Oskar Holenweger: Lebenswerk ruiniert
Daniel Ammann, Facts
Am 19. Juli 2003 schreibt Hanspeter Ryff, Kommissariatsleiter bei der Bundeskriminalpolizei, einen Antrag, der eine der beachtlichsten Karrieren des Landes jäh beenden und den Ruf eines bis dato unbescholtenen Bankiers ruinieren sollte.
«Der Bundeskriminalpolizei liegen Informationen vor», tippt Ryff an diesem Samstag in seinen Computer, «dass sich HOLENWEGER OSKAR, Besitzer und Geschäftsführer der Tempus Privatbank, in Kreisen der internationalen organisierten Kriminalität als Geldwäscher anbietet. Es soll ihm möglich sein, grössere Geldsummen zu waschen.» Der Beamte, für die Ermittlungen im Bereich der Wirtschaftskriminalität zuständig, möchte gegen Holenweger ein so genanntes gerichtspolizeiliches Ermittlungsverfahren eröffnen und, wie er auf Amtsdeutsch formuliert, dessen «Fernmeldeverkehr» überwachen lassen.
Ryff, Kürzel Rhy, hegt einen ungeheuren Verdacht, den er in seinem Antrag nur summarisch äussert: «Ferner soll HOLENWEGER OSKAR bereits für die kolumbianischen Drogenkartelle gearbeitet und Kontakte zum kolumbianischen Drogenbaron ESCOBAR PABLO gehabt haben. Aktuell soll er noch über Beziehungen zu Personen aus Cali (Kolumbien) verfügen.»
Zur Erinnerung: Pablo Escobar war der Chef des berüchtigten Medellín-Kartells, das zu seiner besten Zeit jedes Jahr mit Kokain im Wert von mehreren Milliarden Dollar handelte. Das Cali-Kartell übernahm das Kokaingeschäft, nachdem Escobar im Dezember 1993 von kolumbianischen Sicherheitskräften erschossen worden war.
Geldwäsche für diese Drogenkartelle im grossen Stil? Schlimmeres kann man einem Schweizer Privatbankier, der von seinem Ruf und seiner Diskretion lebt, nicht vorwerfen. «Bandenmässige Geldwäscherei », begründet Ryff seinen Antrag und zitiert das Schweizerische Strafgesetzbuch: «Art. 305bis, Ziff. 2, lit. b StGB». Wird mit Zuchthaus bis zu fünf Jahren oder Gefängnis bestraft.
Fünf Tage später, am 24. Juli 2003, segnet Thomas Wyser, Staatsanwalt bei der Bundesanwaltschaft, den gravierenden Vorwurf ab und leitet das gerichtspolizeiliche Ermittlungsverfahren gegen den Zürcher Bankier Oskar Holenweger ein. Gleichzeitig bittet Wyser die Anklagekammer des Bundesgerichts, «die von mir verfügten Überwachungsmassnahmen» zu genehmigen. Das Bundesgericht, von den Anschuldigungen alarmiert, stimmt der Telefonkontrolle zu.
Monatelang lauschen die Bundespolizisten bei jedem Telefon Holenwegers mit. Dann schlagen sie zu. Am 11. Dezember 2003 um halb sieben Uhr in der Früh liegt Oskar Holenweger noch müde im Bett. Am Abend zuvor hatte er mit seinen Angestellten der Tempus Bank in der «Osteria Mamma Leone» im Zürcher Kreis 4 beim traditionellen Weihnachtsessen gefeiert. An diesem Donnerstagmorgen, exakt zwei Wochen vor Weihnachten, wird Bankbesitzer Oskar Holenweger, den seine Freunde Holi nennen, von einer Einsatztruppe der Bundespolizei und Vertretern der Bundesanwaltschaft verhaftet. Sein Haus in Männedorf ZH wird ebenso durchsucht wie seine Ferienvilla Chesa Muntanella in Champfèr im Engadin. «Wegen des Verdachts auf bandenmässige Geldwäscherei gemäss Art. 305bis Ziff. 2, lit. b StGB», heisst es auf dem Haftbefehl. Stets führt die Bundesanwaltschaft von Valentin Roschacher an, der Hauptaktionär und Geschäftsführer der Tempus Privatbank soll «für Drogenkartelle tätig» gewesen sein.
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114 Kundenbeziehungen geprüft
Wer derart scharf schiesst wie die Bundesanwaltschaft und die Bundeskriminalpolizei, muss über wasserdichte Beweise verfügen. Was diese Beweise tatsächlich taugen, weiss derzeit niemand besser als die KPMG. Die Revisionsgesellschaft hat im Auftrag der Eidgenössischen Bankenkommission (EBK) die Tempus Bank durchleuchtet. Ihr Auftrag war es, so steht es in einer superprovisorischen Verfügung der EBK vom 10. Dezember, die «Transaktionen, die in Zusammenhang mit den Ermittlungen der Bundesanwaltschaft gegen Oskar Holenweger stehen», abzuklären.
Ein hochkarätiges Team von zwölf Wirtschaftsprüfern und Juristen befragte die Verwaltungsräte, die Mitglieder der Geschäftsleitung und etliche Mitarbeiter. Die Experten der KPMG untersuchten alle «wesentlichen Kundenbeziehungen» mit Blick auf die Einhaltung oder die Verletzung des Geldwäschereigesetzes und der Sorgfaltspflichten der Bankiervereinigung, die für alle Finanzinstitute verbindlich sind. Sie revidierten die Bücher der Bank, sichteten zahllose Dokumente und besprachen sich immer wieder mit der Bundeskriminalpolizei. Vor allem aber: Sie prüften à fonds 114 Kundenbeziehungen, Namen- wie Nummernkonti, Individuen wie Stiftungen: Alle Kunden natürlich, die von Holenweger persönlich betreut wurden, dazu die dreissig Kunden mit den grössten Vermögen sowie zwanzig zufällige Stichproben. Und sie nahmen alle Transaktionen unter die Lupe, exakt 146, die mehr als 25 000 Franken betrafen und zwischen April und Dezember 2003 stattfanden.
Kurz: Wenn über die Bank dubiose Geschäfte abgewickelt worden sind, «bandenmässige Geldwäscherei» für Drogenkartelle durch Oskar Holenweger zum Beispiel, konnte das den gestrengen Augen der KPMG-Experten nicht verborgen bleiben. In drei umfangreichen Berichten zuhanden der Eidgenössischen Bankenkommission, datiert vom 23. Dezember 2003, vom 23. Januar 2004 und vom 11. Februar 2004, fassten sie ihre Ermittlungsergebnisse zusammen.
Wer die Berichte liest, kann nur einen Schluss ziehen: Sie sind für die Bundesanwaltschaft und die Bundeskriminalpolizei, um es deutlich auszudrücken, ein Debakel. Es findet sich auf mehreren hundert Seiten kein Konto und keine Transaktion, die etwas mit Kolumbien zu tun hätte. Der schwer wiegende Anfangsverdacht wird nirgends bestätigt. Die Worte «Drogenkartell », «Drogenbaron», «Pablo Escobar», «Cali» oder einen auch nur leisen Hinweis auf Drogengeschäfte sucht man vergeblich. Mehr noch: Die Prüfer der KPMG hatten alle Mühe, überhaupt etwas zu finden, das entfernt mit Geldwäscherei in Verbindung gebracht werden kann.
Das entscheidende Resultat ihrer monatelangen Arbeit findet sich auf Seite 23 des zweiten Berichts im Kapitel «5.6.5 Schlussfolgerung»: «Das Ergebnis unserer Prüfung zeigt, dass ausser bei der Kundenbeziehung D., für welche in der Zwischenzeit eine Meldung an die Meldestelle für Geldwäscherei gemacht wurde, keine der geprüften Transaktionen Zeichen von Geldwäscherei aufweist.» Dieser Satz ist der KPMG so wichtig, dass sie ihn gleich drei Mal in ihre Berichte schreibt.
Nun gut, liesse sich einwenden, immerhin stiess man bei Holenwegers Tempus Bank wenigstens auf einen möglichen Fall von Geldwäscherei. Doch selbst dieser eine Fall muss angezweifelt werden. Denn D. ist in Wirklichkeit ein V-Mann der Bundeskriminalpolizei. Das haben zwei verlässliche Quellen unabhängig voneinander gegenüber FACTS bestätigt. Holenweger wurde also, so scheint es, eine Falle gestellt.
Offiziell will und darf das natürlich niemand bestätigen. Bundesanwaltschaft und Bundeskriminalpolizei hüllen sich unter Verweis auf das laufende Verfahren in Schweigen. Die KPMG will keinen Kommentar zur Untersuchung abgeben, ebenso wenig die Bankenkommission. Herr D. selbst beantwortet die Frage, ob er die Euro-Noten im Auftrag der Schweizer Behörden auf die Tempus Bank brachte, er also ein V-Mann sei, ausweichend. Jetzt müsste er eigentlich das Gespräch abbrechen, meint er am Telefon hörbar überrascht, um sich dann über die «diskriminierende » Frage zu beklagen. Erst als er sich wieder gefasst hat, streitet er, wenig überzeugend, eine Tätigkeit für die Strafverfolgungsbehörden des Bundes ab.
Es fällt auf, dass V-Mann D. kurz nach Eröffnung des Ermittlungsverfahrens gegen Holenweger, am 28. August 2003, als neuer Kunde zur Tempus Bank nach Zürich kam. Laut dem «Kundenprofil», das die Bank an diesem Tag anlegt, stellt er sich als Finanzdienstleister und «Immobilien- Projekt-Initiator» vor und weist sich mit einer offiziellen Identitätskarte aus. Er spricht von «mehreren Millionen Euro pro Jahr», die er auf die Bank bringen werde. Einkünfte aus Liegenschaftsverkäufen, sagt er. «Unversteuert», notiert der Tempus- Bankberater für den neuen Kunden mit der Stamm-Nummer 650061. Am 8. September 2003 bringt D. 191’800 Euro vorbei und am 3. November weitere 637’750 Euro ? bar in Zehner-, Zwanziger-, Fünfziger- und Hunderternoten.
Weil die Noten teilweise zusammenkleben, steigt die Geldzählmaschine aus, und Holenwegers Sekretärin muss sie von Hand zählen. Die Bank, im Umgang mit deutschen Steuerflüchtlingen geübt, findet das nicht weiter fragwürdig und überweist das Geld im Dezember auf ein Konto in Singapur. Das sei zwar «schon verdächtig », aber «schwierig zu beurteilen, ob die involvierten Gelder aus inkriminierter Herkunft stammen», wird das Bundesamt für Polizei notieren, als es im Januar ? also nach der Verhaftung Holenwegers ? eine Geldwäscherei-Meldung der Bank erhält.
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Steuerflüchtlingen zu Diensten
Oskar Holenweger bestreitet in allen Einvernahmen, bei der Bundesanwaltschaft wie beim Eidgenössischen Untersuchungsrichter, wo die Causa derzeit liegt, den Vorwurf der Geldwäscherei energisch. Und auch sein Anwalt sagt, er sehe «nach wie vor keine strafrechtlich relevanten Sachverhalte».
Die Ermittlungen der KPMG zeigen aber, dass Holenweger wenig Hemmungen hatte, Steuerflüchtlingen aus halb Europa zu Diensten zu sein ? wie viele andere Schweizer Bankiers auch. Das mag dem allgemeinen Rechtsempfinden widersprechen, ein Delikt aber ist es nicht. Tschechen und Slowaken finden sich etwa unter seinen Kunden, auch der Hauptaktionär eines Industriekonzerns. Sie alle haben anonyme Stiftungen in Liechtenstein und diskrete Konten bei der Tempus Bank.
Auch zahlreiche Deutsche gehören zur Klientel. Die einen kommen aus München und realisieren, so vermuten die Revisoren, Kursgewinne aus Bundesanleihen, die in Deutschland mit über 70 Prozent besteuert werden ? via Zürich sind sie «steuerfrei». Die andern sind zum Beispiel aus Aachen und versuchen über eine Kreditbestätigung der Bank nicht versteuerte Vermögen als Anleihen zu legitimieren und die Steuerbehörden so zu täuschen.
Oder sie sind aus Frankreich, wie der bedeutende Industriekonzern, der offenbar «Kommissionen» für Auftragserteilungen über die Tempus Bank nach Asien schleust. «Die Art und Weise der Transaktionen sowie deren atypische Dokumentationen », schreibt die KPMG, «lassen auf Fälle von Korruption schliessen.»
Derlei Praktiken könnten die Standesregeln über die Sorgfaltspflichten der Banken verletzen. So vermutet die KPMG in zwei Fällen «aktive Beihilfe zur Steuerhinterziehung », was die Bankiervereinigung mit einer Konventionalstrafe büssen kann. Und die Vermutung, Holenweger habe Korruptionsgelder weitergeleitet, wiegt schwer. Das wäre seit 1. Mai 2000 strafbar, falls a) ausländische Amtsträger bestochen wurden und b) er wissen musste, dass es sich um Bestechungsgelder handelte.
Selbst wenn diese Verdachtsmomente bewiesen werden könnten, was zumindest im vermuteten Korruptionsfall wenig wahrscheinlich erscheint, haben sie nichts mit «bandenmässiger Geldwäscherei», «kolumbianischen Drogenkartellen», «internationaler organisierter Kriminalität» zu tun. Und vor allem hätten sie weder sieben Wochen Untersuchungshaft noch die monatelange Abhöraktion legitimiert.
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Böser Verdacht drängt sich auf
Übrigens: Auch zum eigentlichen Anlass für die Verhaftung Holenwegers fanden die KPMG-Ermittler offensichtlich nichts Belastendes. Der Banker hatte am 9. Dezember einen UBS-Mitarbeiter am (abgehörten) Telefon gefragt, ob er zwei Millionen Euro in Noten einzahlen könne. Auf die Herkunft des Geldes angesprochen sagte er salopp, er müsse schauen, was für Dokumente er da «herzaubern» könne. In den Einvernahmen rechtfertigte er sich, es sei um Geld aus dem Verkauf seines Ferienhauses an einen Ausländer gegangen, der bar bezahlen wollte. Das Haus jedenfalls hat er mittlerweile wirklich verkauft.
So drängt sich der böse Verdacht auf, dass die Bundesanwaltschaft in Bern Holenweger ursprünglich auf Grund von diffusen Tipps, wohl aus amerikanischen Geheimdienstkreisen, ins Visier nahm. Mit den Schlüsselworten «Escobar» und «Drogenkartelle » drückte sie beim Bundesgericht die Telefonkontrolle durch. Um sicherzugehen, setzte sie den V-Mann auf den Bankier an. Das Resultat lässt auf das schliessen, was Juristen «fishing expedition» nennen: Wirft man das Netz nur weit genug aus, bleibt schon ein Fisch drin hängen.
Von diesem Schlag wird sich Oskar Holenweger, 60, nicht mehr erholen. Selbst wenn das Verfahren gegen ihn eingestellt werden sollte, ist sein Lebenswerk zerstört. Anfang Februar verkaufte er, auch wegen persönlicher finanzieller Schwierigkeiten, seine Tempus an die Hamburger Privatbank M. M. Warburg. Damit geht unfreiwillig eine beachtliche Karriere zu Ende, die mit einer kaufmännischen Lehre begann. Mit Ehrgeiz und Talent brachte er es bis zum Oberst im Generalstab, in die Direktion der Stiftung der Sandoz-Familie und als erstes Nicht-Familienmitglied zum operativen Chef der Bank Vontobel, bevor er 1998 schliesslich die eigene Tempus Bank gründete.
«Die grossen Drogengelder werden nicht in der Schweiz gewaschen», sagte Holenweger einst in einem Interview mit der Wirtschaftszeitung «Cash». Alles deutet darauf hin, dass er das auch nicht tat. Bundesanwalt Valentin Roschacher hat in dieser Causa einiges zu erklären.
Dieser Artikel wurde uns freundlicherweise vom Schweizer Nachrichtenmagazin Facts zu Verfügung gestellt. |