Kunstmuseum Liechtenstein: Transformation – Aus eigener Sammlung

Dem Betrachter bleibt überlassen, ob er die Landschaften, die Berge, die Tanzenden, die Fahrenden oder die sich öffnenden Formen einfach an sich vorbei ziehen lässt oder ob er sich in die Geschichten der einzelnen Werke und in die Beziehungen der Werke untereinander einlässt. Im Schlendern wie im Vertiefen wird jeder seine eigene Erzählung finden. «Transformation» handelt von Pro-zessen der Verwandlung: Die Ausstellung lässt die Besucher in Bilder unserer Gesellschaft, der Natur und des Menschen eintauchen und erzählt von den Wandlungen unseres täglichen Daseins, dabei veranschaulicht es des Menschen Potential.



Joseph Beuys 1921-1986, Schlitten (Sledge), 1969


Die Frage nach dem Grundlegenden
Die Erzählung entwickelt sich über fünf Räume des Museums. Den Auftakt bildet im Obergeschoss ein Raum, der eine Atmosphäre von Sehnsüchten, von Träumen, von Wagemut, von Unternehmungsgeist verströmt, aber auch von persönlich Erlebtem handelt. Und dahinter taucht schemenhaft die Frage des Eigentlichen hervor: Was sind die grundlegenden Bedürfnisse des Menschen? Diese Frage bildet den durchziehenden Faden der Ausstellung. Es sind Fragen an unser Dasein, Fragen an unseren innersten Sinn, die diese offene Erzählung und die einzelnen Kunstwerke in uns anrühren.


Sind wir Zukunftsfähig?
Ein aufgeschlagener persönlicher Brief der Künstlerin Hanne Darboven aus der Ferne an ihre Eltern geschrieben ist das erste Kunstwerk der Ausstellung. «Ein konkretes Wissen um Morgen (Zukünftiges) gibt es nicht, wissen tut man nur um Gestern – um Gewesenes. Mit dem fortschreitendem Gestern bereichert sich ein Wissen – Erkenntnisse sammeln sich an – … » Nach diesem Moment des inneren Anhaltens führt das Fahrrad von Simon Starling «Carbon (Urban)» uns zu einer äusseren Bewegung und stellt zugleich die Frage an unsere Zukunftsfähigkeit. In was für ein Vehikel hat Simon Starling das Fahrrad verwandelt und warum?


Haben wir ein Verhältnis zur Natur?
In einem der anschliessenden Säle wird der Betrachter vom Schritt einer «Herde» Kamele von Not Vital empfangen. Von Tieren, die das Notwendige zum Überleben in einer extremen Situation in sich tragen. In diesem Raum spricht alles vom Verhältnis des Menschen zur Natur. Zum einen ist die tiefe Sehnsucht des Menschen zu verspüren, im Einklang mit der Natur zu leben, und zugleich sind auch seine archaischen und instinktiven Triebe, die ihn als Teil der Natur kennzeichnen, auszumachen. Welches Verhältnis prägt heute unser Verhältnis zur Natur?


Gibt es eine notwendige Veränderung?
Wählt man einen anderen Weg durch die Ausstellung, wird man mit Bildern des Menschen in unserer Zivilisation konfrontiert. Der Betrachter begegnet der Skulptur einer Tänzerin, deren Füsse sich mechanisch auf und ab bewegen. Skulpturale Spielautomaten der Künstlerin Rita McBride in ihrem enormen Volumen verstellen uns ebenso den Blick, wie die Skulptur: «Four Kings for a Republic» von Ian Hamilton Finlay. Was ist unser Bewegungsspielraum? Welche Umgebung hat sich der Mensch geschaffen? Was sind unsere Werte? Stiften sie einen Beitrag zum Wohlbefinden jedes Einzelnen oder ist der Beuys´sche Filzanzug notwendig, um uns zu schützen und abzuschotten? In Warhols «Bellevue» verblasst in der ständigen medialen Wiederholung das Bild einer Selbstmörderin. Die Aufmerksamkeit über die Tragik ihres Todes wird überlagert durch das Tun der Lebenden. Wo ist das Bewusstsein für die Schöpfung in unserem alltäglichen Leben? Spiegelt sie sich im Stereotyp der attraktiven Frau oder in der Perfektion der Ave Maria betenden Ehefrau, auf welche in der Arbeit «Perfekt» von Annemarie Jehle angespielt wird? Vertrauen wir dem im Menschlichen wohnenden Potential? Es geht um die notwendige Veränderung des Menschen, um seine Zukunftsfähigkeit.


Wie fühlt sich das Leben an?
Der vierte Raum der Ausstellung bildet einen Wandelpunkt. Die Arbeit von Joseph Beuys deutet nicht nur durch ihren Titel «Raum 3, die ganze deutsche Nachkriegslyrik bestehend aus «Ausgerutscht!» «Partitur aus: der ganze Riemen» d.h. (ausgerutschter Raum)», auf ein Ausgerutschtsein des menschlichen Kapitals hin, sondern spricht auch von der Verheissung des Wagnis des sich Aufrichtens, zu dem wir fähig sind. Beuys bietet uns zudem ein Überlebensvehikel an, ein Schlitten, der in den Zeiten der spätka-pitalistischen Kälte alles Notwendige für einen Aufbruch bietet: Fett = Nahrung, Filz = Wärme, Licht = Potential und Klarheit. Das Vehikel selbst verkörpert den Moment von Bewegung auf dem Weg zur Transformation, zur Wärme. Auch begegnen die Betrachter in Olafur Gislasons Arbeit lebenden Bäumen, die von Menschen erzählen, die berichten, wie das Leben sich anfühlt in der Fremde, in die das Schicksal sie geführt hat. Deutlich wird, wie die Menschen selbst es sind, die die Orte prägen.


Geht die Welt immer weiter?
Nachdem im Erdgeschoss die Sehnsucht nach einer neuen Innerlichkeit in der Ausstellung «Biedermeier im Haus Liechtenstein. Die Epoche im Lichte der Fürstlichen Sammlungen » durchschritten ist, kommen die Reisenden an Quellen. Quellen, die das tiefste in unserem menschlichen Dasein anrühren, die an eines unserer elementarsten Grundbedürfnisse erinnern: Die Frage nach dem was lebendig ist in der Welt und in uns selbst. Die Frage nach unserer Herkunft, nach dem Sinn unseres Lebens und die Verbindung zum Kosmos, zur Spiritualität. Das organisch sich ausbreitende Wachstum in der Bienenwachsspirale von Mario Merz spiegelt zum Beispiel ein Vertrauen in die Notwendigkeit vorwärts zu gehen und die Welt in ihrem Verlauf mitzugestalten.


Im Gewand des Reisenden durch die Ausstellung wird eine Besinnung auf die wahren Bedürfnisse des Menschen und damit letztlich auf seine nötige geistige Veränderung in diesen Zeiten des Umbruchs angeregt. (kml/mc/th)

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