Von Patrick Gunti
Moneycab: Herr Wittwer, in der Schweiz sind die Sommerferien vorbei ? Zeit für eine erste Bilanz. Wie sind für TUI die Geschäfte in diesem Sommer gelaufen? Hat sich der erhoffte und prognostizierte Aufschwung fortgesetzt?
Martin Wittwer: Aktuell liegt unser Auftragsbestand für den Sommer 2004 (April ? Oktober) rund 10 Prozent über dem vergleichbaren Vorjahreswert. Optimistische Prognosen gehen davon aus, dass ? sofern grössere politische Ereignisse, welche die Menschen verunsichern, ausbleiben ? die europäischen Touristen bis gegen Ende 2005 bezüglich Intensität und Frequenz zu dem in der Vergangenheit bekannten Reiseverhalten zurückkehren werden.
Welches waren denn in diesem Sommer die beliebtesten Ferienziele, und welche Destinationen liegen derzeit nicht mehr im Trend?
Bei den Städtereisen liegen Athen, Berlin, Dresden, Düsseldorf, London, Stockholm, Stuttgart und Wien deutlich im Trend. Bei den Mittelstrecken-Destinationen liegen die Südtürkei, Zypern und die Badeferienziele am Roten Meer an der Spitze. Dahinter folgen die griechischen Inseln und in diesem Jahr besonders der griechische Westpeloponnes (Festland) für Entdeckungsfreudige. Auf der Hitliste ganz nach vorne gerückt sind Bulgarien und Kroatien. Ein besonderes Wachstum stellen wir bei den Reservierungen für Clubferien ? einer beliebten Ferienformel für Familien – fest, wo wir mit Imholz Kinder Club, Magic Life Club und Robinson Club über drei beliebte, qualitativ hochstehende und preislich vorteilhafte Programme verfügen.
Bei den Fernreisen sind die asiatischen Destinationen wie Malediven, China, Indonesien, Thailand, Vietnam gefragt. Dazu kommen Australien und Mexiko sowie die Karibik mit der Dominikanischen Republik und Kuba. Auch Nordamerika mit den USA und Kanada von Flex Travel liegen ? u.a. auch wegen dem günstigen Dollarkurs ? mit einem deutlichen Plus gut im Rennen.
Immer häufiger verbringen Schweizerinnen den Sommer in der Schweiz und reisen dann in den Herbstferien ins Ausland. Wie sieht der Buchungsstand hier aus?
Die Reiselust kehrt wieder zurück. Die Anzeichen für die Herbstmonate sind deutlich positiv. Von Ende September bis Ende Oktober haben wir bereits zusätzliche Kapazitäten (z.B. Griechenland, Türkische Riviera, Rotes Meer) eingekauft, um allen Kunden einen Platz an der Sonne bieten zu können.
Das Hamburger Zukunftsinstitut hat einige Trends ausgemacht, die das Reiseverhalten derzeit bestimmen. Ich möchte Sie um Ihren Kommentar bitten, ob die einzelnen Trends auch auf den Schweizer Markt zutreffen:
«Destination Ich»-Reisen = Reisen, die in der Weiterentwicklung des Wellness-Booms das Rundum-Wohlfühlen in den Mittelpunkt stellen. Nicht mehr das Reiseziel steht im Mittelpunkt, sondern die Begleitumstände des Reisens.
«Reisen ist die Sehnsucht nach Leben» sagte einst Kurt Tucholsky. Der Trend zu ein paar Tagen Wellness für die Damen, aber auch für die Herren ist tatsächlich unbestritten. Die Auswahl im Nahbereich mit eigener Anreise und Fernbereich mit Fluganreise ist vielfältig. So bringen Ferien in einem Robinson Club die richtige Mischung aus Individualiät und Exklusivität in einem vielfältig gestalteten Umfeld. Unter dem Motto «Zeit für Gefühle» erlebt jeder Gast, dass das «Ich-Sein» im Vordergrund steht. In den Katalogen sind die Spezialprogramme wie Event-Wochen, Golf, WellFit- respektive Gourmet-Programme und vieles mehr prominent vertreten. Zusätzlich bieten wir im Imholz-Vital-Katalog den Kunden ausgewählte Wohlfühlprogramme an.
Als Gegentrend dazu immer ausgefallenere Abenteuer-Reisen.
Wenn Sie Surf- und Tauchferien oder die neue Trendsportsportart Kitesurfen zu den Abenteuerreisen zählen, spüren auch wir diesen Gegentrend. «Hart am Wind sein» oder «Sprachlos die Unterwasserwelt betrachten» sind eindeutig beliebt.
«Stilgruppen-Reisen» ? für ganz spezielle Zielgruppen in ganz bestimmten Lebenssituationen
Die Angebote unserer Veranstaltermarken orientieren sich stark am gesellschaftlichen Wandel. So führen wir zielgruppenspezifische Angebote wie Clubferien mit unterschiedlichem Inhalt für Familien und Einzelreisende, einen exklusiven «Single-Corner» für Einzelreisende im Last-Minute-Bereich oder für sportliche Gäste Angebote von Spinout SportTours (Tauchen, Surfen, Kiten) und alle Trendsportarten im Robinson Club.
«Back-Home-Tourismus» = Die Leute verbringen ihren Urlaub zu Hause.
Das tut ab und zu gut! Einverstanden. Doch mehr als die Hälfte unserer Bevölkerung gibt an, dass sie mindestens ein Mal jährlich verreisen möchte.
Individualisierte Pauschalreisen = Aus verschiedenen Bausteinen zusammengesetzte Reisen
Diesem Marktsegment wird für die Zukunft tatsächlich ein dynamisches Wachstum vorausgesagt. Die Schweizerinnen und Schweizer reisen jedoch im Vergleich zu ihren europäischen Nachbarn schon heute sehr individuell, so dass die Steigerung vergleichsweise moderat ausfallen wird. Mit der neuen Veranstaltermarke Flex Travel sind wir seit rund einem Jahr in diesem Markt erfolgreich tätig. Zusätzliches Volumen erwarten wir mit dem Asien-Katalog von Flex Travel, den wir Ende August lancieren werden.
$$PAGE$$ Gerade der Trend zum Urlaub zu Hause oder zumindest im eigenen Land hat ja auch mit der mittlerweile latenten Angst vor terroristischen Anschlägen zu tun. Gibt es eine Möglichkeit, wie Reiseveranstalter dieser Angst entgegenwirken können?
Das Risikobewusstsein bei den Kunden ist in den letzten Jahren gestiegen. Die Reiseerfahrung lehrt, dass Ferien kein Gegenalltag ist. Wie im Alltag können auch in den Ferien Probleme auftauchen. Die Kunden haben sich auf die veränderte Lage eingestellt und gehen aktiv damit um. Sie treffen mehr vorsorgliche Massnahmen: Sie wählen eine Reiseregion aus, die sie subjektiv als sicher empfinden. Leben und Reisen ist immer mit einem gewissen Risiko verbunden. Als Reiseveranstalter können wir der Angst nicht direkt entgegenwirken. Wir sind jedoch aufgrund der uns zur Verfügung stehenden Informationen in der Lage, unsere Gäste über die allgemein gültige Einschätzung der möglichen Risiken an den Ferienorten zu orientieren oder ihnen zuverlässige Informationsquellen zu nennen.
Die Menschen reisen wieder, weil sie heute ? sei es im Reisebüro oder im Internet – Informationen bekommen, die sie brauchen, um die Sicherheit für sich persönlich abschätzen zu können. Zum Beispiel: www.eda.admin.ch / Reisehinweise
Thema Sicherheit: Stellt TUI bestimmte Anforderungen an Hotels, Airlines, örtliche Reiseveranstalter etc. betreffend zusätzlichen Sicherheitsmassnahmen?
Wir unternehmen in Zusammenarbeit mit den anderen Veranstaltern der World of TUI oder in der Schweiz, mit unseren an den Ferienorten stationierten ReiseleiterInnen, mit unseren Leistungspartnern sowie mit den Behörden alles, um für die Sicherheit der Gäste zu sorgen. Wir sind untereinander in ständigem Kontakt. Mit den Reiseunterlagen erhalten unsere Kunden Hinweise über verschiedene sicherheits- und gesundheitsrelevante Aspekte. Krisenmanagement heisst auch Krisenprävention. TUI Suisse steht im Rahmen der Krisen- und Notfallorganisation der World of TUI rund um die Uhr für seine Kunde bereit. Die Pauschalkunden profitieren im Gegensatz zu vielen Individualkunden in dieser Beziehung von mehr Qualität und Sicherheit.
Anschläge wie am 11. September oder auf Bali bringen den Tourismus in einigen Regionen praktisch zum erliegen. Wie stellt sich ein Reiseunternehmen wie TUI auf mögliche weitere Anschläge ein? Gibt es ein «worst case»-Szenario?
Reisen wird immer durch weltpolitische Ereignisse, durch das Wetter, durch den Verlauf der Konjunktur und damit der verfügbaren Einkommen der Gäste beeinflusst. Das war früher nicht anders als heute. Die ungewöhnliche Häufung der negativen Faktoren hat die Reisebranche zusätzlich in Bewegung gebracht. Nebenher haben sich aufgrund neuer Anbieter (z.B. Low-Cost-Airlines) die Marktverhältnisse deutlich verändert. Die Reiseunternehmen passen ihre Angebote und Dienstleistungen laufend den Wünschen der Kunden an und ordnen dabei ihre Strukturen neu. Die Herausforderungen sind vielfältig. Auch im Rahmen der World of TUI hat sich TUI Suisse frühzeitig auf die Veränderungen im Kundenverhalten eingestellt und neue Angebote wie Baukastenreisen, Familienferien und neue Vertriebsformen eingeführt.
Die Erdölpreise sind derzeit so hoch wie seit 20 Jahren nicht mehr. Zuschläge auf die bestehenden Reisepreise liessen sich schon diesen Sommer nicht mehr vermeiden. Weitere Zuschläge dürften nun folgen, oder?
Einzelne Fluggesellschaften verrechnen die Treibstoffzuschläge zum Teil bereits seit dem 1. Juni 2004 an die Kunden respektive Reiseveranstalter weiter. Die zusätzlichen Kosten können die Reiseveranstalter bei den generell günstigen Flugpreisen nicht mehr vollumfänglich übernommen werden. Ob es zu weiteren Zuschlägen kommen wird, hängt von den Fluggesellschaften ab.
Sie haben sich zuletzt ebenfalls Erholung und Ferien gegönnt. Sind Sie einem der obgenannten Trends gefolgt? Wohin ging die Reise?
Obwohl bei uns kalendarisch noch Sommer ist und sich viele Kunden in den Sommerferien befinden, befinden wir uns mitten in der Vorbereitung der Reiseangebote für den kommenden Winter. Die Zeit für längere Ferien ist um diese Jahreszeit nicht ideal. Für ein paar Tage ziehe ich mich jedoch trotzdem zurück. Mit meinen beiden kleinen Kindern und meiner Frau verbrachte ich kürzlich ein paar erholsame Tage im Wallis. Ferien sind für den Herbst geplant. Doch darüber haben meine Kinder entschieden. Weil sie die Atmosphäre, das Kinder- und Unterhaltungsprogramm in den Robinson Clubs derart lieben, gibt es keine Diskussion bezüglich der Wahl der Unterkunft. Dem Vorschlag schliesse ich mit Freude an.
Der Gesprächspartner
CEO TUI Suisse Ltd. (seit 1. Juli 1999)
Jahrgang: 1961, Nationalität: Schweizer
Zivilstand: Verheiratet, 2 Kinder
Zuvor:
1998-1999 Mitglied der Geschäftsleitung Kuoni Schweiz, Direktor Vertrieb
1997-1998 Mitglied der Geschäftsleitung Kuoni Schweiz
Direktor Marketing und Beteiligungen
1993-1996 Direktor und Geschäftsführer Reisebüro Popularis, Bern
1991-1993 Leiter Werbung/Marketing-Services Kuoni Schweiz
Mandate in der Reisebranche:
Seit 1999 Verwaltungsrat Schweizer Reisekasse REKA
Seit 2000 Vorstands-Mitglied Schweiz. Reisebüro-Verband
Seit 2001 Mitglied Stiftungsrat Garantiefonds der Schweizer Reisebranche.