Martin Zenhäusern: Prime Diversity ? die Besten wählen

Führungskräfte in Politik und Wirtschaft nehmen in der öffentlichen Wahrnehmung eine prägende Rolle ein, seien dies Bundesrätinnen und Bundesräte oder Verwaltungsräte und Geschäftsleitungen. Die Finanzmarktkrise hat uns eines gelehrt: Wer sich auf politischer wie auf wirtschaftlicher Führungsebene mit Subprime zufrieden gibt, läuft latent Gefahr, in eine Krise zu geraten oder dem Wettbewerb nicht genügen zu können. Subprime ? wörtlich: zweitklassig ? genügt nicht. Deshalb ist Prime Diversity ? also die Wahl der best möglichen Kandidatinnen und Kandidaten ? heute wichtiger denn je. Prime Diversity ist die optimale Zusammensetzung eines Organs, und zwar in Bezug auf die politische bzw. unternehmerische Erfahrung, die fachlichen Kompetenzen, die menschlichen Qualitäten (Wertehaltung), die Altersstruktur und die Gender-Balance (Mann-Frau-Anteil) sowie die kritische Distanz und den Blickwinkel.


Eine der unübertragbaren Aufgaben des Verwaltungsrates ist gemäss Art. 716a OR die Ernennung und Abberufung der mit der Geschäftsführung betrauten Personen. Die 246 Parlamentarierinnen und Parlamentarier haben in Bezug auf den Bundesrat dieselbe Aufgabe. In der Politik wie in der Wirtschaft gilt: Jede Organisation steht und fällt mit den Köpfen an ihrer Spitze. Da der Bundesrat letztlich die politische Verantwortung für knapp acht Millionen Menschen trägt, darf die Messlatte hoch gelegt werden. Ein sinnvolles Wahlsystem müsste deshalb die Wahl derjenigen, welche die Voraussetzungen für dieses Amt erfüllen, befördern statt behindern.


Systembedingte Negativ-Selektion
Die Bundesratswahlen sind bei Lichte betrachtet eine systembedingte Negativ-Selektion. Die zu erfüllenden Vorbedingungen und Einschränkungen sind derart breit gefächert, dass die Wahl der Besten häufig verunmöglicht wird. Eine Einschränkung – die Kantonsklausel ? ist zwar offiziell gefallen, bleibt jedoch in einigen Köpfen des Wahlgremiums weiterhin bestehen. Wer den letzten Schritt der politischen Ochsentour – den ins eidgenössische Parlament – nicht gemacht hat, verfügt in der Regel über geringere Wahlchancen als diejenigen Kandidaten, welche sich auch im National- oder Ständerat ihre Sporen abverdient haben. Unabhängig von der Qualität der Kandidatinnen und Kandidaten ist von mehreren Parlamentariern bekannt, dass sie eine Frauenmehrheit im Bundesrat ablehnen.


Eher befremdend ist, dass bei der Besetzung der wichtigsten politischen Ämter in diesem Land Eignung und Qualifikation der Kandidaten willkürlich gewichtet werden. In der Wirtschaft wäre es schlicht undenkbar, dass sich jemand für eine Führungsposition bewerben und in diese gewählt würde, ohne dass vorher Klarheit über Amt und Funktion bestünde. Die Kandidaten werden nach den Kriterien Parteizugehörigkeit, Geschlecht, Region, Alter, Religion und Sprache gewählt, nicht jedoch primär nach fachlicher Kompetenz und menschlicher Qualität. Da die Bereitschaft zu Integration und Kooperation kein explizites Wählbarkeitskriterium ist und die Medientauglichkeit höher gewichtet wird als die Fähigkeit zum Dialog, ergibt sich beinahe zwangsläufig eine Landesregierung, bei der Einzel- und Parteiinteressen im Widerstreit mit den übergeordneten nationalen Interessen stehen und häufig auch die Oberhand gewinnen. In einer solchen Konstellation darf selbst ein Mindestmass an gegenseitigem Vertrauen nicht mehr als selbstverständlich vorausgesetzt werden. Auch wenn keinem der Beteiligten an diesem Kompromiss beladenen Bundesrats-Wahlprozedere böse Absicht unterstellt werden darf, scheint eine fachlich unausgewogene und menschlich suboptimal zusammengesetzte Landesregierung dennoch billigend in Kauf genommen zu werden.


Notwendige Reformen 
Bei den aktuellen Bundesratswahlen stehen glücklicherweise valable Kandidatinnen und Kandidaten zur Verfügung. Die regelmässige Wahl der Besten bildet die Voraussetzung, dass der Bundesrat seine Führungsverantwortung wahrnehmen kann. Deshalb sind folgende Anpassungen notwendig: Erstens ist es unabdingbar, dass die jeweiligen Parteien mindestens zwei Kandidatinnen oder Kandidaten bezeichnen. Ein Einervorschlag entspricht einer unakzeptablen Zwängerei und kommt einer Bevormundung des Wahlgremiums gleich. Zweitens ist es den gestiegenen Anforderungen im Amt geschuldet, die Zahl der Bundesräte und damit auch der Departemente von sieben auf neun zu erhöhen. Um die Interessen der Schweiz wirkungsvoll vertreten zu können, müsste ? drittens ? die Rolle des Bundespräsidenten aufgewertet werden; ob als neunter Bundesrat mit eigenem Departement oder als zehnter Bundesrat mit Präsidialdepartement und Stichentscheid wäre zu prüfen. Er oder sie würde für vier Jahre gewählt, ohne Möglichkeit einer Wiederwahl, jedoch mit der Möglichkeit einer Abwahl bei einem qualifizierten Misstrauensvotum. Um das Parlament in die Pflicht zu nehmen, könnten die zwei bis maximal vier Kandidatinnen oder Kandidaten für das Präsidium von einer paritätisch zusammengesetzten parlamentarischen Findungskommission vorgeschlagen werden. Viertens müssten Räte und Parteien sich wieder bewusst werden, dass die grossen Aufgaben nur gemeinsam gelöst werden können und nicht mit einer rechthaberischen, kurzsichtigen und ideologisch eingefärbten Machtpolitik. Dies bedingt fünftens, dass auch die Parteigremien vermehrt mit Führungspersönlichkeiten besetzt werden, die erkennen, dass es weniger darum geht, wer die beste Idee hat, sondern was die beste Idee ist ? und dieser dann zum Durchbruch verhelfen.


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Martin Zenhäusern
Martin Zenhäusern ist Ratgeber für Führungskräfte und Unternehmen. Seine Schwerpunkte sind Kommunikation, Führung, Change- und Krisen-Management. Der Orell Füssli Verlag schreibt über ihn: «Als Berater von Entscheidungsträgern aus Wirtschaft, Politik, Gesellschaft und Kultur hat er ein feines Gespür für Veränderungen entwickelt, die zuerst nur hinter vorgehaltener Hand besprochen werden, bevor sie plötzlich und wie selbstverständlich zum breit diskutierten öffentlichen Thema werden» Autor von ?Warum tote Pferde reiten? Wie uns die Net-Generation zwingt umzusatteln?; ?Chef aus Passion? usw. Martin Zenhäusern ist Gründer und Inhaber der Zenhäusern & Partner AG sowie der Zenhäusern Akademie AG, beide in Zürich.. www.zen-com.com  , www.zenhaeusern.ch .

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