NEAT 2017 ? Wie kommen noch mehr Güter auf die Schiene?

Unhaltbar sei auch die Benachteiligung des Güterverkehrs gegenüber dem Personenverkehr, welche die Wettbewerbsfähigkeit des Bahngüterverkehrs gegenüber dem Strassentransport deutlich schmälere, wie der Verband der verladenden Wirtschaft (VAP), der Verband öffentlicher Verklehr (VöV) und Hupac am Montag in einem gemeinsamen Positionspapier schreiben.


Verlagerungsziel
Wenn zwei Jahre nach Eröffnung des Gotthard-Basistunnels das Verlagerungsziel auch nur teilweise erreicht werden soll, muss sich einiges ändern auf den Schienen der Schweiz. Denn bis 2019 müssten weitere 1.200.000 Strassensendungen im Alpentransit auf die Schiene verlagert werden, zusätzlich zu den heutigen 900.000 Sendungen und unter Berücksichtigung des Marktwachstums. Doch dies geht nicht ohne eine zügige Weiterentwicklung der Infrastruktur und eine Attraktivitätssteigerung der Bahn für den Güterverkehr.


4-Meter-Korridor
Anlässlich der Präsentation des Positionspapiers «NEAT 2017 ? Infrastrukturen für die Verkehrsverlagerung» in Zürich wiesen Unternehmen und Verbände der Güterverkehrsbranche mit Nachdruck auf bestehende Missstände hin und forderten zielorientiertes Handeln seitens der Verkehrspolitik. So entsprächen zwar die neuen Basistunnel Gotthard und Ceneri modernsten Standards, die restlichen Abschnitte des für den Transitverkehr massgeblichen Nord-Süd-Korridors stammten jedoch aus dem 19. Jahrhundert und entsprächen nur bedingt den heutigen Anforderungen. «Die gesamte Gotthard-Achse muss in der Schweiz ebenso wie in den Nachbarländern gemäss eines Korridorkonzepts angepasst werden», forderte Bernhard Kunz, Direktor des Kombi-Operateurs Hupac. Es sei eine grosse Leistung der schweizerischen Verkehrspolitik, von 2000 bis 2008 ein 70%iges Wachstum des kombinierten Verkehrs auf einer über hundertjährigen Infrastruktur bewerkstelligt zu haben. Doch für die weitere Entwicklung sei die niedrige Profilhöhe der Strecke ein echter Knackpunkt. «Mit einem Profil von 3,80 Meter liegt die Gotthardstrecke deutlich unter dem europäischen Standard und schliesst das Segment der gängigen 4-Meter-Sattelauflieger von der Verlagerung aus.»


Marktboom Sattelauflieger
In den letzten zwanzig Jahren hat sich der Anteil der Sattelschlepper im alpenquerenden Strassengüterverkehr durch die Schweiz verdoppelt und beträgt heute mindestens 60% aller Fahrzeuge. Sattelauflieger sind flexibel im Einsatz und mit ihren 4 Metern Eckhöhe besonders geeignet für den Transport von Volumengütern. «Wenn wir weitere Verkehre verlagern wollen, müssen wir dieses Marktsegment ins Auge fassen, denn andere Segmente wie Container und Tankcontainer sind bereits so gut wie vollständig auf die Bahn verlagert», erklärte Kunz. Ein Marktpotential mit Zukunft, denn grosse Transport- und Logistikunternehmen kehren anderen Ladegefässen wie Wechselbehältern zunehmend den Rücken und stellen ihre Flotten einheitlich auf 4-Meter-Sattelschlepper um.


Beispiel Brenner
Interessant ist die Entwicklung auf der Brennerachse, welche im Jahr 2000 auf das 4-Meter-Profil umgerüstet wurde. Seitdem stieg der unbegleitete kombinierte Verkehr (UKV) um das Vierfache und der Transport von Sattelaufliegern sogar um das Sechsfache. Via Brenner sind heute 28% der beförderten UKV-Sendungen Sattelauflieger – bei steigender Tendenz. In der Schweiz könnte mit der Einführung eines 4-Meter-Korridors der Anteil der Sattelauflieger von den heutigen 13% bis zum Jahr 2030 auf 25-35% steigen, so eine Studie des Bundesamts für Verkehr.


Hohes Profil für Güter?
Um die modernen Sattelzüge auf der Schiene zu befördern, müssen die Gleise der betroffenen Strecken tiefer gelegt und einige Ausbauten vorgenommen werden. Die Investition dürfte wenige hundert Millionen Franken betragen. Das Projekt und die Finanzierung wird zur Zeit vom Bundesamt für Verkehr geprüft. Alternativen gibt es nicht, denn der 4-Meter-Korridor via Lötschberg ist zu über 90% ausgelastet, während die Güterwagen bereits maximal abgesenkt sind. «Der Ausbau der Gotthardachse für 4-Meter-Transporte ist ein wichtiger Zwischenschritt und muss bereits 2017 zur Eröffnung des Gotthard-Basistunnels umgesetzt sein», forderten die Transporteure.


?. und Personen
Die Anpassung des Profils ist auch die Voraussetzung für den Einsatz von Doppelstockzügen auf der Gotthardachse. Ein wichtiges Anliegen für die Güterverkehrsbranche, welche im Verteilungskampf um die knappen Trassen den Kürzeren zieht. «Der Lötschberg-Basistunnel ist bahnpolitisch ein derartiger Hit, dass der Personenverkehr sich weit mehr Trassen gesichert hat, als ursprünglich vorgesehen war», erklärte Hans Kaspar Schiesser vom Verband öffentlicher Verkehr. Die Anzahl der hochprofiligen Rola- und Sattelauflieger-Züge sei heute schon am Limit; zahlreiche Güterzüge fahren über die alte Bergstrecke, was zu deutlich höheren Kosten führt. «Wir müssen davon ausgehen, dass auch auf der Gotthardachse ein regelrechter Personenverkehrsboom einsetzen wird», so Schiesser. Der Einsatz von Doppelstockzügen würde die Kapazitäten für den Personenverkehr erhöhen, ohne den Güterverkehr zu benachteiligen.


Gütertrassen langfristig sichern
Erforderlich sei auch ein «Gütertrassenreservat», welches dem Güterverkehr langfristig und verlässlich die Kapazitäten sichere, für welche die NEAT ja schliesslich gebaut worden sei. Dass die Profilausbauten für Doppelstockzüge und 4-Meter-Güterzüge trotz technischer Unterschiede idealerweise gleichzeitig erfolgen, ist für den VöV eine Selbstverständlichkeit: «Zwei Fliegen mit einer Klappe, und dies so schnell wie möglich.»


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Südanschlüsse
Dringende Weichenstellungen sind auch bei den Südanschlüssen zum Gotthard-Basistunnel erforderlich. Die neuen Bahnlinien, welche in Abstimmung zwischen der Schweiz und Italien entstehen werden, sind wegen des bergigen Geländes sehr anspruchsvoll und erfordern hohe Investitionen. Gemäss heutigem Stand ist mit einer Umsetzung nicht vor 2040-2050 zu rechnen. Damit zeitnah leistungsfähige Bahnlinien zur Verfügung stehen, müssen die heutigen Zufahrtsstrecken via Luino und Chiasso punktuell ausgebaut werden, beispielsweise durch die überfällige Umsetzung der Piattaforma Luino I und II, welche längere Züge in höherer Anzahl ermöglichen soll. Während der europäische Bahnstandard Zuglängen von 750 Metern vorsieht, erreichen die Züge auf der Nord-Süd-Achse durch die Schweiz wegen Beschränkungen im Süden höchstens 600 Meter Länge. «Ganz Europa diskutiert über Megatrailer, welche auf einen Schlag die Produktivität der Strasse um 50% erhöhen», pointiert es Hupac Direktor Kunz. «Wir kämpfen seit Jahren dafür, dass die Züge im Alpentransit ein, zwei Wagen länger und somit ein paar Prozentpunkte produktiver werden können. Die Projektphase I der Piattaforma Luino muss nun endlich abgeschlossen und die Phase II unverzüglich in Angriff genommen werden.»


Terminals
Ein weiterer Schwachpunkt sind die Umschlagterminals. Ein akutes Defizit zeichnet sich im Osten von Mailand ab. Bis zur Eröffnung der Basistunnel will Italien die Kapazität der für den Personenverkehr massgeblichen Achse via Chiasso erhöhen und eine neue Strecke zwischen Seregno und Bergamo bauen. Für die notwendigen Umschlagterminals ist jedoch nicht gesorgt; Investitionspläne der Hupac wurden abgewiesen. «Ohne Terminals kein kombinierter Verkehr!», warnten die Transporteure.


Erfolgsfaktor Investitionssicherheit
Dass sich zahlreiche Unternehmen trotz der bestehenden Schwierigkeiten für den kombinierten Verkehr einsetzen, bezeugt die Leistungsfähigkeit dieses Verkehrskonzepts, welches die Stärken der verschiedenen Verkehrsträger sinnvoll kombiniert. Staus, Fahrermangel und steigende Energiekosten belasten zunehmend den Strassengüterverkehr. Zudem sind Nachhaltigkeit und ökologisch korrektes Verhalten ein wichtiger Treiber für zahlreiche Logistiker und Verlader. «Eine erfolgreiche Verlagerung des Güterverkehrs von der Strasse auf die Schiene setzt eine aktive Einbeziehung der verladenden Wirtschaft sowie aller beteiligten Logistik- und Transportunternehmen voraus», erläuterte Prof. Dr. Wolfgang Stölzle, Inhaber des Lehrstuhls für Logistikmanagement der Universität St.Gallen. Diese investieren hohe Summen in den Schienengüterverkehr, beispielsweise in Lokomotiven, Bahnwagen, Umschlagterminals und in spezielle, für den kombinierten Verkehr geeignete Fahrzeuge. Stölzle: «Die Verkehrspolitik muss verlässliche, stabile Rahmenbedingungen schaffen, damit Investitionsentscheide frühzeitig und mit der notwendigen Sicherheit getroffen werden können.»


Keine Überraschungen
Für economiesuisse ist die NEAT ein Beispiel für fehlende Transparenz bei der Verkehrsfinanzierung, da beispielsweise die Höhe der jährlichen Unterhalts- und Betriebskosten nach wie vor unklar sind. Damit die knappen öffentlichen Mittel möglichst wirtschaftlich eingesetzt werden, muss der Eigenfinanzierungsgrad des gesamten öffentlichen Verkehrs künftig spürbar erhöht werden. «Der öffentliche Verkehr deckt heute nicht einmal die Hälfte seiner Kosten», rechnet Dominique Reber, Mitglied der Geschäftsleitung des Unternehmerverbandes economiesuisse, vor. Die andere Hälfte werde durch die öffentliche Hand und den Strassenverkehr finanziert. Eine solche Situation schaffe Fehlanreize zur Übernutzung. «Wir müssen den Weg zu einer stärkeren Verursachergerechtigkeit bei der Verkehrsfinanzierung finden.» Ein Dorn im Auge sind economiesuisse auch die vielen, teils gravierenden Anschlussfinanzierungen, die das Jahrhundertbauwerk Gotthard-Basistunnel offensichtlich erfordere, um den Zielsetzungen gerecht zu werden. «Infrastrukturkosten müssen transparent sein. Überraschungen sind nicht akzeptabel», so Reber.


Gleichberechtigung des Güterverkehrs
Die beste Infrastruktur nutzt wenig, wenn der Güterverkehr gegenüber dem Personenverkehr benachteiligt wird. Von grosser Bedeutung sind daher die Konditionen der Infrastrukturnutzung. Wenn der Schienengüterverkehr wachsen soll, braucht er ausreichende Kapazitäten und eine angemessene Stellung im Netz. Heute geniesst der Güterverkehr nachgeordnete Priorität beim Netzzugang und im Betrieb, weshalb Güterzüge in schlechten Fahrplanlagen verkehren und bei Unregelmässigkeiten grosse Verspätungen hinnehmen müssen. Dies führt zu schlechter Marktleistung und zu betrieblichen Mehrkosten, da Loks und Güterwagen ineffizient eingesetzt werden. Gleichwohl bezahlen die schweren Güterzüge im heutigen gewichtsbasierten Trassenpreissystem einen hohen Preis für die Infrastrukturnutzung. Frank Furrer, Generalsekretär des VAP Verband der verladenden Wirtschaft: «Der Schlüssel zur Verkehrsverlagerung liegt daher auch bei der hochpolitischen Frage, wie Bund und Kantone zukünftig das Konkurrenzverhältnis von Personen- und Güterverkehr regeln wollen.» (vap/voev/hupac/mc/ps)

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