Microsoft plant Online-ERP

Wenn Bill Gates auftritt, ist Showtime. Fast wie Teenies vor der Türkontrolle zum Robbie Williams-Konzert drängeln sich gut 2000 Damen und Herren im Business-Look am Eingang des grossen Saals im Münchner Messezentrum, wo Microsoft die ERP-Show «Conversion2006» durchführt. Farbige Plastikbänder und eine Heerschar von AufpasserInnen sorgen dafür, dass man seinem Rang in der Microsoft-Welt gemäss an den richtigen Ort sitzt. Die Presse darf vorne.
 
ERP als Zentrum der Bürowelt
Für Gates steht die Entwicklung von Software erst ganz am Anfang: «Wir haben erst an der Oberfläche gekratzt». Noch viel zu weit seien Produktivitätswerkzeuge (wie Office, Schreibmaschinen und Post-it-Zetteli) von Geschäftssoftware (ERP-Systeme wie Lagerverwaltung, Produktion etc.) entfernt. Des Microsoft-Vorsitzenden Worte machen klar, warum die Redmonder trotz vergleichsweise geringen Margen und riesiger Konkurrenz in den ERP-Markt eingestiegen sind. Für sie stehen die grossen Firmen-Systeme im Zentrum der Software-Welt. Ringsum gruppieren sich Office, die Datenbanken, Kommunikation und die Interaktion mit anderen Systemen über «Webservices». Doch der Kern, der Ort, wo «Daten verarbeitet werden», ist das ERP-System.
 
Eine Oberfläche (von Microsoft) für alles (von Microsoft)
Dynamics General Manager Darren Laybourn wird auf die Bühne geholt, um zu zeigen, wohin die Reise gehen soll. Sämtliche IT-Systeme sollen von einer, je nach Rolle des Arbeitenden unterschiedlichen, Oberfläche aus bedient werden. Was darunter steckt, soll nicht mehr interessieren (müssen). Er zeigt Business-Intelligence-Werkzeuge im Outlook-Look, daneben ein grafisches Tool für die Kontrolle der Lieferkette und die Zuordnung von Gütern an Kunden. Ringsum die praktischen Sachen aus dem Geschäftsalltag: Nachrichten, Mails, Chat. Und wer telefonieren oder videokonferieren will, klickt einfach auf die betreffende Person, in welchem Arbeitsgang sie halt gerade auftaucht.
 
Dynamics Live – das ERP überall
Wie diese voll integrierten «für alles»-Lösungen in Zukunft zum Anwender kommen, weiss nicht mal Bill Gates. Also wird Microsoft alle «Darreichungsformen» entwickeln. Wie gehabt auf zentralen Rechnern einer Firma installiert, von einem Dienstleister gehostet oder dann als Service über Internet geliefert. Gates zeigt eine interessante Skizze: Ein Browser, angeschrieben mit «Dynamics live», darin Teile der Funktionen einer Business-Software. Die alten Produktenamen «Navision» oder «Axapta» kommen übrigens nicht mehr vor.
 
Alles soll mit allem verknüpft werden – per Knopfdruck wechselt man von der Produktebewirtschaftung zum CRM, holt Dokumente aus der zentralen Ablage (Microsoft hat die Wikis wirklich gut angeschaut), bindet einen Lieferanten in eine Arbeitsgruppe ein und plant auch gleich noch schnell eine Online-Anzeigenkampagne über Microsoft AdCenter.
 
Und jetzt das ganze Leben
So viel zum Thema Business-Software. Zum Schluss zeigte Bill Gates den atemlosen Zuhörern, wie künftig ein Tag im Leben eines arbeitenden Amerikaners aussehen wird. Am Morgen empfängt ihn ein riesiger Flachbildschirm, darauf läuft CNN und man verfolgt auch gleich noch die Position von Frau und Kind in der Stadt. Ein interessante Nachricht wird aufs Telefon gebeamt, um dann im Büro (gleich drei Flachbildschirme) angeschaut zu werden. Ein Bildschirm wird zur Videokonferenz-Wand, weitere Mitarbeiter holt man per Chat ad hoc dazu, bis der Kalender vor einem Stau auf der A1 warnt und zum Aufbruch mahnt.
 
Auf dem Flughafen dann wird ein Tisch zur Projektionsfläche für den Smartphone-Bildschirm. Schnell noch Mails checken, ein Dokument digital signieren und los. Steckt man das Smartphone ein, ist die Projektion weg. Daten bleiben keine zurück.
 
Nur noch ein Software-Anbieter?
Mit der tiefen Integration von ERP-Systemen, Kommunikation, Internet-Services und Büroprogrammen entwickelt Gates eine kühne Vision. Die Bedienung von Software wird immer gleich laufen und man wird sie schon im Kindergarten lernen. Der Aufwand für die das Erlernen der Bedienung eines Programms wird massiv kleiner.
 
Doch die Sache hat einen grossen Haken. Nur Microsoft kann das ganze Spektrum von Software, vom Videospiel, über Datenbank, Firewall und Server bis hin zu ERP-Systemen und Telekommunikation, entwickeln und im Markt durchsetzen. Und nur Microsoft kann Microsoft-Software wirklich gut integrieren. Software von Dritten wird mit Zusatzaufwand verbunden sein – da kauft man doch alles am besten gleich von Microsoft. Gibt es in 20 Jahren nur noch einen Software-Anbieter? (Christoph Hugenschmidt/Inside-it/mc)

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