Am 12. Dezember nehmen die SBB den Bahn-2000-Fahrplan in Betrieb. Paul Blumenthal, Chef Personenverkehr SBB, äussert sich im Moneycab-Interview über die letzten Vorbereitungen, erläutert die Veränderungen und erklärt das «Knotensystem», auf dem der neue Fahrplan basiert.
Von Patrick Gunti
Paul Blumenthal, Chef Personenverkehr SBB
Herr Blumenthal, am 12. Dezember nehmen die Schweizerischen Bundesbahnen den Bahn-2000-Fahrplan in Betrieb. Wie gross ist die Spannung sieben Wochen vor dem grossen Tag?
Paul Blumenthal: Natürlich sind wir alle gespannt. Die letzten Vorbereitungen laufen auf Hochtouren. Sehr viele von uns freuen sich darauf, dass es am 12. Dezember 2004 endlich los geht – nach all den langen Jahren intensiver Vorbereitung. Auch mir geht es so.
Das Paradestück der Bahn 2000 ist die Neubau-Strecke zwischen Mattstetten und Rothrist. Die Betriebsbewilligung des Bundesamtes für Verkehr steht noch aus. Was muss noch getan werden, um die Bewilligung zu erhalten und bis wann muss diese vorliegen?
Zur Zeit laufen auf der Neubaustrecke noch Testfahrten. Zudem sind die letzten Stellwerk-Feinarbeiten im Gange. Für die Betriebsbewilligung der Neubaustrecke musste die SBB über 1400 Auflagen erfüllen und jede einzelne der getroffenen Massnahmen detailliert dokumentieren. Derzeit prüft das Bundesamt für Verkehr diese umfangreichen Dokumente. Wir erwarten die Bewilligung im Verlauf des Novembers.
Die SBB bringen das ganze Projekt auf einen Nenner: „Mehr Zug für die Schweiz“. Welches sind die grössten Veränderungen gegenüber dem heutigen Stand?
„Die Inbetriebnahme von Bahn 2000 erfolgte schrittweise. So konnten wir etwa das neue Rollmaterial – die Intercity-Neigezüge und die Intercity-Doppelstockzüge – bereits in den letzten Jahren in Betrieb nehmen. Auch einzelne Bauwerke nahmen wir Schritt für Schritt bereits in Betrieb. Mit der Neubaustrecke können wir ab dem 12. Dezember 2004 jetzt den grossen Fahrplanwechsel für Bahn 2000 vollziehen. Dieser bringt in weiten Teilen der Schweiz mehr Züge, bessere Verbindungen und kürzere Reisezeiten. Das bringt viel für unsere Kundinnen und Kunden. Auch deshalb freue ich mich, wenn es am 12. Dezember dann endlich losgeht.“
Was für Auswirkungen hat die Einführung der Bahn 2000 auf den Regionalverkehr?
Bahn 2000 ist primär ein Projekt des Fernverkehrs – mit guter Verknüpfung mit dem Regionalverkehr. Mit dem bevorstehenden Fahrplanwechsel werden verschiedene S-Bahn-Systeme in der Schweiz weiter ausgebaut. Bahn 2000 ist ja nicht nur ein Projekt der SBB, sondern aller Anbieter von Leistungen im öffentlichen Verkehr. So wird vielerorts auch das Nahverkehrsangebot, namentlich das Busangebot, deutlich ausgebaut und die Verknüpfung von Bus und Bahn optimiert. Auch davon profitieren die Reisenden spürbar.
90 Prozent des jetzt noch gültigen Fahrplans sind erneuert worden. Das hört sich nach einem logistischen Abenteuer an. Für den Laien: Wie entsteht ein solch komplexes Werk?
Ich bin nicht der grosse Fahrplanfachmann. Ohne die grosse Kompetenz unserer Fachleute wäre ein so verdichteter und optimierter Fahrplan, wie wir ihn ab dem 12. Dezember fahren, nie möglich geworden. Ich darf mit Freude feststellen: Die Fahrplan-Macher der SBB geniessen weit über die Schweiz hinaus hohes Ansehen und grossen Respekt. Man kann sagen: Die Eisenbahnwelt blickt am 12.12. auf die Schweiz. Denn der Bahn-2000-Fahrplan ist weltweit einzigartig.
Die 1. Etappe der Bahn 2000 basiert auf dem sogenannten Knotensystem. Wie funktioniert dieses ausgeklügelte System?
Der Fahrplan ist so ausgelegt, dass in den wesentlichen Bahnhöfen – wir nennen diese „Knoten“ – die Fernverkehrszüge aus allen Richtungen zur gleichen Zeit ankommen, um dann wieder zur gleichen Zeit loszufahren. In Zürich oder Bern beispielsweise fahren die Fernverkehrszüge alle kurz vor der vollen und kurz vor der halben Stunde ein und verlassen den Bahnhof wieder kurz nach der halben beziehungsweise nach der vollen Stunde. So können wir den Kunden attraktive Umsteigemöglichkeiten anbieten.
Wird ab 12. Dezember alles wie geplant verlaufen oder sind Unregelmässigkeiten möglich?
Unsere Fachleute sagen mir, das grösste Risiko sei das Wetter, und die grössten Probleme wären dann zu erwarten, wenn wir am 12. Dezember in der ganzen Schweiz einen halben Meter Schnee hätten. Da ich angesichts des Wetters in den letzten Jahren nicht davon ausgehe, dass wir dann soviel Schnee haben, bin ich relativ beruhigt. Aber es ist natürlich schon so: Wir können den anspruchsvollen Fahrplanwechsel vorher nicht eins zu eins üben. Zudem müssen sich nicht nur die Kundinnen und Kunden, sondern auch unsere Mitarbeiter erst an den weitgehend neuen Fahrplan gewöhnen. Und natürlich wird es auch künftig zu Betriebsstörungen etwa durch defekte Lokomotiven oder Fahrleitungen kommen. Wir gehen also davon aus, dass nicht alles völlig klappen wird. Unser Ziel ist es aber, im Störungsfall jeweils sehr rasch gute Lösungen zu finden, so dass die Unannehmlichkeiten für unsere Kundinnen und Kunden möglichst gering bleiben. Auch darauf haben wir uns entsprechend vorbereitet.“
Der Bahn-2000-Fahrplan bringt den meisten Reisenden viel Zeitgewinn, aber es gibt auch Nachteile. So verliert zum Beispiel Lenzburg den Halbstundentakt mit Zügen ohne Halt bis Zürich oder der Interregio Luzern – Zürich hält nicht mehr in Zürich Enge. Sind in solchen Fällen spätere Anpassungen des Fahrplans möglich?
Ich kenne diese Fälle und bin mir bewusst, dass der neue Fahrplan punktuell auch Nachteile bringen kann. Auch wenn die Vorteile ganz klar überwiegen, lassen sich vereinzelte Nachteile leider nicht verhindern. Überall da, wo dies der Fall ist, ist es aber unsere Aufgabe, alle Möglichkeiten zu prüfen, um die Nachteile zu kompensieren. Dabei ist klar, dass nicht alles Wünschbare auch machbar ist; die betriebswirtschaftlichen Realitäten müssen beachtet werden.
Die SBB haben auf der Preisbasis von 1993 insgesamt rund 5,9 Milliarden Franken investiert. Die Kosten werden zum Teil auf die Kunden abgewälzt. In welcher Höhe kommen Preisanpassungen auf die Reisenden zu?
Wie bekannt, hat die Gemeinschaft der Anbieter im öffentlichen Verkehr beschlossen, die Tarife per 12.12.2004 anzupassen. Diese Preisanpassungenwerden pro Angebotskategorie differenziert vorgenommen. Grundsätzlich können Sie von einer durchschnittlichen Erhöhung von 3.9 % ausgehen.
Die Änderungen sind wie wir gehört haben sehr zahlreich. Wie sehen die verschiedenen Kommunikations-Massnahmen seitens der SBB aus, um die Kunden über die Neuerungen zu informieren?
Wir kommunzieren auf verschiedenen Wegen, und das schon seit einiger Zeit. Bahn 2000 ist ein grosses Thema, und die Medien berichten entsprechend darüber. Heute weiss wohl der Grossteil der Bevölkerung, dass wir um 12. Dezember 2004 den Bahn-2000-Fahrplan in Betrieb nehmen. Ab Mitte November werden wir mit breit angelegten, regionalen Kampagnen unsere Kundinnen und Kunden über die Veränderungen und die neuen Vorteile informieren. Wir lancieren auch einen neuen Taschenfahrplan, eine Kombination von Städte- und Regionalfahrplan in 104 Versionen. Davon werden wir insgesamt 10 Millionen Exemplare verteilen. Unsere Kundinnen und Kunden finden auch im Internet zusätzliche Informationen unter www.sbb.ch/bahn2000.“
Ein Ausblick: Mit der Einführung der 1. Etappe der Bahn 2000 ist das Projekt noch nicht abgeschlossen. Was sind die nächsten Schritte hinsichtlich einer 2. Etappe und wo werden bei den SBB die Schwerpunkte gesetzt?
„Angesichts der europaweit wachsenden Bedeutung des öffentlichen Verkehrs namentlich in Agglomerationsräumen muss auch in der Schweiz die Bahn weiter ausgebaut werden. Wie wir alle wissen, sind die Mittel knapp. Entsprechend muss es auch künftig darum gehen, dort zu investieren, wo die grössten Engpässe bestehen. Davon profitiert das ganze Netz. Das ist wie bei der Wasserversorgung: Wenn die Hauptleitungen zu klein sind, trocknen die Kapillaren aus. Maximale Netzwirkung mitminimalen Mitteln – das ist die Devise.“
Letzte Frage: Wie und wo verbringen Sie den 12. Dezember?
Ich werde den ganzen Tag im Betrieb unterwegs sein. Da gibt es viel zu tun.
Moneycab Interviews Paul Blumenthal
Paul Blumenthal,
Leiter Personenverkehr und Mitglied der Geschäftsleitung SBB (seit 1999)
Geboren: 9. Januar 1955
Nationalität: Schweizer
Heimatort: Eisten/VS
Zivilstand: Verheiratet, zwei Kinder
Ausbildung:
-Gymnasium Kollegium „Spiritus Sanctus“ in Brig
-Universität Freiburg 1976-1980 (lic. rer. pol)
Bei den SBB:
1993-1999 Direktor Personenverkehr
1990-1993 Stv. Direktor Personenverkehr
ab 1987Verantwortlicher für den Fernverkehr Schweiz und Verantwortung
u.a. für den touristischen Verkehr Schweiz und ab 1988 Int. Geschäfte
1985-1987Sekretär 2. Departement (Verkehr)
1983-1984Mitarbeiter im neuen Marketingstab
1981Eintritt bei den SBB als Nachwuchsakademiker
Bahn-2000-Fahrplan
Am 12. Dezember nehmen die SBB den neuen Bahn-2000-Fahrplan in Betrieb. Das Angebot im öffentlichen Verkehr wird dank schnellerer Verbindungen und besserer Anschlüsse weiter ausgebaut: 12 % mehr Züge, 14 % mehr Zugkilometer und ein zu 90 % erneuerter Fahrplan, dies sind die Hauptmerkmale der Umstellung. Auf über der Hälfte der Verbindungen im SBB-Fernverkehr verkürzen sich die Reisezeiten um mindestens fünf Minuten, und knapp 30 % dieser Fernverkehrsrelationen werden sogar um mindestens eine Viertelstunde schneller. Gegenüber heute sparen die Reisenden zwischen den 125 wichtigsten Bahnhöfen der Schweiz künftig täglich rund 8000 Stunden Reisezeit.