Martin Rapaport, Chairman und CEO, Rapaport Group, New York: «Dubai ist neues Hongkong im Diamantenhandel».

von Gérard Al-Fil


Moneycab: Herr Rapaport, wann sind Sie das letzte Mal über die Zürcher Bahnhofstrasse spaziert?


Martin Rapaport: Vor genau einer Woche!


Wie beurteilen also Sie die aktuelle Lage der Schweizer Juwelierbranche?


Ich glaube, der Schweizer Markt ist weiterhin stark, weil er sich auf eine vermögende Privatkundschaft spezialisiert hat und dies sein Trumpf bleiben wird. Es gab weltweit noch nie so viele High Net Worth Individuals (HNWIs) wie heute. Ich war übrigens anlässlich der Uhren- und Schmuckmesse BASELWORLD in der Schweiz, und auf der Messe wurde deutlich, dass neue HNWIs aus Indien und China immer stärker in den Markt drängen. Das bedeutet: eine kaufkräftige, internationale Klientel reist weiterhin in die Alpenrepublik und diese Kunden sind bereit, für Qualität einen entsprechenden Preis zu bezahlen. Allerdings beobachten wir die rasante Globalisierung auch in der Diamantenindustrie. Arabische Kunden können z. B. Edelsteine genau so gut hier in Dubai kaufen oder andernorts, so dass auf absehbare Zeit die Nachfrage das Angebot übersteigen wird. Unterstützt wird dieser Trend vom schwachen Dollar, der meines Erachtens auch weiterhin unter Druck bleiben wird. Die Leute wollen raus den Dollar und ihr Vermögen in andere Assets umschichten und da bietet sich Diamantenschmuck an, weil er in Dollar bewertet oft preiswerter zu haben ist.



«Jeder in der Diamantenindustrie hat eine Verantwortung für dass, was in Afrika geschieht. Wir müssen dafür Sorge tragen, dass die Steine frei von Konflikten und Gewalt ans Tageslicht kommen.» Martin Rapaport, Chairman und CEO, Rapaport Group


Sollte ein Juwelier aus Zürich also besser über eine Auslandsfiliale in Dubai nachdenken, um verlorene Marktanteile vor Ort zu «recyclen», wie es ja auch die Schweizer Banken mit Niederlassungen tun?


In der heutigen Zeit läuft jeder Gefahr, Terrain einzubüssen. Der Wettbewerb ist härter denn je, da müssen Sie ihren Konkurrenten ständig auf den Fersen sein. Stillstand wäre Rückschritt. Darauf zu zählen, die Kunden würden Ihnen von selbst treu bleiben, wäre fatal. Wir haben es in unserer Branche mit einem HNWI-Typ zu tun: jung, mobil und sehr kritisch. Also müssen Sie raus zum Kunden und dürfen nicht mehr warten, bis er zu Ihnen kommt. So glaube ich durchaus, dass Dubai eine «neue Schweiz» oder besser: ein neues Hongkong ist, wo man einfach Flagge zeigen muss!


Gibt es eigentlich irgend einen Juwelier auf der Bahnhofstrasse oder am Genfersee, der nicht Ihr Kunde ist?


Nun, ich hoffe, dass sie alle unsere Kunden sind. Wir, die Rapaport Group, sind die primäre Quelle für Preis- und Marktinformationen rund um den Diamantenhandel. Wir beschäftigen weltweit etwa 100 Leute an unserem Hauptsitz in New York und in Las Vegas, in Antwerpen, Vincenza, Dubai, Ramat Gan (Israel), Mumbai, Shanghai und Hongkong. So bin ich mir fast sicher, dass jeder, der in der Schweiz Diamantenringe, Diademe, Halsketten und welchen Diamantenschmuck auch immer verkauft, den Rapaport Diamond Report bezieht.


Haben Sie den Film «Blood Diamond» gesehen?


Ja, und ich habe vor kurzem auf einer Konferenz in New York auch den Produzenten des Films Ed Zwick getroffen. Ich glaube, Ed Zwick hat mit diesem Streifen den Kern des Konflikts in Sierra Leone erfasst. Ich war selbst während des Bürgerkriegs im Jahr 2000 in Sierra Leone. Jeder in der Diamantenindustrie hat eine Verantwortung für dass, was in Afrika geschieht. Wir müssen dafür Sorge tragen, dass die Steine frei von Konflikten und Gewalt ans Tageslicht kommen. Dies bedeutet zugleich die Chance, sich zu differenzieren, auch im Hinblick auf den Umweltschutz und die Bekämpfung von Kinderarbeit in den Minen. Unsere Branche muss einen geistigen Rahmen schaffen, um den Konsumenten die Gewissheit zu geben, dass er nicht nur Schmuck, sondern auch Ethik trägt.


Was haben Sie persönlich dazu beigetragen, um die ethischen Standards in der Branche zu erhöhen?


Ich habe aktiv bei der Formulierung und Etablierung des Kimberly-Prozesses (benannt nach der südafrikanischen Stadt Kimberly, d. Red.) mitgewirkt, einem weltweiten System zur Bekämpfung des Vertriebs von Diamanten aus afrikanischen Bürgerkriegsgebieten, den «Konflikt-» oder «Blutdiamanten». Auch die Vereinigten Arabischen Emirate (VAE) nehmen am Kimberly-Selbstregulierungsschema teil. Ausserdem arbeiten wir eng mit der amerikanischen Agency for International Development (AID) und dem britischen Department for International Development (DFID) zusammen. Ich selber reise auch regelmässig nach Sierra Leone und prüfe selbst, ob die Diamantenminen unseren hohen ethischen Standards entsprechen. Dort und in Südafrika finanzieren wir auch Entwicklungsprojekte und Fair Trade-Programme. Für die Erhöhung und Überwachung der ethischen Standards arbeiten bei uns ein halbes Dutzend Vollzeitangestellte.


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Es heisst, dass im europäischen Diamantenmekka Antwerpen, wo auch Sie Ihre Ausbildung genossen haben, heute immer mehr indische Diamantenhändler das bestehende jüdische Netzwerk verdrängen. Können Sie das bestätigen?


Es ist eher so, dass Dubai die Inder aus Antwerpen weglockt, weil sie hier in den Emiraten die Nähe zur Heimat schätzen. Die jüngsten Probleme der Inder von Antwerpen haben mit einigen Fällen zu tun, bei denen die belgische Polizei offenbar nicht ihre Pflichten wahrte. Fälle, bei denen Inder sogar zu Tode kamen. Die belgischen Behörden verhalten sich gegenüber der indischen Gemeinde notorisch unsensibel. So weichen immer mehr indische Diamantenhändler nach Dubai aus. Auch darf Belgien, meiner Ansicht nach, bei der Bekämpfung der Geldwäscherei oder der Besteuerung keine Kompromisse eingehen. So bleibt Antwerpen ein schwieriges Umfeld. Antwerpen wird auf jeden Fall in den nächsten Jahren an Bedeutung verlieren, weil für die Juden Israel und für die Inder Dubai immer interessanter wird.



«Ausserdem sehen wir Finanzinnovationen auf die Branche zukommen, wie Futures-Kontrakte auf Diamanten, was die Hedging-Möglichkeiten erhöht und zu mehr Markttransparenz führen wird.»


Welche weiteren Veränderungen werden auf die Diamantenindustrie zukommen?


Neue, wohlhabende Bevölkerungsschichten aus Indien und China fragen Diamantenschmuck nach, ich spreche von einige hundert Millionen neuen Konsumenten. Diese neue Mittelschicht wird v. a. Schmuck im unteren Preissegment nachfragen. Der Dollar wird weiter schwächeln. Der Wohlstand und Konsum verschiebt sich, was der Industrie nur gut tun kann. Eine höhere Nachfrage wird für höhere Preise sorgen. Ausserdem sehen wir Finanzinnovationen auf die Branche zukommen, wie Futures-Kontrakte auf Diamanten, was die Hedging-Möglichkeiten erhöht und zu mehr Markttransparenz führen wird. Fondsgesellschaften werden Wege finden, ETFs auf Diamanten-Indices zu emittieren. Wir sind überzeugt, dass es sich heute kaum noch Händler oder Konsumenten leisten kann, einen Deal abzuschliessen, ohne vorher im Internet Marktpreise und aktuelle Trends geprüft zu haben. Denen, die Veränderungen akzeptieren und beherzt neue Wege gehen, gehört die Zukunft.


Haben Sie sich als jüdischer Diamantenguru in Dubai jemals falsch behandelt gefühlt?


Nein.


Könnten Sie dann nicht aufgrund Ihrer exzellenten Kontakte in der arabischen Welt und in Israel im Palästinakonflikt vermitteln und zu einen umfassenden Frieden im Nahen Osten beitragen?


(lächelt) Oh, ich glaube nicht, dass ich unbedingt einen umfassenden Frieden herbeiführen kann. Das ist ja auch keine Angelegenheit, die Dubai und Israel betrifft, sondern Israel und die Palästinenser. Ich glaube aber, dass die Art und Weise, wie wir in der Branche miteinander umgehen doch zeigt, dass es einen gemeinsamen Weg gibt. Wenn jüdische Händler, wie mein Team und ich, nach Dubai reisen und arabische nach Jerusalem, dann reden wir kaum über Politik, aber wir kommen uns menschlich näher. Wir betrachten uns auch eher als Freunde denn als Feinde. Das würde auch gar nicht funktionieren, denn der Diamantenhandel ist ein sehr persönliches Business, bei dem es um sehr grosse Summen geht. Dass ich arabische Geschäftspartner zu meinen Freunden zähle, hat meinen politischen Standpunkt freilich beeinflusst. Nur ist die israelisch-palästinensische Situation sehr viel komplexer, als dass sie eine reine Angelegenheit der Diamantenindustrie wäre.


Ihr Grusswort an unsere Leser?


Allen moneycab-Lesern «Masel und Broches» (hebräisch für: «Glück und Segen». Im Deutschen ist daraus das geflügelte Wort «Mast- und Schotbruch» entstanden, d. Red.)





Der Gesprächspartner
Martin Rapaport gilt als der «Bill Gates der Diamantenindustrie». Der in Antwerpen ausgebildete Gemologe brachte im Jahr 1978 die Rapaport Diamond Price List auf den Markt, die noch heute von der globalen Diamantenindustrie als primäre Referenz im Handel mit Preziosen verwendet wird. In Branchenkreisen nennt man diese Liste knapp «the Rap» oder einfach nur «the List». 1982 etablierte Martin Rapaport RapaNet, einen interaktiven Onlinebusiness für Diamanten, der inzwischen zur Internethandelsplattform Diamonds.net ausgebaut wurde und zusammen mit der Internetbörse INDEX® 300’000 Edelsteine mit einem Gesamtwert von über 2.7 Milliarden Dollar anbietet.

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