Oswald J. Grübel, Co-CEO der Credit Suisse, glaubt, dass die EU den Druck auf den Finanzplatz Schweiz verstärken wird. Im Interview appelliert er, einen ausreichenden Gegendruck aufzubauen und nicht zu vergessen, woher der Wohlstand des Landes kommt.
Von Daniel Huber, emagazine
Moneycab: Was sind für Sie die wichtigsten Werte, die heute den Finanzplatz Schweiz auszeichnen?
Oswald J. Grübel: Das sind im Wesentlichen noch immer die gleichen wie vor 100 Jahren. So um 1900 war die Schweiz weltweit einer der grössten Finanzplätze für Anleihen. Damals wurde der Grundstock für die internationale Ausrichtung gelegt. Dazu kommt die Sicherheit der wirtschaftlichen Solidität und politischen Kontinuität. Für einige mag die direkte Demokratie bei Entscheidungsfindungen manchmal etwas mühsam und schwerfällig erscheinen, trotzdem nimmt sie wie kein anderes System Rücksicht auf die Bedürfnisse und die Privatsphäre der Bürger. Ganz wichtig ist auch die gute Kooperation zwischen Wirtschaft und Politik.
Inwiefern sehen Sie diese Werte bedroht?
Die Schweiz und ihre Politiker werden von der EU und der OECD im Zusammenhang mit der angestrebten Steuerharmonisierung enorm unter Druck gesetzt. Ihr wird unterstellt, dass sie unter dem Deckmantel des Bankgeheimnisses Steuerwettbewerb betreibt. Statt die wirtschaftliche Entwicklung ihrer Mitgliederstaaten gemäss ihrem Auftrag zu fördern, agiert die OECD auf einer politischen Ebene. Auf Druck der Hochsteuerländer versucht sie den internationalen Wettbewerb in Steuerfragen einzuschränken und so den Schutz der Privatsphäre zu verwässern. Nachdem sich die Schweiz gegenüber der EU noch erfolgreich gegen einen Informationsaustausch wehrte, musste sie wohl oder übel Zugeständnisse bei der Zinsbesteuerung machen.
Warum ist es so wichtig, dass die Schweiz ihre Eigenständigkeit bewahrt und sich nicht schleichend vereinnahmen lässt?
Wir müssen unsere Eigenständigkeit und Werte unbedingt bewahren. Der Druck seitens der EU wird wohl noch weiter zunehmen. Doch die Schweiz muss einen Gegendruck aufbauen und sich daran erinnern, woher ihr Wohlstand kommt. Es sind diese bereits erwähnten Werte, die uns die Vorteile des Finanzplatzes, allen voran das vergleichsweise tiefe Zinsniveau, gesichert haben. Sie sind es wert, verteidigt zu werden. Daneben muss die Politik vor allem auch aufpassen, dass der Finanzplatz Schweiz nicht überreguliert wird und dadurch Unternehmen in weniger regulierte Staaten abwandern.
Die Wirtschaftsverbände setzen sich für bilaterale Abkommen ein, um so einen EU-Beitritt möglichst lange zu vermeiden. Wie beurteilen Sie diese Strategie?
Da viele grosse internationale Konzerne ihren Sitz in der Schweiz haben, sind wir auf bilaterale Verträge angewiesen. Das heisst aber noch lange nicht, dass wir allen Wünschen nachgeben müssen. In den letzten Jahren ist in der Weltpolitik ein Modus eingezogen, der immer öfter dem Grösseren recht gibt. Das bekommen wir auch in der Schweiz zu spüren. Plötzlich müssen wir Dinge verteidigen, bei denen wir uns bis anhin ganz selbstverständlich im Recht glaubten.
Wäre nicht auch eine etwas globalere Denkweise der EU möglich, die im unabhängigen Finanzplatz Schweiz einen Vorteil gegenüber anderen grossen Wirtschaftsräumen sieht?
Die grosse EU hat keinerlei Interesse an einem kleinen Sonderfall Schweiz. Der grösste Druck auf unseren Finanzplatz kommt von Hochsteuerländern, die in der Schweiz unversteuertes Geld ihrer Bürger wähnen. Sieht man die wirtschaftlich prekäre Situation einiger EU-Staaten, kann ich bis zu einem gewissen Grad nachvollziehen, dass sie sich an alles klammern, was ihre Situation verbessern könnte. Italien hat einen anderen Weg eingeschlagen und mit Steueramnestien begonnen. Wenn ein Land überzeugt ist, dass seine Bürger ihr Geld im Ausland haben, dann kann es für sich Massnahmen ergreifen, um es zurück zu holen. Dagegen finde ich es nicht richtig, wenn Länder aufgrund von reinen Vermutungen Druck auf politisch weniger gewichtige Staaten ausüben.
Wie gross war der Geldabfluss durch die italienischen Amnestien?
Eigentlich verliefen diese Amnestien für den Finanzplatz Schweiz insofern erfreulich, als damit offensichtlich wurde, dass die ausländischen Kunden ihr Geld nicht allein wegen des Bankgeheimnisses den Schweizer Banken anvertrauen. Rund 40 Prozent des neu deklarierten Geldes sind in der Schweiz geblieben. Von den anderen 60 Prozent ist wiederum etwa die Hälfte in italienische Niederlassungen von Schweizer Banken geflossen. Offenbar sind die Kunden von der Qualität unserer Dienstleistungen überzeugt.
Anfang Jahr haben Sie von beträchtlichen Überkapazitäten auf dem Finanzplatz Schweiz gesprochen. Sind diese mittlerweile abgebaut oder geht der Aderlass noch weiter?
Ich würde nicht von einem Aderlass sprechen, sondern vielmehr von Anpassungen. Von 1980 bis 2000 hatten wir eine enorm lange Boomphase. In dieser Zeit hatten die Bankenindustrie und alle damit verknüpften Branchen enorme Wachstumsraten. Das hat viele Angestellte auch von anderen Industriebereichen angezogen. Mit der Marktänderung ist das jetzt zum Stillstand gekommen. Die Volumen im Bankgeschäft sind stark gefallen. Dadurch entstanden praktisch in allen Bereichen Überkapazitäten. Diese dürften trotz Stellenabbau und natürlichen Fluktuationen heute noch immer 20 bis 25 Prozent betragen.
Dennoch kündeten Sie in einem NZZ-Interview das goldene Zeitalter des Retail- Bankings an. Wie ist das zu verstehen?
Diese Trendwende, die in den Finanzmärkten vor drei Jahren einsetzte, rückt das Retail Banking in ein neues Licht. Das hat mit dem relativ tiefen Zinsniveau zu tun. Dadurch sehen Kapitalrenditen von zehn Prozent heute viel besser aus als noch vor fünf Jahren, als jeder zwanzig Prozent herauswirtschaften konnte. Doch waren damals auch die Zinsen und die Erträge an den Aktienmärkten höher.
Damit ist es heute vorbei. In nächster Zukunft werden Renditen von zehn Prozent sehr gut dastehen. Anders als das Private Banking ist das Retail Banking nicht von zyklischen Marktentwicklungen abhängig, sondern bereits heute fester Bestandteil unseres täglichen Lebens und damit ein konstanter Wert. Nehmen wir zum Beispiel den bargeldlosen Zahlungsverkehr. Dieses typische Retail-Geschäft wird in den nächsten Jahren mit Sicherheit kontinuierlich zunehmen. Gleichzeitig lassen sich beim Retail Banking die Abläufe weiter verbessern und so die Erträge steigern.
Der Gesprächspartner
Banker von der Pike auf
Oswald J. Grübel wurde 1943 in Deutschland geboren. Er begann seine Karriere mit einer Banklehre bei der Deutschen Bank. Grübel stiess bereits 1970 zu einer Tochter der Schweizerischen Kreditanstalt. 1998 wurde er an die Spitze des Credit Suisse Private Banking berufen. Im Zuge einer Restrukturierung gab er per Ende 2001 seinen Rücktritt. Nur gerade ein halbes Jahr später kehrte er an die Spitze der Credit Suisse Financial Services zurück. Seit dem 19. September 2002 ist Oswald J. Grübel zusammen mit John Mack seitens der Credit Suisse First Boston Co-CEO der gesamten CS Group.