von Patrick Gunti
Herr Emmerich, Herr Kramarsch, Towers Perrin hat die Jahresberichte 2007 der SMI-Unternehmen hinsichtlich Transparenz der Vergütungsausweise, der Vergütungsstruktur und der Vergütungshöhe des Top-Managements ausgewertet und analysiert. Welche generelle Bilanz lässt sich ziehen?
Michael H. Kramarsch: Unsere Analyse belegt einen deutlichen Fortschritt in puncto Transparenz der Top-Management-Vergütung bei den führenden Unternehmen in der Schweiz für das zurückliegende Geschäftsjahr. So weisen auf Grundlage von Neuregelungen bei den nationalen Corporate-Governance-Bestimmungen alle Unternehmen erstmals die Vergütungen für ihre Verwaltungsräte namentlich aufgeschlüsselt nach Vergütungsbestandteilen in den Geschäftsberichten für 2007 aus.
Martin Emmerich: Auch bei den Geschäftsleitungsmitgliedern hat sich in puncto Vergütungstransparenz einiges bewegt. Wir sehen die Unternehmen ganz klar auf einem Weg zu mehr Transparenz in Fragen des Vergütungsausweises.
Sie würdigen in der Bilanz das Bemühen zu einer offeneren Informationspolitik, orten aber auch noch viel Optimierungspotenzial. Wo?
Michael H. Kramarsch: Die aktuellen Geschäftsberichte zeigen das Bemühen der Unternehmen, den gestiegenen Anforderungen nach Transparenz nachzukommen. Allerdings ist speziell mit Blick auf den Vergütungsausweis von Geschäftsleitungsmitgliedern das international übliche Transparenzniveau noch nicht erreicht. Hier besteht noch Aufholbedarf für die Schweizer Corporate-Governance-Richtlinien – und mit ihnen für die SMI-Unternehmen.
Martin Emmerich: Konkret sind es zum Beispiel erst vier SMI-Unternehmen – und damit eine Minderheit im SMI -, die freiwillig und vollständig die individuellen Vergütungshöhen ihrer Geschäftsleitungsmitglieder ausweisen. Das hat Vorbildcharakter. Wer sich den Bedingungen des Kapitalmarkts stellt, muss auch den entsprechenden Corporate-Governance-Vorgaben folgen.
Ein Vergleich der Vergütungsangaben auf Jahresebene ist noch nicht möglich, aber inwieweit sind die aktuellen Angaben der Unternehmen untereinander vergleichbar?
Martin Emmerich: Die Vergütung von Verwaltungsräten setzt sich zusammen aus Grundsalär, Aktien, einer Tantieme, teils einer Langfristvergütung und Nebenleistungen. Anders als Geschäftsleitungsmitglieder erhalten sie in der Regel keine Altersversorgungszuwendungen, beziehen dafür aber Sitzungs- und Ausschussgelder. Unsere Analyse zeigt, dass die Vergleichbarkeit bei den Vergütungselementen, Grundsälar und Tantieme, weitgehend gegeben ist.
Michael H. Kramarsch: Bei den anderen Vergütungselementen ist die Ausweispraxis hingegen sehr heterogen. Während einige Unternehmen diese Komponenten separat und individuell darlegen, unterscheiden andere Unternehmen lediglich zwischen der Vergütung in bar und in Aktien. Ausschussvergütungen oder Sitzungsgelder sind kaum individuell zuzuweisen. Nebenleistungen werden meist nicht angegeben, fallen aber in der heutigen Zeit immer weniger ins Gewicht. Die Vergütung von Verwaltungsratspräsidenten ist jedoch nur sehr bedingt vergleichbar.
Michael H. Kramarsch: Das stimmt. Hintergrund sind die unterschiedlichen Governance-Strukturen. Im Rahmen des Single-Board-Systems sind Verwaltungsräte in SMI-Unternehmen auch in die operative Arbeit ihres Unternehmens eingebunden. In vier Unternehmen sind Verwaltungsratspräsident und CEO identische Personen.
? ein kritikwürdiger Umstand Schweizer Corporate Governance?
Michael H. Kramarsch: Ja, ganz klar, denn hier vermischt sich nicht nur Vergütung, sondern vor allem auch die Kontrollfunktion mit operativer Steuerung des Unternehmens. Und es ist immer unglücklich, wenn nicht gar unmöglich, sich selbst zu kontrollieren.
«Aus unserer Sicht braucht ein führendes Wirtschaftssystem eine grösstmögliche sinnvolle Transparenz in Fragen der Top-Management-Vergütung – die Betonung liegt dabei auf dem Begriff «sinnvoll». (Michael H. Kramarsch, Managing Director Towers Perrin)
Wie steht die Schweiz im internationalen Vergleich da – was machen andere Länder besser?
Martin Emmerich: Die klare Trennung von Unternehmenskontrolle und -leitung ist einer der zentralen Aspekte, die in anderen Wirtschaftsnationen deutlich konsequenter gelebt werden, selbst im angelsächsischen Raum. So gibt es in Grossbritannien bereits seit Jahren die Vorgabe einer Ämtertrennung. In anderen Ländern wie Deutschland oder Österreich stellt sich diese Frage aufgrund der dualen Board-Struktur nicht. Hier sind Kontrolleure und operative Manager eines Unternehmens in zwei getrennten Organen unabhängig voneinander aktiv.
Michael H. Kramarsch: Auch hinsichtlich der Vergütungstransparenz liegt die Schweiz trotz aller Verbesserungen noch nicht auf einem Spitzenplatz unter den führenden Wirtschaftsnationen. Weitaus mehr Transparenz besteht in den USA, Grossbritannien, Frankreich und Deutschland – ohne dass ich damit sagen will, dass wir hier den optimalen Zustand jeweils schon erreicht haben.
Wie sähe denn dieser optimale Zustand aus?
Michael H. Kramarsch: Aus unserer Sicht braucht ein führendes Wirtschaftssystem eine grösstmögliche sinnvolle Transparenz in Fragen der Top-Management-Vergütung – die Betonung liegt dabei auf dem Begriff «sinnvoll». Denn es geht nicht um die Bedienung voyeuristischer Bedürfnisse, sondern darum, Investoren und Aktionären – also den Eigentümern des Unternehmens – die wesentlichen Vergütungsinformationen zu vermitteln.
Martin Emmerich: Wesentliche Informationen sind der individuelle Ausweis der Bezüge nach Vergütungselementen basierend auf klaren Corporate-Governance-Richtlinien und den notwendigen Hilfen, wie zum Beispiel Handlungsanweisungen und Kommentaren. Die Schweizer Börse hat hier mit ihrem Kommentar zum Swiss Code of Corporate Governance bereits den richtigen Weg eingeschlagen.
Sollten externe Interessensgruppen über die Managementvergütungen entscheiden können?
Michael H. Kramarsch: Die Eigentümer müssen ein funktionierendes Mitspracherecht in Vergütungsfragen haben. Alle anderen Vorschläge, auch die einer gesetzlichen Deckelung von Vergütungshöhen, basieren auf einem fehlgeleiteten Verständnis von Wirtschaft. Sofern Aktionäre über ein funktionierendes Mitspracherecht verfügen, ist dies das beste und einzig legitime Regulativ.
Martin Emmerich: Konkret und sinnvoll umgesetzt ist dieses Regulativ derzeit in Grossbritannien in Form des sogenannten «non-binding vote». Die Aktionäre stimmen hier auf der Hauptversammlung über die Grundzüge der Managementvergütung ab, wohlgemerkt über die Systematik, nicht die Höhe für jedes einzelne Geschäftsleitungsmitglied. Unter diesen Bedingungen haben in der jüngeren Vergangenheit bereits eine Reihe von Unternehmen ihre im Aktionärskreis vorgestellten Regelungen zurückziehen und korrigieren müssen.
Seite 2
$$PAGE$$
Welche Kriterien müssen an ein gerechtes Salär und an ein faires Gehaltssystem angelegt werden?
Michael H. Kramarsch: Ein faires Salär legitimiert sich über den Unternehmenserfolg. Top-Manager schulden den Erfolg, nicht das Bemühen. Wer in guten Zeiten eine unternehmerische Entlöhnung reklamiert, muss das auch in schlechten Zeiten gelten lassen. Die letztverantwortliche Legitimierung erfolgt über die Aktionäre, denn über deren Vermögen wird entschieden und deren Interessen sind in den Anreizsystemen des Managements zu verankern.
Als Begründung für die hohen Bezüge wird oft die Verantwortung der Manager genannt und die Gehälter, die im Ausland bezahlt werden. Zu recht?
Martin Emmerich: Das Argument der Verantwortung ist zutreffend. Die Vergütung der Geschäftsleitung ist legitimiert durch den Unternehmenserfolg, der auch dem Wohle der Aktionäre und Mitarbeitenden dient. Das heisst aber auch, dass Vergütung in schlechten Zeiten geringer ausfallen muss, der Bonus auch mal auf Null sinken kann.
Michael H. Kramarsch: Zum Vergütungsvergleich mit dem Ausland ist zu sagen, dass Vergütung immer einen nationalen Referenzrahmen braucht. Jeder sollte aufhorchen, wenn die Rede auf «Global Pay» kommt, denn damit ist in der Regel nie ein Vergütungsvergleich etwa mit Albanien gemeint, sondern immer mit US-Verhältnissen. Aber diesen Vergütungsdruck gibt es nicht, genauso wenig wie einen international durchlässigen Arbeitsmarkt für Führungskräfte. In den USA arbeiten kaum Schweizer Manager auf Top-Ebene, und die Zahl von amerikanischen CEOs in den führenden Schweizer Unternehmen ist ebenfalls überschaubar. Das Argument eines globalen Arbeitsmarktes als Rechtfertigung einer hohen Vergütung ist – mit wenigen Ausnahmen – nicht stichhaltig.
Welche verbindlichen Richtlinien beeinflussen heute in der Schweiz die Transparenz hinsichtlich der Vergütungsstruktur und der Vergütungshöhe?
Martin Emmerich: Massgebliche Corporate-Governance-Regelungen für die Schweizer Wirtschaft sind das Schweizer Obligationenrecht, der Swiss Code of Best Practice for Corporate Governance des Schweizer Unternehmerverbands economiesuisse sowie die Corporate-Governance-Richtlinie der Schweizer Börse SWX. Ergänzend ist der aktuelle Stand des Kommentars der SWX zu ihrer Corporate-Governance-Richtlinie heranzuziehen.
Michael H. Kramarsch: Mit diesen Basisdokumenten verfügt die Schweiz – auch international gesehen – über ein grundsätzlich tragfähiges Basis-Regelwerk für Corporate Governance, das aber in den genannten Punkten noch weiter entwickelt werden muss.
«Das Argument eines globalen Arbeitsmarktes als Rechtfertigung einer hohen Vergütung ist – mit wenigen Ausnahmen – nicht stichhaltig.» (Michael H. Kramarsch, Managing Director Towers Perrin)
Gilt diese Forderung nach Weiterentwicklung vor allem für den gesetzlichen Bereich. Muss das Obligationenrecht verschärft werden?
Michael H. Kramarsch: Grundsätzlich sind wir keine Verfechter von gesetzlichen Detailvorgaben, aber der Rahmen muss stimmen. Ist das der Fall, kann die Wirtschaft mit einem Interessensverbund wie der economiesuisse über den Ansatz zur Selbstverpflichtung viel bewirken. Auch die SWX folgt mit ihrem Ansatz einer fortschreitenden Kommentierung ihrer Corprate-Governance-Richtlinie dem richtigen Weg. Wie gesagt, die Grundlagen sind gelegt, die Vorgaben müssten nur vervollständigt und präzisiert werden.
Martin Emmerich: Ein offener Punkt ist die Sanktionierung von Verstössen gegen die Corporate- Governance-Richtlinien. Es muss ganz klar deutlich werden, dass – wer sich nicht an die Vorgaben in puncto Vergütungsausweis etc. hält – konkrete Gegenmassnahmen zu erwarten hat. Dies ist bislang nicht der Fall. Ein Beispiel: Die SWX hätte diesbezüglich reiche und wirkungsvolle Gestaltungsmöglichkeiten.
Speziell im Zusammenhang mit der Subprime-Krise ist die Diskussion um Management-Saläre noch einmal so richtig in Wallung geraten. Ein Ende der Diskussionen um die Entschädigungen für das Top-Management scheint nicht absehbar?
Michael H. Kramarsch: Diese Diskussion wird auch nicht abreissen und das ist grundsätzlich gut so, leiten sich doch aus Fragen zur Managemententlöhnung Grundsatzfragen zu unserem Gesellschafts- und Wirtschaftssystem ab. Allerdings braucht diese Diskussion neben der Öffentlichkeit, vor allem mehr Struktur, Sachlichkeit und Expertise. Wer die Hoffnung hegt, dass mehr Transparenz zu einer Versachlichung der Diskussion führt, den muss ich allerdings enttäuschen.
Herr Emmerich, Herr Kramarsch, besten Dank für das Interview.
Zur Person
Martin Emmerich ist Principal bei Towers Perrin, wo er als Practice Leader die Bereiche Compensation und Financial Services verantwortet. Seit 2005 steuert er als Manager zudem die Schweiz-Aktivitäten des Geschäftsfelds Human Capital Group. Herr Emmerich verfügt über mehr als vierzehn Jahre Beratungserfahrung im Vergütungs- und Performance-Management.
Michael H. Kramarsch ist Managing Director der Towers Perrin Human Capital Group. Er zeichnet seit März 2005 für die Aktivitäten von Towers Perrin im Geschäftsfeld HR Management im deutschsprachigen Europa verantwortlich. Er verfügt über mehr als 15 Jahre Erfahrung in der Beratung führender europäischer Unternehmen. Seine Spezialgebiete sind Vorstands- und Aufsichtsratsvergütung, wertorientierte Unternehmenssteuerung, Corporate Governance sowie aktienbasierte Vergütungs- und Beteiligungsmodelle.
Über Towers Perrin
Towers Perrin zählt zu den weltweit führenden Management-Beratungen und bietet innovative Lösungen in den Geschäftsfeldern Human Capital Group (HR Management Consulting) sowie Risk & Financial Services (Consulting für Finanzdienstleister und Versicherungsunternehmen/Tillinghast, Reinsurance). Mit mehr rund 6.000 Mitarbeitern agiert Towers Perrin weltweit in 26 Ländern. Im deutschsprachigen Raum arbeiten derzeit mehr als 300 Mitarbeiter an den Standorten Frankfurt, Köln, Reutlingen, Wien und Zürich. Im Geschäftsfeld Human Capital Group berät Towers Perrin Unternehmen in der Strategieumsetzung zu HR-Management-Fragestellungen. Beratungsschwerpunkte sind Vergütung- und Performance-Management, betriebliche Altersversorgung, Strategie und Organisation der HR-Funktion, Talent Management sowie M&A.