Mensch in der Landschaft allmählich auf. Romantische, malerische und teils idyllische Naturbilder werden zum Ausdruck der gleichgültigen Monumentalität der Natur gegenüber der Menschheit. Ihre Undurchdringlichkeit, Trostlosigkeit und Bedrohlichkeit löst eine sachliche Darstellung der Welt ab, die nur darauf wartete, erobert zu werden.
Aura der Rätselhaftigkeit
Personen werden nicht mehr nur nachgezeichnet und abgebildet, sondern richten ihren Blick nach innen. Bilder von schlafenden, schlummernden, kranken oder betrunkenen Menschen veranschaulichen, wie er sich mit seinen Traumen, Ängsten, Instinkten und seinem vielschichtigen Verlangen verbindet und in ihnen aufgeht. In den Werken dieser Zeit tauchen vermehrt Spiegel, Zwitterwesen und wilde Tiere auf. Die friedvolle Natur, die ursprünglich Alltagsszenen als Hintergrund diente, wird nun von einer Aura der Rätselhaftigkeit, unergründlicher Spannung oder sogar der Verzweiflung gezeichnet. (Kunstmuseum Bern/mc/kbo)