Museum Tinguely: Kunstmaschinen – Maschinenkunst

Werden aus Künstlern dann Ingenieure? Was bedeutet der scheinbare Rückzug des Künstlers aus dem kreativen Akt, und welche Konsequenzen resultieren daraus für Originalität und Einzigartigkeit des Kunstwerks? Was ist dann überhaupt das Kunstwerk: die Maschine, das Produkt oder der Akt seiner Herstellung?


Die Machinen machen «Kunst zum mitnehmen» für den Besucher
Beginnend mit Jean Tinguelys Zeichenmaschinen aus den 1950er Jahren werden in einer von Katharina Dohm, Schirn Kunsthalle Frankfurt, und Heinz Stahlhut, Museum Tinguely Basel, gemeinsam konzipierten Ausstellung Kunstmaschinen bis hin zur Gegenwart gezeigt, die eines gemeinsam haben: Sie produzieren ihrerseits Kunst. Maschinen von Künstlern wie Angela Bulloch, Olafur Eliasson, Damien Hirst, Rebecca Horn, Jon Kessler, Tim Lewis, Lia, Miltos Manetas, Cornelia Sollfrank, Antoine Zgraggen und Andreas Zybach verwandeln das Museum Tinguely Basel in eine Produktionshalle. Dem maschinellen Produktionsprozess entsprechend können einige Werke wie Zeichnungen von Jean Tinguelys Méta-Matics oder durch Stempel zertifizierte Blätter von Damien Hirsts oder Olafur Eliassons Maschinen von den Ausstellungsbesuchern mitgenommen werden.


Die Maschine als Kunstwerk?
«Das Vertrauen der Menschen in die maschinelle Tätigkeit, Basis der industriellen Revolution und unseres Wohlstandes, ist dem künstlerischen Selbstverständnis grundsätzlich fremd, weshalb sich die Kunst der Maschine zur Herstellung ihrer selbst nur zögerlich bediente. Die Maschine als Kunstwerk, die wiederum Kunst produziert, kommt einer Aufgabe der Autonomie des Künstlers und einer Überantwortung von Kreativität an eine Apparatur gleich und berührt damit eine Frage, die heute angesichts permanenter Grenzverschiebungen zwischen Individuum und Technologie hochaktuell ist.» (Guido Magnaguagno, Direktor, Museum Tinguely Basel, und Max Hollein, Direktor, Schirn Kunsthalle Frankfurt)









Lewis (*1961), Auto-Dali Prosthetic, 2000
Tisch, Metall, Papier: 132 x 93 x 52 cm
Courtesy Flowers Gallery, London
«Geht man von der allgemeinen Annahme aus, dass Künstler und nicht Maschinen die Urheber und Schöpfer von Kunstwerken sind, dann könnte die Diskrepanz zwischen beiden nicht grösser sein. Denn während die Maschine auf Qualitäten wie die Wiederholbarkeit von Produktionsabläufen hin konzipiert ist, zeichnet sich Kunst nach traditionellem Verständnis durch ihre Einzigartigkeit aus. Daran gekoppelt ist die Vorstellung des künstlerischen Individuums als eines schöpferischen Genius. Diese Vorstellung wird in der aktuellen Ausstellung mit Ernst und Ironie hinterfragt.» (Katharina Dohm und Heinz Stahlhut, Kuratoren der Ausstellung)


Eine Maschine als Kunstwerk zu schaffen und dieser die Verantwortung für die Entwicklung weiterer Kunstwerke zu übertragen ist ein radikaler Schritt. Es ist die Abgabe von Kreativität an eine Apparatur. Haben solche Kunstmaschinen dann eine «Seele»? Tatsächlich entwickeln sie eine eigenständige Kraft und lassen ein Werk entstehen, das auch für sich alleine besteht – ohne es jedoch je beenden zu können. Der Maschine und ihrem automatisierten Prozess fehlen die Entscheidungskraft und die Möglichkeit der Selektion. Es entstehen maschinell gefertigte Kunstwerke, denen ein Moment der Endgültigkeit fehlt, die aber nichtsdestotrotz ein fundamentales Zugeständnis an die Souveränität der Maschine und einen grundlegenden Glauben an die Möglichkeiten der kreativen Schöpfung jenseits der individuellen Handlung zum Ausdruck bringen.





Cornelia Sollfrank (*1960), net.art generator, 1997/2007

Die Ausstellung «Kunstmaschinen Maschinenkunst» setzt im 20. Jahrhundert mit dem Werk Jean Tinguelys ein, in dem sich die Auseinandersetzung mit der Maschine als eigenständigem kreativem Apparat in originärster Weise manifestiert. Seine Méta-Matics, die erstmals 1959 in Paris ausgestellt wurden und mit denen er internationales Renommee erwarb, sind motorbetriebene Zeichenmaschinen, mit denen der Betrachter abstrakte Zeichnungen herstellen kann. Die Diskrepanz zwischen der Materialität der Méta-Matics und ihrer Funktion, Kunst zu produzieren, kann durchaus als ironischer Kommentar auf den damals vorherrschenden Glauben an den technischen Fortschritt verstanden werden. Zudem zeigt sich darin ein Reflex auf den Kunstkontext der 1950er Jahre: Die maschinell erstellten Zeichnungen entsprechen stilistisch der Malerei des Tachismus und führen so die Vorstellung von gestischer Abstraktion als unmittelbarem Ausdruck eines künstlerischen Individuums ad absurdum. Diese Werkgruppe bildet gewissermassen als historischer Grundstock die Basis der Ausstellung. Hier knüpft eine Auswahl von Arbeiten an, die eines gemeinsam haben: Der schöpferische Akt wird vom Künstler an die Maschine delegiert – ein Vorgang, der in letzter Konsequenz erst ab dem Ende des 2. Weltkriegs möglich war, als eine Generation junger Künstler antrat, mit einem der bestgehüteten Tabus der europäischen Kunst zu brechen: der Idee des Originalkunstwerks. Die Auswahl spiegelt diesen Vorgang in den verschiedenen künstlerischen Gattungen wie Malerei, Zeichnung, Skulptur, Video wider und endet offen bei der wohl grössten «Kunstmaschine», dem World Wide Web.



Jean Tinguely (1925-1991), Méta-Matic No. 6


Zum Mitmachen
Der Besucher begegnet Maschinen, die wie Rebecca Horns Preussische Brautmaschine und Michael Beutlers Raumskulptur Proper en Droog ihre Produktion schon vor Ausstellungsbeginn abgeschlossen haben oder die wie Roxy Paines SCUMAK #2 während der gesamten Dauer der Schau produzieren, in diesem Fall organisch wirkende Plastiken. Die Zeichenmaschinen Making Beautiful Drawings von Damien Hirst und The endless study von Olafur Eliasson erfordern beide das Mitwirken des Besuchers und hinterfragen das Verhältnis zwischen Betrachter und Kunstwerk grundsätzlich. Während Eliasson von einem physikalischen Phänomen ausgeht, interessiert Hirst vielmehr die Frage nach dem Schöpfer. Andreas Zybachs Sich selbst reproduzierender Sockel vervielfältig sich im Gegensatz zu seinem Titel nicht von selbst, sondern empfängt den Impuls hierzu ebenso vom Besucher, wie Angela Bullochs Wandzeichnungsmaschine Blue Horizon erst auf einen äusseren Impuls hin ihre Zeichentätigkeit beginnt. Jon Kesslers Videoinstallation Desert produziert am Laufmeter Sonnenuntergänge, wie Tim Lewis› Auto-Dali Prosthetic ununterbrochen signiert. Pawel Althamers Extrusion Machine (Bottle Machine) stellt blasphemische Plastikflaschen her, Antoine Zgraggens Grosser Hammer und seine Zerquetscherin helfen dem Besucher, sich ungeliebter Gegenstände zu entledigen, und Tue Greenforts Mobile Trinkglaswerkstatt wandelt Glaseinwegflaschen in Trinkgläser um. Mit den Arbeiten von Lia, Miltos Manetas und Cornelia Sollfrank schliesslich kommt die «Métakunstmaschine» World Wide Web ins Spiel, mit der man – ähnlich wie mit Tinguelys Werken in den 1950er Jahren – die Hoffnung auf eine weitere Demokratisierung des Kunstbetriebs verbindet.


Was macht das Kunstwerk – und was macht der Künstler
Das Verhältnis zwischen Künstler, Kunstwerk und Betrachter wird in allen Arbeiten thematisiert, ist jedoch nicht immer Ausgangspunkt der Arbeit. Darüber hinaus erlaubt die Kunstmaschine die Beteiligung des Publikums und ermöglicht eine massenhafte Kunstproduktion, die deutlich mit der Aura des unwiederholbaren Kunstwerks bricht. Auch wenn der Betrachter bei manchen Werken nicht unmittelbar in die Produktion involviert ist, erhält er Einblick in diese und damit die Möglichkeit der Reflexion darüber, wo das Kunstwerk beginnt. Nie wird es dem Künstler jedoch gelingen, endgültig aus dem Werk zu verschwinden. Die Kunst produzierende Maschine bleibt ein Werkzeug, solange sie sich in den Parametern des Künstlers bewegt. Erst in dem Moment, in dem sie eigenständig handelt und auf Situationen autark reagiert, kann sich die Frage nach der Autorenschaft ändern. Die Kreativität der Kunstmaschine erweist sich erst in dem Moment, in dem sie unkontrolliert, dem Zufall überlassen schafft. Die Maschine kann ohne die Anwesenheit des Künstlers produzieren, aber sie kann nie ohne die Idee des Künstlers existieren. (mt/mc/th)

Exit mobile version