von Radovan Milanovic
Wie ist Max Havelaar Stiftung organisiert? Wer sind die Kapitalgeber?
Wir sind eine nicht gewinnorientierte Stiftung, welche 1992 von den grossen Schweizer Hilfswerken, Caritas, Helvetas, Swissaid, Fastopfer, Brot für Alle und HEKS, mit einem Startbeitrag des SECO ins Leben gerufen worden ist. Seit 2002 sind wir über unsere Lizenzeinnahmen eigenfinanziert.
Max Havelaar Produkte werden unter dem Fairtrade Labelling Organizations International (FLO) hergestellt. Diese Organisation, bei dessen Gründung Sie dabei gewesen sind, regelt Standards wie die Handelsbedingungen, Arbeitsverhältnisse und den umweltschonenden Anbau. FLO umfasst 21 Fairtrade Organisationen, knapp 2.000 lizenzierte Handelspartner, weltweit über 10.000 zertifizierte Produkte, 1,4 Mio. Produzenten in über 50 Ländern, wobei rund 6 Mio. Menschen vom System profitieren.
Ist FLO noch übersichtlich, noch kontrollierbar?
Der internationale Erfolg des fairen Handels ? 2008 wurden Fairtrade-zertifizierte Produkte im Wert von knapp 3 Mrd. Euro abgesetzt ? bedingte, dass wir uns zwischen den Ländern besser abstimmen und laufend professionalisieren. Mit diesem Ziel wurde FLO 1997 gegründet. Wir haben soeben einen Strategieprozess durchlaufen, der zu einem neuen Geschäftsmodell für den fairen Handel weltweit führt. Max Havelaar Schweiz war als reifste Fairtrade-Organisation massgeblich daran beteiligt. Ich selber bin im Vorstand von FLO.
In 2007 hat der Absatz der FLO an Bananen 72%, des Zuckers 111%, der Fruchtsäfte um 295%, der Baumwolle um 815% zugenommen. Was ist der Grund für dieses starke Wachstum?
Zurzeit erleben wir einen wahren Fairtrade-Boom, bei dem nun auch im Ausland der Mainstream erkennt, dass der faire Handel nicht nur entwicklungspolitisch sinnvoll, sondern auch einem echten Konsumentenbedürfnis entspricht. Am dynamischsten entwickelt sich England, wo inzwischen grosse Marken wie Cadbury und praktisch alle wichtigen Detailhändler von Marks&Spencers bis Tesco auf Fairtrade setzen.
Werden den Produzenten die ganzen Ernten abgekauft, auch mit langfristigen Verträgen? Was geschieht mit der Produktion, die von den Produzenten gekauft, durch Sie nicht abgesetzt werden kann?
Nein, die Produzenten haben Dank Fairtrade einen besseren Zugang zum Markt, aber i.d.R. verkaufen sie nur einen Teil ihrer Produktion in den fairen Handel. Alles unter Fairtrade zu verkaufen wäre riskant: würde eine Organisation dezertifiziert, wäre sie völlig vom Markt abgeschnitten. Diejenige Produktion, welche nicht mit dem Fairtrade-Gütesiegel verkauft wird, geht in den konventionellen Handel oder werden auf den lokalen Märkten verkauft.
«Der Mindestpreis muss als eine Versicherung für die Kleinbauern für Preisbewegungen nach unten angeschaut werden. Das gibt ihnen Sicherheit, auch um langfristige Investitionen zu tätigen oder Kredite aufzunehmen.»
Wie sieht die Zukunft der FLO aus? Ist die kritische Grösse noch nicht erreicht?
Unser Ziel ist Nachhaltigkeit und Entwicklung für benachteiligte Produzenten im Süden. Hier haben wir noch einen weiten Weg zu gehen. Die Geschichte des fairen Handels zeigt, dass er noch jedes Mal in der Lage war, sich den neuen Gegebenheiten anzupassen, wenn er eine kritische Grösse erreicht hat. Unser neues, internationales Geschäftsmodell ist das jüngste Beispiel.
Gewährt oder vermittelt Max Havelaar, bzw. die FLO auch Micro-Kredite für Partner in den Schwellenländern?&
Das ist nicht unsere Aufgabe. In der Praxis verwenden aber die Produzentenorganisation die Fairtrade-Prämie oftmals, um ihren Mitgliedern Mikrokredite zu ermöglichen. Ebenso wollen wir in Zukunft durch ein besseres Informations- und Know-how-Management den Produzenten besseren Zugang zu spezialisierten Anbietern ermöglichen. Die von uns zertifizierten Produzenten haben es ohnehin einfacher, an Kapital zu kommen.
Die Preise von Soft Commodity des konventionellen Anbaus sind im vergangenen Jahr bis Dezember 2008 zusammengebrochen. Diese haben jedoch seit ihrem Tief bis 20% zugelegt. In welchem Ausmass haben diese Preisbewegungen Einfluss auf die Preisgestaltung der Produkte gehabt?
Die Fairtrade-Standards garantierten den Bauern einen kostendeckenden Mindestpreis. Sind die Marktpreise höher, gilt der Marktpreis. Der Mindestpreis muss als eine Versicherung für die Kleinbauern für Preisbewegungen nach unten angeschaut werden. Das gibt ihnen Sicherheit, auch um langfristige Investitionen zu tätigen oder Kredite aufzunehmen. Die Preispositionierung der Endprodukte, etwa von Röstkaffee oder einer Tafelschokolade ist Sache unserer Lizenznehmer.
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Max Havelaar bietet die Produkte in Fachgeschäften für fairen Handel, aber auch in Grossverteilern wie Coop, Denner, Manor, Migros, Spar und Jelmoli an. Vor der Eröffnung der Lidl-Supermärkte in der Schweiz standen Sie auch in Verhandlungen mit dem deutschen Discounter. Sind Sie zu einer Einigung gekommen?
Die Max Havelaar-Stiftung bietet selber keine Produkte an. Max Havelaar ist ein Gütesiegel und keine Handelsmarke und in diesem Sinne offen für alle, die sich ernsthaft engagieren wollen. Bezüglich Lidl gibt es keine Neuigkeiten.
Der Umsatz des ursprünglichen Kernprodukts, der Kaffee, wächst wohl seit 2002 rund 20%, ist jedoch nur noch «ein Produkt» von vielen. Was ist der Grund für diese Entwicklung?
Konsumenten entscheiden sich bei Genussprodukten wie Kaffee und Schokolade oft für Markenartikel. Im Gegensatz zu ihren ausländischen Konkurrenten haben die Schweizer Markenartikler den Wunsch der Konsumenten nach mehr Nachhaltigkeit noch zu wenig erkannt, abgesehen von ein paar wenigen Erfolgsbeispielen wie etwa das Fairtrade-Engagement der Saftmarke Michel oder der Modefirma ISA Bodywear.
Im vergangenen Jahr konnten die Migros-Unternehmen, ohne Migros Deutschland und Frankreich, den Detailhandelsumsatz um 17,1% steigern. Der Grossverteiler meldete jedoch für 2008 einen Verkaufsrückgang von Max Havelaar Produkten um -0,4% obwohl das eigene Bio-Label ein Wachstum von +10,7% verzeichnete. Gehen Sie davon aus, dass die Migros mit seinen Bio-Produkten den Umsatz von Max Havelaar Artikeln konkurrenziert hat oder rechnen Sie mit weiteren Umsatzrückgängen?
Die Migros hat erkannt, dass sie ihre Fairtrade-zertifizierten Eigenmarken stärker pflegen muss. In ihrer neuen Dachmarkenstrategie nimmt die Nachhaltigkeit einen wichtigen Platz ein. Das stimmt mich zuversichtlich, dass sich die Migros in Zukunft noch stärker für den fairen Handel einsetzt.
Mit der Finanzkrise werden die Konsumenten kostenbewusster einkaufen. Haben Sie Hinweise einen konjunkturell bedingten Umsatzrückgang? Mit welchen Massnahmen treten Sie diesem entgegen?
Noch haben wir keine Anzeichen eines Rückgangs. Persönlich bin ich der Überzeugung, dass die Finanzkrise vor allem auch eine gesellschaftliche Wertekrise ist. Die Frau und der Mann auf der Strasse machen sich wieder mehr Gedanken über den allgemeinen Zustand unseres Planeten und was sie persönlich tun können. Genau darauf antwortet der faire Handel.
«Die Migros hat erkannt, dass sie ihre Fairtrade-zertifizierten Eigenmarken stärker pflegen muss. In ihrer neuen Dachmarkenstrategie nimmt die Nachhaltigkeit einen wichtigen Platz ein.»
Die steigende Konkurrenz im Lebensmittel Handel haben die Preise ins Rutschen gebracht. Dadurch erhoffen sich die beiden Grossverteiler die Verteidigung ihrer Marktanteile. Können und werden Sie ebenfalls preisseitig aus gleichen Motiven reagieren?
Wie bereits erwähnt, als Gütesiegel mischen wir uns nicht in die Preispositionierung unserer Marktpartner ein. Diese bestimmen selber die Qualität des Produkts, die Preispositionierung und die Distribution.
Der Wohlstand in der Schweiz hat dazu geführt, dass die Pro-Kopf Ausgaben für Fair-Trade-Produkte, weltweit am höchsten sind. Der Schweizer ist auch bereit, einen gerechtfertigten Preis für Ihre Produkte zu bezahlen. Ein Unternehmen lebt jedoch, indem es wächst. Wie sieht Ihre Wachstumsstrategie aus?
Aus unseren Marktforschungen wissen wir, dass die Nachfrage nach Fairtrade in der Schweiz weiterhin sehr gross ist. Wir konzentrieren uns zurzeit darauf, Markenartikler und den Gastronomiekanal zu bearbeiten, wo der faire Handel noch wenig Fuss gefasst hat. Zudem arbeiten wir an Innovationen mit unseren langjährigen Partnern Coop und Migros. Letztendlich liegt es vor allem auch an der Innovationskraft und dem Commitment unserer Marktpartner, ob der faire Handel in der Schweiz weiter wächst.
Der Gesprächspartner:
Martin Rohner (42) ist seit dem 1. Oktober 2005 Geschäftsleiter der Max Havelaar-Stiftung (Schweiz).
Martin Rohner studierte Betriebswirtschaftslehre an der Universität St. Gallen und verfügt über ein Nachdiplomstudium im Bereich Umwelt und Entwicklung der Universität Cambridge, England. Bevor er als Berater bei der Weltbank und der Interamerikanischen Entwicklungsbank in Washington tätig war, arbeitete er im Bundesamt für Aussenwirtschaft in Bern. Martin Rohner ist verheiratet und lebt mit seiner Frau und zwei Kindern in Basel.
Das Unternehmen:
Die Max Havelaar-Stiftung (Schweiz) erteilt ein Gütesiegel für Produkte aus benachteiligte Regionen des Südens, die fair gehandelt sowie gemäss sozialen Standards und möglichst umweltschonend produziert werden. Die Einhaltung der internationalen Fairtrade-Standards wird von einer unabhängigen Zertifizierungsstelle kontrolliert. Das Max Havelaar-Label gibt es für Bananen, Ananas, Mango, Avocado, Fruchtsäfte, Kaffee, Tee, Schokolade, Kakao, Honig, Zucker, Reis, Blumen und Pflanzen sowie Baumwollprodukte und Textilien.