Die Mehrheit der nationalrätlichen Wirtschaftskommission (WAK) hatte die Vorlage ganz beerdigen wollen – dies aus grundsätzlicher Skepsis gegenüber den geplanten Freihandelsabkommen mit der EU und der WTO. WAK-Sprecher und Landwirt Ernst Schibli (ZH/SVP) bezeichnete die Bilanzreserve gar als «Sterbeprämie» für die Bauern. Josef Zisyadis (PdA/VD) sah in einer Beerdigung der Bilanzreserve eine Stärkung der Schweiz in den Verhandlungen zu einem Agrarfreihandelsabkommen mit der EU. Der Nationalrat folgte dieser Argumentation jedoch nicht. Eine Zustimmung schwäche die Schweizer Position bei den Verhandlungen kaum, betonte Charles Favre (FDP/VD). Die Bilanzreserve sei im Gegenteil eine «Versicherung» für die Bauern, erklärte Bauernverbandsdirektor Jacques Bourgeois (FDP/FR).
Fortschritte bei Qualitätsstrategie
Auch Wirtschaftsministerin Doris Leuthard warnte den Rat davor, auf «volles Risiko zu gehen». Der Grenzschutz bröckle, und wenn die Verhandlungen der Welthandelsorganisation WTO zu einem Abschluss kämen, «dann bröckelt es ganz gewaltig». Bei der Finanzkrise habe man gelernt, wie wichtig Rückstellungen seien. Der Vorlage zum Durchbruch verhalfen auch Teile der SP, welche die Schaffung einer Bilanzreserve zuvor noch an eine Qualitätsstrategie für die Landwirtschaft geknüpft hatte. Hildegard Fässler (SP/SG) anerkannte, dass in dieser Frage Fortschritte erzielt worden seien. Der Rat lehnte denn auch eine erneute Rückweisung an den Bundesrat mit 153 zu 27 Stimmen deutlich ab.
Reserve an Vertragsabschluss gebunden
Der Bilanzreserve sollen bis 2016 jährlich rund 500 Mio. Fr. zufliessen. Sie stammen aus Zolleinnahmen von Agrarprodukten und Lebensmitteln. Wenn die Verhandlungen für ein Agrar-Freihandelsabkommen mit der EU oder die Doha-Runde der WTO zu keinem Abschluss gelangen, wird die Zweckbindung wieder aufgehoben und die Reserve freigegeben. Die Vorlage hat einen dornenvolle Vorgeschichte. Im Mai 2009 war der Nationalrat auf die Vorlage gar nicht erst eingetreten. Im März 2010 entschied er sich mit 96 zu 78 für Rückweisung, während der Ständerat an der Schaffung einer Bilanzreserve ohne Zeitverzögerung festhielt.
Vorlage in letzter Sessionswoche nochmals im Ständerat
Die kleine Kammer wird sich in der letzten Sessionswoche nochmals mit der Vorlage befassen. Eine letzte Differenz wird dort kaum für Widerstand sorgen: Der Nationalrat will in der Vorlage explizit festhalten, dass aus der Bilanzreserve vor allem Begleitmassnahmen zugunsten der Landwirtschaft finanziert werden. (awp/mc/ps/10)