«… und dann habe ich mein MMS-Handy in die Schublade geschmissen und mein Uralt-Mobiltelefon von vor zwei Jahren wieder ausgegraben. Schliesslich will ich mit dem Teil bloss telefonieren.»
Von Matthias Zehnder
Mein Freund hatte einen roten Kopf, als er mir das erzählte. Aber nicht, weil er sich dafür schämte, sondern weil er sich so über den «technologischen Pippifax» aufregte.
Dieser Haltung begegne ich in letzter Zeit immer häufiger. Noch vor wenigen Monaten schämten sich Technikanwender, wenn sie die Technik nicht verstanden. Heute finden dieselben Technikanwender, dass sich der Hersteller schämen müsse, wenn sie ihre Produkte nicht verstehen. Da scheint sich ein Paradigmenwechsel anzubahnen.
Ein Paradigmenwechsel, der für die Technologiebranche gefährlich werden kann. Denn Computertechnik, Mobiltelefone, aber auch Videorecorder, digitale TV-Geräte oder MP3-Player sind alles andere als selbsterklärend. Das heisst: High-End-Geräte sind kompliziert. Es gibt auch den DVD-Player aus Korea für 80 Franken, der nichts anderes kann, als eine DVD abzuspielen. Oder das Noname-Handy vom Grossverteiler, das nichts anderes kann, als Telefonieren. Oder den Aldi-Computer, mit dem man unter dem Strich halt nur Texte schreiben kann.
«Wozu soll ich denn ein Telefon brauchen, wenn nicht zum Telefonieren?», fragt mich mein Freund. Und wozu ein DVD-Player, wenn nicht zum DVDs Abspielen und wozu Computer, wenn nicht zum Computern. Das fragen sich immer mehr Menschen. Nach dem grossen Technologie-Hype sind wir nämlich drauf und dran, in eine Phase der Technologieverdrossenheit zu geraten.
«Bescheidenheit im Technikeinsatz ist geradezu wieder hip.»
Es ist beileibe nicht nur Hausmann Karl Koch, der sein Telefon nur zum Telefonieren brauchen will und nicht auch noch zum Termine verwalten, Aktienporfolios managen und Fertilitätszeiten detecten. Auch Manager wie Gundula Gerngross und Vera Vielflieger haben es aufgegeben, ihre Termine mit dem schicken Handheld zu administrieren und kritzeln im Büro und am Gate wieder munter in die Papieragenda, ohne sich dabei zu schämen.
Bescheidenheit im Technikeinsatz ist geradezu wieder hip. Der Einsatz der Papieragenda, noch vor wenigen Monaten definitives Zeichen ewiger Gestrigkeit, ist zum Symbol für die «Lean Technology» geworden, für den bewusst sparsamen Einsatz von Technik.
Irgend etwas ist da ganz gewaltig schief gegangen. Und vermutlich hätte der Trend zur Verweigerung nicht sein müssen. In anderen Branchen ist Hightech nämlich nach wie vor in. Mir wäre auf jeden Fall bis jetzt nicht nicht aufgefallen, dass die Besitzer der VW Tuaregs, der Porsche Cayennes und der Mercedes M-Klasse plötzlich auf Passat, Fiat und Landrover umgesattelt haben. Irgendwie hat es die Autobranche geschafft, Technologie erlebbar zu erhalten und sogar mit einem bestimmten Lebensgefühl zu koppeln.
Vielleicht liegt es aber auch ganz einfach daran, dass ein VW Tuareg selten abstürzt, ein Porsche Ceyenne nicht mitten auf der Autobahn neu gestartet werden muss und auch ein Mercedes der M-Klasse ein Auto ist und kein selbstfahrendes Einkaufszentrum. Vielleicht liegt es ganz einfach daran, dass die meisten Autos heutzutage im Wesentlichen Autos sind, und im Wesentlichen laufen und laufen und laufen. Weder das eine noch das andere kann man von Computer und Co. behaupten.
Der Autor
Matthias Zehnder
Matthias Zehnder ist Technologiepubizist und Medienspezialist. Er arbeitet als Technologiekorrespondent für Radio DRS und verschiedene Tageszeitungen, führt das Internet-Magazin Smile und unterrichtet an der Universität Basel.Kontakt:
mz@matthiaszehnder.ch
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