von Patrick Gunti
Herr Vincenz, Raiffeisen weist für 2008 das viertbeste Ergebnis aller Zeiten aus, hat aber mit 564 Mio. Franken fast ein Fünftel weniger verdient als im Jahr zuvor. Was sind die Gründe?
Raiffeisen weist auch im Jahr 2008 hohe Wachstumsraten aus, die markant über dem Marktwachstum liegen. Um dies zu bewältigen, habe wir eine grosse Zahl von neuen Stellen geschaffen. Dazu kommen Investitionen in neue Standorte und insbesondere in die Erneuerung der IT.
Die Finanz- und Wirtschaftskrise beherrscht die Schlagzeilen und das Geschäft weiterhin. Wie beschreiben Sie das Umfeld, in dem das Resultat zu Stande gekommen ist?
2008 war auch für Raiffeisen ein aussergewöhnliches Jahr. Viele Bankkunden in der Schweiz waren verunsichert, wir hatten eine tiefe Vertrauenskrise. In dieser Situation haben viele neue Kundinnen und Kunden der starken Marke Raiffeisen ihr Vertrauen geschenkt.
158’000 Kundinnen und Kunden sowie 105’000 Mitglieder haben sich 2008 für Raiffeisen entschieden, monatlich sind Ihrer Bank fast eine Milliarde Franken an Neugeldern zugeflossen. Rechnen Sie mit einer ähnlichen Entwicklung im laufenden Jahr?
Der Brand Raiffeisen ist seit Jahren gut positioniert. Wir gehen deshalb auch in diesem Jahr von einem starken Wachstum aus. Die ersten beiden Monate zeigen jedenfalls in diese Richtung.
Rund zwei Drittel der Neugelder sind in Form von Ausleihungen wieder zurück an die Mitglieder geflossen ? in welche Bereiche gingen die Ausleihungen?
Unser Kerngeschäft ist das Kreditgeschäft der einzelnen Banken vor Ort. Die Ausleihungen gingen in erster Linie in Hypotheken von selbst bewohntem Eigentum und an Firmenkredite von KMU.
» Die grösste Herausforderung liegt sicher darin, den verunsicherten Kundinnen und Kunden das Vertrauen zu stärken, sie von der Sicherheit von Raiffeisen, aber auch von den nachhaltigen Produkten und Dienstleistungen zu überzeugen.»
Wie verhält sich Raiffeisen gegenüber Firmenkunden wie zum Beispiel in Bedrängnis geratenen KMU?
Bei Schwierigkeiten eines Kreditnehmers stellt sich Raiffeisen immer die Frage: Sind die Probleme konjunkturell bedingt oder liegen die wahren Ursachen in der Führung oder im Geschäftsmodell? Bei rein konjunkturellen Gründen bietet Raiffeisen gerne Hand zu einer Lösung.
Sie haben das schwierige Umfeld erläutert. Lassen die ersten zwei Monate des Jahres bereits einen Rückschluss auf die weitere Geschäftsentwicklung zu?
Der Mittelzufluss und die erfassten Auszahlungsverpflichtungen zeigen aktuell nach wie vor ein grosses Wachstum. Wir gehen aber davon aus, dass sich dieses im Verlauf des Jahres noch etwas abflachen wird.
Wo sehen Sie die grössten Herausforderungen für Raiffeisen im Jahr 2009?
Die grösste Herausforderung liegt sicher darin, den verunsicherten Kundinnen und Kunden das Vertrauen zu stärken, sie von der Sicherheit von Raiffeisen, aber auch von den nachhaltigen Produkten und Dienstleistungen zu überzeugen.
Die Schweizer Grossbanken haben ihren Heimmarkt wieder entdeckt, vor allem bei der UBS rückt die Schweiz wieder in den Fokus. Welchen Einfluss hat die verschärfte Konkurrenzsituation auf die Geschäftstätigkeit von Raiffeisen?
Raiffeisen ist sich gewohnt, mit intensiver Konkurrenz zu leben. Der verstärkte Marktauftritt der Grossbanken in der Schweiz wird den Druck auf die Margen weiter erhöhen. Wir werden die Stärke der Marke Raiffeisen – Kundennähe, Vertrauenswürdigkeit und persönliche Beratung – noch stärker in den Mittelpunkt stellen und unsere physische Marktpräsenz vor Ort weiter ausbauen.
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Der Geschäftsaufwand stieg im letzten Jahr um 8,3 % auf 1,4 Mrd. Franken, der Personalaufwand mit der Schaffung von 450 neuen Stellen um 9,3 %. In welchen Bereichen wurden die Stellen geschaffen?
Insbesondere wurden Stellen im Bereich unserer grossen IT-Projekte und in der Kundenberatung geschaffen.
Raiffeisen hat erstmals das Entschädigungssystem der Geschäftsleitung veröffentlicht. Die Mitglieder der Geschäftsleitung erhalten einen Fixlohn 1,2 Mio. Franken und einen erfolgsabhängigen Bonus von maximal 800’000 Franken. Waren die Spekulationen der letzten Monate um Ihr Gehalt für diesen freiwilligen Schritt von Raiffeisen verantwortlich?
Die Delegiertenversammlung hat bereits 2002 beschlossen, den Persönlichkeitsschutz höher zu gewichten und die Löhne nicht transparent zu machen. Auf Grund der Entwicklung von Raiffeisen in den letzten Jahren mit der Etablierung als dritte Kraft im Schweizer Markt und den aktuellen Tendenzen in der Aktienrechtsrevision hat sich der Verwaltungsrat bereits vorher entschieden, ab 2009 Transparenz zu schaffen.
«Es kann nicht sein, dass annähernd 80 % des Bankenmarktes verstaatlicht sind.»
Weltweit werden in Form von Milliardenzuschüssen oder Verstaatlichungen Rettungspakete für die Finanzindustrie geschnürt, sei es bei der UBS in der Schweiz, Citigroup in den USA oder RBS in Grossbritannien. Was halten Sie von diesen Rettungspaketen?
Sie waren leider nötig. Es muss nun aber darum gehen, so rasch als möglich wieder aus diesen staatlichen Beteiligungen herauszukommen. Es kann nicht sein, dass annähernd 80 % des Bankenmarktes verstaatlicht sind.
Im Zusammenhang mit den Ereignissen der letzten Monate werden Rufe nach mehr Regulierung der Finanzindustrie laut. Wie ist Ihre Meinung dazu?
Man sollte jetzt nicht überreagieren und durch zu starke Einschränkungen Wettbewerbsnachteile einzuhandeln. Dass aber ? insbesondere im Bereich der risikogewichteten Eigenmittelvorschriften ?Verschärfungen nötig sind, scheint mir klar.
Nach grossem Druck aus dem Ausland hat sich der Bundesrat Ende letzter Woche zur Übernahme der OECD-Standards bereit erklärt. Wie beurteilen Sie den Entscheid?
Lösungen, die sowohl die fiskalpolitischen Zielsetzungen der internationalen Gemeinschaft als auch den Schutz der Privatsphäre berücksichtigen, sind zu begrüssen. Insofern stehen wir hinter dem Entscheid des Bundesrates. Wichtig ist, dass sich für das Inland nichts am Bankkundengeheimnis ändert.
Herr Vincenz, vielen Dank für das Interview.
Zum Unternehmen:
Raiffeisen als drittgrösste Bankengruppe der Schweiz gehört heute zu den führenden Schweizer Retailbanken. Die dritte Kraft im Schweizer Bankenmarkt zählt über 3,2 Millionen Kundinnen und Kunden. Davon sind über 1,5 Millionen Genossenschafter und somit Mitbesitzer ihrer Raiffeisenbank. Die Raiffeisen Gruppe umfasst die 367 genossenschaftlich strukturierten Raiffeisenbanken und Raiffeisen Schweiz Genossenschaft mit insgesamt 1151 Bankstellen sowie die Gruppengesellschaften. Die rechtlich autonomen Raiffeisenbanken sind in der in St.Gallen domizilierten Raiffeisen Schweiz Genossenschaft zusammengeschlossen. Diese hat die strategische Führungsfunktion der gesamten Raiffeisen Gruppe inne, ist für die gruppenweite Risikosteuerung verantwortlich und koordiniert Aktivitäten der Gruppe, schafft Rahmenbedingungen für die Geschäftstätigkeit der örtlichen Raiffeisenbanken und berät und unterstützt sie in sämtlichen Belangen. Raiffeisen Schweiz verfügt über das Aa1-Rating von Moody?s.
Zur Person:
Dr. Pierin Vincenz (Jahrgang 1956), seit 1999 Vorsitzender der Geschäftsleitung (CEO)
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Ausbildung, beruflicher Hintergrund
Studium an der Betriebswirtschaftl. Abteilung der Hochschule St.Gallen; Promotion über «Einsatz und Entwicklung von Expertensystemen im Bankbetrieb»; Langjährige Praxis- und Führungserfahrung in verschiedenen Funktionen bei der Schweiz. Treuhandgesellschaft in St.Gallen, beim Schweiz. Bankverein in der Generaldirektion des Bereichs Global Treasury in Zürich und anschl. als Vizedirektor in Chicago sowie als Vice President und Treasurer bei Hunter Douglas in Luzern; von 1996 bis 1999 als Leiter des Departements Finanz der Geschäftsleitung der Raiffeisen Gruppe.
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Wesentliche Mandate
-VR-Präsident der Aduno-Gruppe
-Mitglied des VR-Ausschusses der Schweiz. Bankiervereinigung
-VR-Mitglied der Vontobel Holding AG
-VR-Mitglied der Helvetia Versicherungen
-VR-Mitglied der Pfandbriefbank schweiz. Hypothekarinstitute
-VR-Mitglied der SIX Group
-VR-Präsident der Plozza Vini SA
-Stiftungsratsmitglied des Swiss Finance Institute
-Member of the Steering Committee UNICO Banking Group Brussels
-VR-Vizepräsident der Raiffeisen Jubiläumsstiftung
-Vorstandsmitglied der Pflegekinder-Aktion Schweiz
-Stiftungsratsmitglied Ostschw. Stiftung f. klinische Krebsforschung