Peter Jeggli, Mitgründer Independent Credit View

von Alexander Saheb


In Ihrer jüngsten Analyse zur Bonität von Staatsanleihen von 22 Staaten erwarten Sie dass die USA und England schon bald mit einer tieferen Bonitäts-Bewertung rechnen müssen. Warum ist das so?

Das Kreditprofil beider Staaten verschlechtert sich dramatisch. Beide Staaten gehen nach vorliegenden Schätzungen des Internationalen Währungsfonds (IWF)  in eine Überschuldung rein und fallen unterhalb die historische AAA Benchmark Limite.


Mit welchen Gegenmassnahmen rechnen Sie in diesen Ländern?

Beide Länder werden nicht nur eine Schuldenbremse einführen sondern müssen auch die hohen Schulden wieder reduzieren. Es bleibt also nichts anderes übrig, als die Wirtschaft zu stimulieren, Kosten (auf allen Stufen) zu senken und gleichzeitig die Suche nach neuen Steuereinnahmen einzuleiten. Die Rückkehr der «eisernen Hand» scheint unumgänglich, um diese Gratwanderung erfolgreich zu absolvieren.


Auch für den Euroraum prognostizieren sie vermehrte Finanzprobleme. Grosse Staaten wie Deutschland, Frankreich und Italien werden die Maastricht-Kriterien von 60 Prozent Verschuldungsgrad bei weitem nicht mehr schaffen. Wie müssen diese Staaten reagieren?

Die prognostizierten Staatsschulden schiessen auch hier explosionsartig in die Höhe, wenngleich tiefer als in England und USA. Um der Schuldenfalle zu entgehen, müssen auch diese Staaten Ausgaben kürzen und Einnahmen erhöhen. Die Zeiten der «lockeren» Ausgabenpolitik sind gezählt.


«Die Rückkehr der «eisernen Hand» scheint unumgänglich»


Griechenland gehört ebenfalls zu den Absteigern auf Ihrer Ratingliste und auch die Europäische Zentralbank scheint in diesem Land mittlerweile ein gewisses Problempotenzial zu verorten. Welche Auswirkungen könnte das auf den Euro haben?

Der Euro ist derzeit zu hoch bewertet. Darunter leidet vor allem die Exportindustrie. Insbesondere wirtschaftlich schlecht gestellte Länder, die sich in früheren Krisen-Zeiten einer Währungs-Abwertung «bedienen» konnten (wie Irland, Italien, Griechenland und Spanien) sind blockiert und müssen jetzt «intern» gesundschrumpfen. Der Euro war eine politische und nicht eine makroökonomische Entscheidung. Deshalb wird die Politik, im Gegensatz zum französischen und deutschen Steuerzahler, Hilfe anbieten wollen ? oder den IWF beiziehen.


Ein sehr positives Fazit ziehen Sie hingegen für Brasilien. Warum zeigt sich das Land gestärkt nach der Wirtschaftskrise?

Brasilien verfolgt seit einigen Jahren eine vorsorgliche Ausgabenpolitik. Gleichzeitig profitierte das Land von einem hohen Vorkommen an Bodenschätzen und den hohen Rohstoffpreisen. Als Folge startete Brasilien nicht nur gut in die Finanzkrise, sondern dank einem «florierenden» und «Subprime» verschonten  Bankengeschäft flossen die Stimulierungs-Gelder auch in die Realwirtschaft, die dank tiefem Lohnniveau und stark reduzierten Inflationsraten weitere Ausland-Investitionen anlockt.


Im ICV-Rating liegt die Schweiz ein klein wenig hinter Finnland und Dänemark. Was gibt hier den Ausschlag?

Den Ausschlag hierzu gibt die grosse Bedeutung des Finanzplatzes für die Schweizer Volkswirtschaft. Mit Bankaktiven, die 6-mal grösser sind als das Bruttoinlandprodukt, trägt die Schweiz eine hohe Verantwortung für eine intakte Banken-Landschaft. In der Bonitätssprache spricht man in diesem Zusammenhang von Klumpenrisiken.


Die Schweiz liegt wiederum nur knapp vor Deutschland, obwohl dort die Finanzkrise wesentlich härter zugeschlagen hat. Welche Faktoren prägen dieses Bild?

Schauen wir uns nur die Komponente I-CV Score an, welcher auf der rein quantitativen Analyse beruht, liegt die Schweiz auf Rang 1 und Deutschland auf Rang 10 von total 22 untersuchten Staaten. Da wir aber in der Vergabe des Ratings unter anderem auch noch das Sentiment des Marktes (aktuelle CDS Spreads) mitberücksichtigen um das Bild abzurunden, wird der relative Abstand kleiner. Dies liegt daran, dass der Markt der Schweiz zurzeit eine höhere Prämie abverlangt, was wiederum auf die hohe Konzentration im Finanzsektor durch Banken und Versicherungen zurückzuführen ist.


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Wie verschieben sich insgesamt auf globaler Ebene betrachtet die wirtschaftlichen Gewichte?

Im aktuellen Stadium des Schuldenzyklus erkennen wir 2 Tendenzen: Einerseits das zyklische Überborden der westlichen Länder und anderseits die globale Verschiebung der Wirtschaftskräfte zugunsten von Asien/Osteuropa, die struktureller Art ist. Diese tektonische Verschiebung läuft etwas subtiler ab und ist noch lange nicht am Ende. Es wird dafür verantwortlich sein, dass die Entschuldung der westlichen Länder nur langsam voranschreiten kann. Für einige Länder könnte dieser Langfristtrend durchaus zur Falle für Wirtschaft und Verschuldung werden. China im Industriebereich und Indien im Software-/Dienstleistungsbereich setzen neuerdings die Standards und der Westen muss sich entsprechend positionieren, um den Abstieg in die zweite Liga zu vermeiden.


«Im aktuellen Stadium des Schuldenzyklus erkennen wir 2 Tendenzen: Einerseits das zyklische Überborden der westlichen Länder und anderseits die globale Verschiebung der Wirtschaftskräfte zugunsten von Asien/Osteuropa, die struktureller Art ist.»


Leichtfertig vergebene Ratings durch namhafte Agenturen waren für die Hypothekenblase in den USA mitverantwortlich. Sind denn die Staaten-Ratings der grossen drei Rating-Agenturen von vertrauenswürdigerer Qualität?

Die Agenturen werden von den Anleihenemittenten bezahlt, welche sie dann einzustufen haben. Daraus ergibt sich ein klassischer Interessenskonflikt. Die Glaubwürdigkeit der Rating-Agenturen hat durch die Krise stark gelitten. Während die Herabstufungen bei strukturierten Hypothekarprodukten und Banken schon sehr spät umgesetzt wurden, agieren die Agenturen auch bei der Rückstufung der Länder unseres Erachtens sehr zaghaft. Hier dürften aber mehrheitlich politische als monetäre Überlegungen den Ausschlag geben. Investoren sind aber auf zeitnahe Informationen angewiesen. Ein Downgrade nachdem der Markt bereits reagiert hat, generiert für Investoren keinen Mehrwert.


Ihre Studie kommt zum Ergebnis, dass eigene Recherchen in öffentlichen Informationen schon mal andere Interpretationen nahe legen als «offizielle» Ratings.  Könnten sie dafür ein Beispiel bringen?

Neben Bankenratings (die bis heute zu hoch sind) ist wohl General Electric das prominenteste Beispiel. Der weltweit grösste Bond-Emittent hat seit Jahren auf Wachstum gesetzt und dabei die Qualität der Bilanz vernachlässigt. Für uns war GECC seit 2003 kein AAA mehr, aber erst die immer länger werdenden Rating-Berichte im Jahr 2007 liessen auf ein baldiges Downgrade schliessen. Der Verlust des AAA im März 2009 kam nach unserer Meinung 6 Jahre zu spät. Aktuelle Beispiele sind auch Hypo Alpe Adria oder Dubai Holding, bei welchen wir unsere Kundschaft schon seit längerer Zeit, mehr als 12 Monaten, auf die massiven Bonitätsprobleme aufmerksam gemacht haben.


«Die Agenturen werden von den Anleihenemittenten bezahlt, welche sie dann einzustufen haben. Daraus ergibt sich ein klassischer Interessenskonflikt.»


Was bewegt ICV, mit einem eigenen Ratingsystem in Konkurrenz zu den bestehenden Anbietern zu treten?

Wir sehen uns weniger als Konkurrenz zu den bestehenden und etablierten Anbietern wie Moody?s, Fitch, S&P sondern als sinnvolle Ergänzung. Ratings sind für gut funktionierende Kapitalmärkte notwendig. Investoren, institutionelle wie auch private, sind darauf angewiesen, dass Anlagen anhand eines einheitlichen Systems beurteilt werden. Die Wirtschaftskrise hat nun aber die Unzulänglichkeiten dieses Systems ans Tageslicht gebracht. Viele Investoren, welche sich allzu sehr auf die offiziellen Ratings verlassen haben, mussten herbe Verluste einstreichen als die scheinbar hochwertigen Schuldner zurückgestuft wurden. Diese Investoren fühlen sich im Stich gelassen und suchen nun nach alternativen Modellen. Unsere Dienstleistung trägt genau diesem Bedürfnis Rechnung.


Zusätzlich zu den von Emittenten gesponserten Einstufungen, erhält der Kunde von der ICV eine unabhängige und differenzierte Einschätzung der Kreditqualität, welche die Wertorientierung als oberstes Gebot verfolgt. Da die Analysetätigkeit ausschließlich von Investoren bezahlt wird, bestehen keine inhärenten Interessenskonflikte, wie man sie in Ratingagenturen und Banken antrifft. ICV verfügt über einen Analyseprozess und Bewertungsmodelle, die aber ebenfalls in einem Rating in der gewohnten Terminologie resultieren, so ist die Vergleichbarkeit gewährleistet. Zusätzlich um Ratingbuchstaben erhält der Kunde eine Empfehlung, das heisst eine Aussage dazu, ob eine Anleihe für das zugrundeliegende Risiko angemessen entschädigt und daraus abgeleitet ob sich ein Kauf, Verkauf oder Halten des entsprechenden Papiers empfiehlt.





Der Gesprächspartner:
Peter Jeggli ist Partner und Mitbegründer der auf Kreditanalyse spezialisierten Research-Boutique Independent Credit View. Peter Jeggli verfügt über 20 Jahre Erfahrung als Analyst und war unter anderem für die Credit Suisse in London, New York und Zürich tätig.


Das Unternehmen:
Independent Credit View AG (I-CV) agiert seit 2003 erfolgreich als erste unabhängige Research Boutique für institutionelle Bond-Investoren im Schweizer Markt. Als Beratungsinstitut beurteilt und überwacht I-CV die Kreditqualität von nationalen und internationalen Emittenten. Das Unternehmen verfügt über ein erfahrenes Spezialistenteam und ein robustes Analyseverfahren, welches in einem I-CV Rating und einer Empfehlung resultiert. Das I-CV Rating hat sich im Markt als unabhängige Einschätzung der Kreditqualität etabliert und als akkurater Frühwarnindikator bewährt. I-CV handelt ausschliesslich im Interesse der Investoren und generiert durch prägnante Analysen und umfassende Studien unmittelbaren Mehrwert für Investoren, indem Bonitätsverschiebungen frühzeitig erkannt werden.

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