«So sieht Wandel aus», sagte Obama nach gewonnener Abstimmung. Seit dem Amtsantritt des Präsidenten Anfang 2009 wogte der Kampf zwischen Obamas Demokraten und den Republikanern. Ein Jahr stritten die Parteien mit harten Bandagen und allen Tricks um das Gesetz. Nach fast zwölfstündiger, hitziger Debatte billigte das Abgeordnetenhaus die Reform in der Nacht zum Montag äusserst knapp. Obama sprach von einem «Sieg für das amerikanische Volk», die Demokraten von einer «historischen Entscheidung». Aber der Sieg hatte seinen Preis. Um sich die Zustimmung im Repräsentantenhaus zu sichern, musste Obama einer Gruppe konservativer Abgeordneter zusichern, Abtreibungen keinesfalls mit Bundesmitteln zu finanzieren.
«Amerikaner sind in der Lage, grosse Dinge zu tun»
Mit der Reform soll erreicht werden, dass künftig 95 Prozent der US-Bürger versichert sind. Derzeit sind es 83 Prozent. Die Kosten für den Staat sind gewaltig: 940 Milliarden Dollar (696 Milliarden Euro) über zehn Jahre. Eine Grundversicherung wird für die allermeisten Amerikaner zur Pflicht. Versicherungen dürfen Bürger mit Erkrankungen nicht mehr abweisen. Den Konzerne ist es auch verboten, weiter Aufschläge wegen des Geschlechts oder des Gesundheitszustandes zu verlangen. Die Billigung im Abgeordnetenhaus habe «bewiesen, dass die Amerikaner in der Lage sind, grosse Dinge zu tun», sagte Obama. Die nun beschlossene Reform sei nicht radikal, aber doch umfassend. Sie sei «ein weiterer Baustein im Fundament des amerikanischen Traums». Für den Entwurf des Senats, der im Mittelpunkt der Abstimmung stand, stimmten 219 Abgeordnete – nur drei mehr als nötig. 34 Demokraten stimmten mit «Nein».
Anfängliche Pläne verwässert
Für ein Begleitpaket mit Änderungen votierten 220 Mitglieder des Repräsentantenhauses. Darüber muss nun noch der Senat abschliessend befinden – voraussichtlich bereits in den nächsten Tagen. Obama und die Demokraten mussten nicht nur ihre anfängliche Pläne verwässern, sie riskieren auch, bei den Kongresswahlen im November Verluste einzufahren. Das erbitterte Ringen und ein wahres Geschachere auch in den demokratischen Reihen schadeten dem Ansehen Obamas und der Partei.
Geburt der «Tea-Party»
ie republikanischen Neinsager präsentierten eine geschlossene Front und verstanden es, Ängste und Unsicherheit im Land in eine Protestbewegung umzumünzen – die Geburt der «Tea-Party». Auf dieser Welle wollen die Republikaner bei den Kongresswahlen reiten. Der Präsident hatte sich in den letzten Tagen noch einmal persönlich in die Zitterpartie eingeschaltet und eine Reise nach Asien und Australien zwei Mal verschoben. Über das ganze Wochenende bearbeiteten Obama und die Parteispitze der Demokratern skeptische Parlamentarier in den eigenen Reihen, um sie zu einem Ja zu drängen.
Keine Staatshilfen bei Abtreibungen
Die Wende kam, als eine Gruppe konservativer Demokraten um den Abgeordneten Bart Stupak ihre Ablehnung aufgab. Im Gegenzug musste Obama zusagen, finanzielle Hilfen des Bundes für Abtreibungen ausdrücklich zu untersagen. Das ist zwar bereits geltendes Gesetz. Nun sollen aber «zusätzliche Sicherheiten» verankert werden, dass das auch tatsächlich geschehe und künftig auch nicht geändert werde, hiess es vom Weissen Haus. «Wir haben eine Einigung gefunden, durch die die Unantastbarkeit des Lebens in der Gesundheitsreform respektiert wird», sagte Stupak.
Aufgeheizte Debatte
Die aufgeheizte Debatte im Repräsentantenhaus war von tumultartigen Szenen begleitet. Vor dem Kapitol demonstrierten lautstark Gegner der Reform. Einige drangen in das Parlamentsgebäude ein und wurden von Sicherheitskräften festgenommen. Demokraten betonten die historische Tragweite des Gesetzes. «Jeder Präsident des vergangenen Jahrhunderts sagte, dass dies für eine grosse Nation eine Notwendigkeit ist», sagte der demokratische Mehrheitsführer im Abgeordnetenhaus, Steny Hoyer.
«Pfad der Regierungs-Tyrannei»
Die konservative Opposition hingegen kritisierte abermals die Kosten der Reform und warnte vor zu grossen Eingriffen des Staates. «Werden wir den Pfad der Freiheit wählen oder den Pfad der Regierungs-Tyrannei?», fragte der republikanische Abgeordnete Ted Poe. Sein Parteikollege Paul Ryan nannte das Gesetz einen «haushaltspolitischen Frankenstein». Ab 2014 sollen Bundesstaaten sogenannte Gesundheitsbörsen einrichten, an der Amerikaner Policen vergleichen und kaufen können. Geringverdiener erhalten als Unterstützung Steuererleichterungen. Eine staatliche Krankenversicherung, wie sie sich vor allem das linke Spektrum der Demokraten gewünscht hatte, wird es jedoch nicht geben.
«Lasst uns die Sache zu Ende bringen»
Im Werben um Stimmen war der Präsident am Vorabend der Abstimmung selbst ins Kapitol gekommen, um demokratische Wackelkandidaten auf seine Linie zu bringen. «Es liegt in Ihren Händen», beschwor er seine Parteifreunde bei dem Treffen am Samstag. «Es ist an der Zeit, die Gesundheitsreform zu verabschieden. Ich bin überzeugt davon, dass wir sie am Sonntag verabschieden. Lasst uns die Sache zu Ende bringen.» (awp/mc/ps/01)