Ein Jahr nach der erfolgreichen Ausstellung der Arbeiten auf Papier von Cuno Amiet widmet sich das Kunstmuseum Solothurn nun Amiets engstem Freund Giovanni Giacometti (1868-1933), mit dem er zuweilen vor denselben Motiven der Oberengadiner Landschaft gezeichnet und aquarelliert hat. Es ist ein Glücksfall, dass das Bündner Kunstmuseum Chur, wo das Schaffen von Giovanni Giacometti besonders breit vertreten ist, nicht nur als Leihgeber, sondern auch als Ausstellungspartner gewonnen werden konnte.
Qualitäten der Zeichnung neu zu entdecken
Im Unterschied zur Amiet-Ausstellung, die sich auf das Frühwerk des Künstlers beschränkte, wird die Präsentation für Giovanni Giacometti alle Schaffensphasen berücksichtigen. Damit kann eine grosse Lücke in der Giacometti-Rezeption geschlossen werden, lag das Augenmerk doch bislang v.a. bei seinen Ölbildern. Giovanni Giacometti hat als Holzschneider, Zeichner und Aquarellist jedoch ebenso Hervorragendes geleistet wie als Maler. Dies wollen Ausstellung und Buch erstmal in umfassender Weise vor Augen führen. Da sich der Künstler der verschiedensten Techniken und Stile bediente, ermöglicht sich eine sehr reiche Ausstellung. Gleichzeitig werden aber auch die Konsequenz der Themen und der hohe künstlerische Rang sichtbar.
Feines Licht der Landschaft
Als grosser Kolorist fasziniert Giovanni Giacometti vor allem in seinen virtuosen Landschafts-Aquarellen und den Pastellen, die von solch seltener Frische sind als wären sie erst gestern entstanden. In manchen, nahezu ungegenständlichen Blättern konzentriert er sich auf die reine Erscheinung von Farbe und Form. Unter den Arbeiten auf Papier machen die Aquarelle den grössten Teil aus; der Künstler hat sie von allem Anfang an mit seinen Ölbildern ausgestellt, und sie sind nun auch mit einer grossen und starken Gruppe von Exponaten vertreten.
Der Gegenstand modelliert von seinem Schatten
Von besonderer Qualität sind die Holzschnitte, in denen sich Giacometti für das stimmungsvolle Spiel von Licht und Schatten interessiert. Dabei gelingen ihm eindrucksvolle Blätter von schlagender Kraft, die den besten Arbeiten der deutschen Expressionisten gleich kommt. Viele seiner Graphiken hat er in verschiedenen Farbvarianten ausgeführt. Anhand exemplarischer Werkgruppen kann dies in der Ausstellung nachvollzogen werden. In Vitrinen werden zudem einige der originalen Druckstöcke und Druckplatten gezeigt, die sich heute im Bündner Kunstmuseum, Chur, befinden. Wie bei Amiet reflektieren manche von Giacomettis Radierungen und Zeichnungen das gemeinsame Vorbild Giovanni Segantini.
Das grosse Erbe
Kaum bekannt sind seine späten figurativen Bleistiftzeichnungen der zwanziger Jahre, die in ihren typischen Parallel-Schraffuren an die Zeichnungen seines Sohnes Alberto denken lassen, mit dem er sich damals intensiv austauscht. Zuweilen wurde Alberto Giacomettis Abwendung vom Surrealismus in den dreissiger Jahren denn auch mit dem bewussten Weitertragen des künstlerischen Erbes von Giovanni Giacometti erklärt, des über alles geliebten und geschätzten Vaters, der 1933 unerwartet gestorben ist.
Zu erwähnen ist schliesslich eine Gruppe meisterhafter Entwürfe und Detailstudien, die als Vorbereitungen zu bedeutenden Ölbildern erkannt werden können, u.a. zu den Werken Emmaus und Giovanni de Vöja (beide 1907) im Kunstmuseum Solothurn. (cv/mc/th)
Das Buch zur Ausstellung (Kehrer-Verlag Heidelberg) umfasst 184 Seiten mit 83 Farbreproduktionen und 69 s/w-Abbildungen sowie drei Aufsätzen von Ulrich Gerster, Beat Stutzer und Christoph Vögele (Fr. 49.?). In einer Auflage von 40 Exemplaren wird zudem ein Neuabzug (vom originalen Druckstock) von Giovanni Giacomettis Holzschnitt Lavatori del ghiacchio ? Die Eisbrecher (1925) angeboten. (Fr. 500.?)