Der Amerikaner luxemburgischer Herkunft begründet 1902 zusammen mit Alfred Stieglitz die Gruppe Photo Secession und gestaltet aktiv an der Zeitschrift Camera Work mit. Er ist Maler und Fotograf zugleich. Als Fotograf realisiert er Porträts, Landschaftsbilder, Stillleben, Aktfotografien; sein Talent kommt in der Mode-, Tanz-, Theater-, Blumen- sowie der Werbefotografie zum Ausdruck, genauso wie in der Kriegsnachrichterstattung und den Luftaufnahmen. Kein fotografisches Genre scheint seinem innovativen Auge zu entgehen. Grafik, Typographie und Art-Direktion waren dabei genauso fruchtbarer Boden für seine Kreativität.
Greta Garbo, 1928. Courtesy Bank of America La Salle Collection, Chicago © Condé Nast Publications | Die ganz grosse Fotografie Condé Nast, von seinen pictorialistischen Anfängen begeistert, ernennt ihn 1923 zum Chef-Fotografen der Vogue und der Vanity Fair. Steichen war ebenfalls Fotografie-Kurartor am MoMA. Die Krönung seiner Karriere, die berühmte Ausstellung The Family of Man zog ab 1955 weltweit mehr als neun Millionen Besucher an. Heute, als Dauerausstellung in Luxemburg, hat diese Fotografieausstellung ihren Platz zwischen jenen des 20. Jahrhunderts und ist 50 Jahre nach ihrer Eröffnung immer noch ein Bezugspunkt. |
Die Avantgarde der Mode und die der Fotografie
Doch egal welcher Steichen-‹Persona› man den Vorzug gibt – ob dem ‹reinen› Künstler der frühen Jahre, dem Herold der Avantgarde-Kunst, dem durch und durch kommerziellen Bildermacher oder dem Impresario von Weltformat -, dass er über ein weites Spektrum an Fähigkeiten verfügte, steht ganz ausser Frage. In unterschiedlichem Ausmass und zu verschiedenen Zeitpunkten hat er Spuren in zahlreichen Disziplinen hinterlassen, der Lithografie ebenso wie der Malerei, der Fotografie, der Schriftstellerei und der Bildbearbeitung, im Grafik-, Industrie- und Ausstellungsdesign und in der
Ausstellungsplanung. Und wenn dazu die Notwendigkeit oder die Gelegenheit bestand, konnte er auch durchaus polemisch sein, aber ebenso gut Geld für grosse Ausstellungsprojekte auftreiben, in Filmen Regie führen und als Ein-Mann-Jury auftreten. (Der Herausgeber des einflussreichen U .S. Camera-Magazins entliess am Ende sogar die übrigen regelmässigen Mitglieder seiner Jury und liess Steichen alleine schalten und walten.) Und so betätigte sich dieser Jahrzehnt für Jahrzehnt als unermüdliches Sprachrohr des aufblühenden Kunst- und Kommunikationsmediums der Fotografie.
Es gibt nur wenige Bereiche der Fotografie, die Steichen nicht erkundet hat, und dank seiner Experimentierlust hat er fast überall Verbesserungen angeregt. Er arbeitete in ganz verschiedenen Genres – machte Porträt-, Akt- und (Stadt-)Land-schaftsaufnahmen, fotografische Stillleben, Dokumentar- und Nachrichtenfotografie, Lichtbilder von Theaterund Tanzdarbietungen (im Ersten Weltkrieg Kriegsfotografien und im Zweiten sogar Luftbilder zu Aufklärungszwecken). Hinzu kamen Propaganda-, Werbe- und Modeaufnahmen bei Anwendung ganz unterschiedlicher Techniken in Schwarz-Weiss un in Farbe, Fotomontagen und Fototapeten und sogar eine dreidimensionale Kreation, die er als ‹Fotoskulptur› bezeichnete. Nach den Massstäben der damaligen Kunstwelt war es unglaublich eindrucksvoll, wie Steichen sich zwischen 1900 und 1925 vom Enfant terrible zum weltweit höchstbezahlten und (zweifellos) berühmtesten Fotografen aufschwang und in den 1950er-Jahren ausserdem zum mächtigsten Kurator seiner Disziplin aufstieg. Der Fotografiehistoriker Joel Smith, der sich ausgiebig mit Steichens Karriere befasst hat, ist zu der Einschätzung gelangt, dass es in professioneller Hinsicht ‹in punkto Schnelligkeit und Flexibilität› keiner mit dem legendären Fotografen aufnehmen konnte. »
(Auszug aus der Einleitung von William A. Ewing « Ein Junge, der neue Ideen hat », S. 19 des Ausstellungskatalogs Edward Steichen, ein Leben für die Fotografie)
Bilder, man möchte in sie eintauchen
« Auf den ersten Blick erscheint es relativ schwierig, zwischen den verträumten Landschaften und den weich fokussierten malerischen Porträts, die Edward Steichen in den ersten Jahren des 20. Jahrhunderts fotografiert hat, und seinen in rascher Folge entstandenen lukrativen Modeaufnahmen aus den 1920er-Jahren eine Brücke zu schlagen. Ueberdies wäre es allzu einfach, am Beispiel eines dem Alltag entrückten ‹Meisterwerks› die Genialität des Fotografen aufzeigen zu wollen. In den Jahren vor und nach dem Ersten Weltkrieg und erst recht während des Krieges selbst überstürzten sich die Ereignisse. Natürlich verlor der Mensch Steichen – der Fotograf, der Maler, Blumenzüchter und Freund zahlreicher Künstler – auch in diesen Jahren nichts von seiner Komplexität. Dabei kam die Vielfalt seiner Interessen und Aktivitäten, die alle gesellschaftlichen und künstlerischen Grenzen sprengte, auch seiner eigenen Arbeit ausserordentlich zugute. Die gesellschaftliche Relevanz von Steichens Schaffen ist – auch diesseits der klassischen Moderne – häufig unterschätzt worden und wird erst heute in ihrer ganzen Breite gewürdigt. »
(Auszug aus dem Text von Ronald J. Gedrim « Den wahren Zauber entdecken – das Licht selbst, Voulangis, 1908-1922 », S. 131 des Ausstellungskatalogs Edward Steichen, ein Leben für die Fotografie).
(mc/th)