von Patrick Gunti
Herr Baumgartner, SwissHoldings als Verband der Industrie- und Dienstleistungskonzerne in der Schweiz, hat die Wichtigkeit der international tätigen Konzerne für die Schweizer Volkswirtschaft untersuchen lassen. Was sind die wichtigsten Resultate der Studie?
Aufgrund einer im Jahr 2006 veröffentlichten Studie von SwissHoldings kannten wir die Bedeutung der grenzüberschreitenden Direktinvestitionen für unser Land. Wir waren dann aber doch überrascht, als wir gestützt auf die Zahlen der Schweizerischen Nationalbank in Erfahrung bringen konnten, dass rund eine Million Personen in der Schweiz direkt bei multinational tätigen Unternehmen beschäftigt sind. Es handelt sich dabei um die Konzernzentralen und Tochtergesellschaften von schweizerischen und ausländischen Konzernen in der Schweiz. Hinzu kommt, dass rund 2/3 aller schweizerischen Exporte von den internationalen Konzernen in der Schweiz stammen. Schliesslich, auch das ist zwar nicht neu, aber doch wenig bekannt, wird ein Grossteil des weltweiten Rohstoffhandels über Gesellschaften in der Schweiz abgewickelt.
Welche Bedeutung haben die in der Schweiz ansässigen Holdinggesellschaften und Konzernzentralen?
Die genaue Zahl der Holdinggesellschaft in der Schweiz ist uns nicht bekannt, wir gehen aber davon aus, dass es mehrere Tausend sind und dass Holdinggesellschaften und Konzernzentralen direkt und indirekt etwa 200’000 Personen beschäftigen. Dabei handelt es sich in der Regel um hochwertige Arbeitsplätze, sei es direkt bei den Konzernen oder aber im Dienstleistungsbereich, wobei namentlich Finanzdienstleistungen und Beratungsdienste aller Art hervorstechen. Holdinggesellschaften wiederum vereinnahmen die Erträge aus den Tochtergesellschaften. Im Jahr 2006 machten die Dividenden und Zinseinnahmen, die aus dem Ausland in die schweizerischen Holdings flossen, rund 70 Milliarden Franken aus. Das ist etwa die Hälfte der gesamten von der Nationalbank erfassten Kapitalerträge aus dem Ausland.
Mit der Globalisierung haben multinationale Konzerne ihre Konzernstrukturen umgebaut. Mit welchen Folgen für den Konzernstandort Schweiz?
Dieser Umbau ist in den letzten Jahren, von der Öffentlichkeit weitgehend unbemerkt, erfolgt. Die Konzerne organisierten sich dabei vielfach zu globalen Wertschöpfungsketten, regionale und globale Strukturen traten an die Stelle von bisher bilateral ausgestalteten Wirtschaftsbeziehungen. Auch wurden wichtige Konzernfunktionen zentralisiert. Die Schweiz hat gerade vom letzteren Effekt stark profitiert, da zahlreiche ausländische Konzerne wichtige Funktionen in sogenannte regionale oder globale Headquarters oder Dienstleistungsgesellschaften in die Schweiz verlegten. Das bedeutet, dass in der Schweiz nicht nur neue, hochwertige Arbeitsplätze geschaffen wurden, sondern dass auch die Erträge aus den jeweils regional oder weltweit ausgeübten Funktionen in der Schweiz anfielen.
Welche Auswirkungen hat die Verschiebung weltwirtschaftlicher Gewichte in erster Linie in den asiatisch-pazifischen, aber auch in den lateinamerikanischen Raum?
Das ist eine schwierige Frage, denn sie reicht weit in die Zukunft hinein. Wir sehen heute einfach, dass namentlich die grossen Schwellenländer wie Brasilien, Russland, Indien, China zu wichtigen Direktinvestoren im Ausland geworden sind, dass sie über weltweit tätige Konzerne verfügen und dass diese Konzerne – oder auch staatlich gesteuerte Institutionen – zum Beispiel Sovereign Wealth Funds – über sehr erhebliche Mittel verfügen, die sie zu Investitionen und Übernahmen auch in den Industriestaaten einsetzen. Auf der anderen Seite suchen diese Konzerne nach Standorten, von denen aus sie z.B. Europa, Asien oder Afrika bearbeiten können. Da die Schweiz gerade für derartige, aktive Zwischengesellschaft ein besonders guter Standort ist, ist es wichtig, dass sich diese neuen «Players» auch in der Schweiz ansiedeln.
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Wie ist die Schweiz heute in diesem globalen Standort-Wettbewerb positioniert?
Die Schweiz ist heute, und das sagen wir nicht ohne Stolz, in diesem Standortwettbewerb ausgezeichnet positioniert. Das hat viele Gründe, historische, politische, kulturelle. Es spielt auch ein gewisser Cluster-Effekt. Wenn sich einmal gewisse Unternehmen oder Unternehmen aus bestimmten Ländern an einem Ort niedergelassen haben, tun dies vielfach auch andere gleichartige Unternehmen. So gibt es in der Schweiz Clusters für die Finanzindustrie, für den internationalen Rohstoffhandel, für Holdinggesellschaften und Konzernzentralen, aber auch für einzelne Branchen wie Pharma oder Biotech, oder aber für Internet-Firmen wie Google, eBay oder Yahoo.
Der Schlüsselfaktor des Erfolges des Konzernstandortes ist die Steuerfrage. Um in einem sich verändernden internationalen Umfeld weiterhin erfolgreich sein zu können, muss die Schweiz steuerlich weiterhin zu den Top-Standorten zählen. Wie schätzen Sie die heutige Schweizer Steuersituation ein, wo liegen die Vor-, wo die Nachteile?
Ich glaube, eine der ganz wichtigen «Messages» unsere Studie ist, dass den steuerlichen Rahmenbedingungen für die Standortwahl von Konzerngesellschaften und namentlich für mobile Konzernfunktionen eine sehr grosse Bedeutung zukommt. Das wird zwar nicht so gerne von den einzelnen Firmen offen gelegt, aber letztlich sind die Steuern eben doch ein ganz gewichtiger Kostenblock. Zudem fallen die Gewinnsteuern auf demjenigen Teil des Ertrags an, der nach Abzug aller übrigen Kosten noch verbleibt. Ob sie davon nochmals 34% (wie in den USA) oder nur 12, 5% (wie in Irland) an den Fiskus abliefern müssen, ist von erheblicher Bedeutung in einem unternehmerischen Umfeld, das von globalem Wettbewerb und Kostendruck geprägt ist.
In Bezug auf die allgemeinen Gewinnsteuersätze steht die Schweiz mit einem Durchschnittssatz für Bund, Kanton und Gemeinde von effektiv rund 20% eben nicht so gut da, wie dies gemeinhin angenommen wird. Die Referenzwerte sind Sätze unter 20%, und dabei können verschiedene, namentlich auch grosse Kantone wie beispielsweise Genf, Waadt, Basel Stadt, Basel Land, Schaffhausen, Freiburg oder Zürich nicht mithalten. Diese Kantone sind bezüglich der Höhe der Gewinnsteuersätze erst dann kompetitiv, wenn sie einem Unternehmen ein kantonales Steuerregime, etwa für eine Holding-, eine Verwaltungs- oder eine gemischte Gesellschaft anbieten können. Besonders attraktiv kann ein Standort auch sein, wenn er für eine bestimmte Zeit auf eine Gewinnsbesteuerung verzichten kann, wie dies aufgrund des alten Bonny-Beschlusses oder, in einem leider viel eingeschränkteren Masse, aufgrund des neuen Regionalförderungsgesetzes möglich ist.
«Mit dem von der EU im letzten Jahr vom Zaune gebrochenen Streit über die kantonalen Steuerregimes hat die Thematik der Standortattraktivität für Konzerngesellschaften natürlich deutlich an Dramatik gewonnen.» (Peter Baumgartner, Direktor SwissHoldings)
Der Steuerstreit mit der EU über die verschiedenen kantonalen Regimes gaben den Anstoss für die Studie. Wie beurteilen Sie diese Diskussion?
Die Studie war bereits seit längerem geplant, und zwar als Nachfolgestudie zur Erhebung über die Rolle der Direktinvestitionen für unser Land. Mit dem von der EU im letzten Jahr vom Zaune gebrochenen Streit über die kantonalen Steuerregimes hat die Thematik der Standortattraktivität für Konzerngesellschaften natürlich deutlich an Dramatik gewonnen. Die Schweiz kam und darf diese Regimes nicht aufgeben. Wenigstens solange nicht, als sie nicht über einen entsprechenden Ersatz verfügt, der für die betroffenen Unternehmen zu gleich günstigen oder sogar noch besseren Bedingungen führt. Dass sich die Schweiz dabei angesichts der Kräfteverhältnisse einiges einfallen lassen muss, liegt auf der Hand. Daran arbeiten aber verschiedenste Kreise sowohl auf Verwaltungsebene als auch in der Wirtschaft.
Die Studie enthält keine detaillierten Vorschläge zur Lösung des Disputs, erwähnt aber zehn steuerliche Verbesserungen für den Konzernstandort Schweiz. Welches sind im internationalen Umfeld die wichtigsten Trends im Bereich der Unternehmensbesteuerung?
Die Studie hält sich bewusst zurück mit Lösungsvorschlägen. Auf der anderen Seite fordert sie aber, dass sich die Schweiz gerade auch im Steuerbereich an den international absehbaren Trends orientiert. International tätigen Konzerne müssen nach international akzeptierten Regeln spielen, andernfalls können die grenzüberschreitenden Zahlungsflüsse namentlich doch steuerliche Massnahmen empfindlich gestört werden. Welches sind die Trends? Sicherlich eine generelle Absenkung der Gewinnsteuersätze, ferner die Beseitigung von Substanz- und Transaktionssteuern, dann aber auch eine zunehmend enger werdende Zusammenarbeit zwischen den Steuerbehörden, weit reichende Anforderungen an die grenzüberschreitenden tätigen Unternehmen zur Rechtfertigung und Dokumentation ihrer Verrechnungspreise und – last but not least – die Ächtung gewisse Steuerpraktiken, namentlich aufgrund der Arbeiten in der OECD und in der EU, verbunden mit einem Ausbau der nationalen Vorschriften gegen «missbräuchliche» Gestaltungen.
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Einer dieser Trends, der auch einer Forderung von SwissHoldings entsprechen dürfte, sieht eine massive und verbreitete Senkung der Gewinnsteuersätze vor.
In welcher Grössenordnung müssten sich diese Sätze bewegen, um international konkurrenzfähig zu bleiben?
Wie bereits erwähnt, dürfte sich die Referenzmarke für Staaten, die wirklich attraktiv sein wollen, künftig bei einem Gewinnsteuersatz von etwa 10% einpendeln. Dies entspricht in etwa auch den Belastungen von Gesellschaften mit einem kantonalen Steuerprivileg. Ein allgemeiner Gewinnsteuersatz von rund 10% ist für die Schweiz mit erheblichen Steuerausfällen verbunden und kann daher nicht kurzfristig realisiert werden. Für einzelne Kantone, die bereits heute tiefe Sätze kennen, wie Obwalden, Schwyz, Appenzell Ausserrhoden, Appenzell Innerrhoden, Uri oder Zug, sieht die Situation aber schon viel besser aus.
Welche Tendenzen erkennen Sie im internationalen Steuerwettbewerb, wie gehen andere Länder vor, um für Konzerne möglichst attraktiv zu sein?
Die Senkung der Gewinnsteuersätze ist ein allgemein zu beobachtendes Phänomen. In der EU ist ein Wettbewerb bei der Höhe der Gewinnsteuersätze verbreitet und akzeptiert. Daneben versuchen die Staaten mit verschiedensten steuerlichen Anreizen gewisse Konzernfunktionen anzuziehen. Aufgrund der Wettbewerbsregeln des EG-Vertrages müssen derartige Vorteile aber allen Unternehmen gewährt werden. Ist dies nicht der Fall, so gelten sie als selektiv und werden von der EU-Kommission als wettbewerbsverzerrend aufgegriffen. Verschiedenste Staaten versuchen, den Gesamtgewinn eines Unternehmens in einzelne Komponenten aufzubrechen und diese Ertragselemente, namentlich etwa Erträge aus Patenten und Lizenzen, separat zu besteuern, so dass für die betreffenden Erträge im Endeffekt eine wesentlich tiefere Steuerbelastung resultiert. Bekannt sind die sog. Patent-Boxen, wie sie seit kurzem etwa Holland oder Luxemburg anbieten.
Worauf beruht der Erfolg des Konzernstandortes Schweiz abgesehen von der Steuersituation?
Eine wichtige Frage. Ich möchte da nicht missverstanden werden. Der Erfolg des Konzernstandortes Schweiz beruht selbstverständlich auch auf der Tatsache, dass die Schweiz traditionell ein wichtiger Standort für international tätige Unternehmen war, dass sie zu diesem Standort grosse Sorge getragen hat, dass sie über politische Stabilität und ein intaktes Rechtssystem verfügt, dass sie mitten in Europa liegt und, auch dies ist wichtig bei Standortentscheiden, dass es in der Schweiz nicht nur landschaftlich schön, sondern auch recht angenehm zu leben ist.
Herr Baumgartner, besten Dank für das Interview.
Zur Person:
Peter Baumgartner ist seit Anfang 2006 Vorsitzender der Geschäftsleitung von SwissHoldings. Er hat in St. Gallen studiert und am Institut des Hautes Etudes Internationales in Genf promoviert. Er war unter anderem während rund neun Jahren bei der Eidgenössischen Steuerverwaltung im Bereich des internationalen Steuerrechts tätig und hat dann im Jahr 1990 zur damaligen «Industrie-Holding» gewechselt. Er gilt als Spezialist des internationalen Steuerrechts und arbeitet, zum Teil in leitender Funktion, in zahlreichen internationalen Steuergremien mit. Herr Baumgartner ist verheiratet und hat zwei erwachsene Söhne.
Zur Organisation:
SwissHoldings umfasst 46 international ausgerichtete Industrie- und Dienstleistungskonzerne in der Schweiz (ohne Banken und Versicherungen). Der branchenübergreifende Verband engagiert sich für optimale Rahmenbedingungen in unserem Land als Sitzstaat von Holdinggesellschaften mit Auslandbeteiligungen. Die hauptsächlichen Tätigkeitsgebiete sind Wirtschaftspolitik und Wirtschaftsrecht, Kapitalmarkt und Kapitalmarktrecht, Finanzberichterstattung, Direktinvestitionen sowie nationales und internationales Steuerrecht.