Prof. Peter Gomez, Präsident SIX Group AG

Von Helmuth Fuchs und Peter Stöferle


Moneycab: Herr Professor Gomez, am letzten Harbour Club Symposium im November 2008 haben Sie dafür plädiert, dass die Emotionen der Gesellschaft in schwierigen Zeiten so gelenkt werden sollten, dass sie Gesellschaft und Wirtschaft nachhaltig verbinden. Können Sie kurz erklären, was Sie damit meinten und wie Sie heute diese Aussage im Lichte der sich verschärfenden Krise beurteilen.


Prof. Peter Gomez: Die jetzige Krise ist in vieler Hinsicht einmalig. Nicht nur die Wucht und das Ausmass erfordern ausserordentliche Rettungsmassnahmen, deren Erfolg in keiner Weise garantiert ist. Sie ist aber gleichzeitig eine Vertrauenskrise. Das Verhältnis zwischen Wirtschaft und Gesellschaft ist zerrüttet, der Glaube an die Fähigkeiten und den Willen der Wirtschaft, die Probleme selber aktiv zu bewältigen, ist geschwunden ? deshalb der Ruf nach dem Staat und nach mehr Regulierung. Dies ist aber nicht zielführend: Nach dem «Marktversagen» folgt das «Staatsversagen» auf dem Fuss. Wirtschaft, Gesellschaft und Politik müssen die Krise gemeinsam meistern.


Sie orten die wahren Ursachen der Krise im Machbarkeitswahn der Wirtschaft, der Risiko-Ignoranz der Gesellschaft und der Systemgläubigkeit der Politik. Wo müssen Lösungen ansetzen, dass sie über die Symptombekämpfung hinaus die Ursachen eliminieren?


Die Wirtschaft hat nicht nur über ihre Verhältnisse gelebt, sondern gesellschaftliche Anliegen oft zugunsten ihrer eigenen Profitabilität ausgeblendet. Unsere «Spassgesellschaft» lebt in einer Vollkasko-Mentalität und vergisst, dass Risiken jedes Wirtschaften begleiten. Und die Politik ist so stark mit ihren Dogmen beschäftigt, dass sie ihr wichtigstes Ziel ? das Wohlergehen unseres Landes ? aus den Augen verliert. Die Krise überwinden heisst für die Wirtschaft, ihre Leistungen konsequent an gesellschaftlicher Wertschöpfung orientieren, heisst für die Gesellschaft, Risiken verstehen und akzeptieren lernen, und heisst für die Politik, stets im Interesse unseres Landes zu denken und zu handeln.


«Der Ruf nach dem Staat und nach mehr Regulierung ist aber nicht zielführend: Nach dem «Marktversagen» folgt das «Staatsversagen» auf dem Fuss. Wirtschaft, Gesellschaft und Politik müssen die Krise gemeinsam meistern.»
Prof. Peter Gomez


Mit Barack Obama vereidigen die Amerikaner den grössten Hoffnungsträger seit Generationen als amerikanischen Präsidenten, weltweit lancieren Staaten Rettungsprogramme in Milliardenhöhe, am WEF in Davos werden die Politiker den Ton angeben. Stehen wir von einem neuen Zeitalter des staatlich regulierten Wohlergehens und der Fokussierung auf nationale Interessen statt der Globalisierung und was würde eine solche Entwicklung für die Wirtschaft bedeuten?


Barack Obama wird die ihn gesetzten Hoffnungen nicht erfüllen können, zu gross sind die Erwartungen und zu komplex die anstehenden Probleme. Staatseingriffe sind mittel- bis langfristig nicht in der Lage, die Weltwirtschaft wieder auf Kurs zu bringen. Kurzfristig können sie zwar durch Liquiditätsspritzen und Konjunkturprogramme das Schlimmste abwenden. Aber sie verhindern die notwendige Selbstreinigung der Wirtschaft, indem sie ineffiziente Strukturen am Leben erhalten und durch das billige Geld den Nährboden für die nächste Krise bereiten. Auch besteht die Gefahr, dass die grossen Errungenschaften der Globalisierung im Interesse nationaler Rettungsprogramme preisgegeben werden.
Unsere freiheitliche Marktwirtschaft hat uns über viele Jahrzehnte Wohlstand gebracht, sie darf nicht durch angstgetriebenes Handeln und den Weg des geringsten Widerstands geschwächt werden.


Seit Frühjahr 2006 stehen Sie der SIX Group AG als Verwaltungsratspräsident (VRP) vor. Welches waren die Gründe, die Sie zur Annahme dieses Mandates bewogen haben?


Als Rektor der Universität St. Gallen hatte ich von 1999 ? 2005 die Gelegenheit, mit deren Neupositionierung im Rahmen der Bologna-Reform auch die Schweizer Bildungslandschaft massgeblich zu gestalten. Mit der Zusammenführung von SWX, SIS und Telekurs zur SIX (Swiss Infrastructure and Exchange) Group habe ich im Schweizer Finanzbereich gleiches angestrebt. Das Wohlergehen der Schweiz ist für mich immer wieder eine Motivation für die Übernahme neuer Aufgaben.


Zu Beginn Ihrer Amtszeit war das gigantische Ausmass der Verwerfungen auf den Finanzmärkten für die meisten noch nicht absehbar. Sind Sie selber davon überrascht worden oder hat sich das Platzen der Kreditblase für Sie damals doch schon abgezeichnet?


Es gibt heute viele, die es schon immer gewusst haben wollen. Ich gehöre nicht dazu. Dummerweise haben die Propheten nicht auch entsprechend gehandelt. Ich persönlich bin überrascht worden durch die Wucht und das Ausmass der Verwerfungen. Diese Erfahrung muss die künftige Gestaltung unserer Unternehmen unbedingt prägen.


Anlässlich Ihrer Wahl zum VRP der nachmaligen SIX Group AG haben die Medien betont, dass Sie mit diesem Schritt Neuland betreten würden, zumal Sie bis anhin nicht als ausgewiesener Finanz- oder Börsenspezialist gegolten haben. Wie sehen Sie das, welche Fähigkeiten benötigt man für diese Aufgaben?


Es ist richtig, dass ich ein Neuling in der Finanzwelt war. Aber ich war kein Neuling in der Führung eines Unternehmens, das sich in einem komplexen Umfeld neu positionieren muss. Zudem habe ich mich ein Leben lang mit dem Vernetzten Denken in Theorie und Praxis beschäftigt und gelernt, wie man komplexe Zusammenhänge rasch erfasst und gemäss Einstein «so einfach wie möglich, aber nicht einfacher» sieht ? und damit falsch. Als Quereinsteiger muss man keine Interessen vertreten und kann auch einfache Fragen stellen, die andere schon lange als beantwortet abgehakt haben. Das Fehlen dieses «Common Sense» ist übrigens auch eine der Ursachen der Finanzkrise.


Per Anfang 2008 wurde die Fusion zwischen der SWX Group, Telekurs Group und SIS Group unter dem Namen «Swiss Financial Market Services» vollzogen und das Unternehmen in SIX Group AG umfirmiert. Welche Vorteile haben sich aus diesem Zusammenschluss für die SIX Group AG und den Finanzplatz Schweiz ergeben?


Ziel des Zusammenschlusses ist die Entwicklung einer Schweizer Finanzplatzinfrastruktur, die internationalen Massstäben genügen, dem Finanzplatz als sichere Plattform dienen und den Kunden wettbewerbsfähige Dienstleistungen bieten soll. Aus interner Sicht geht es vor allem darum, die Risiken zu diversifizieren, die Effizienz zu steigern und mit Innovationen in neue Bereiche vorzustossen, die im Alleingang für die drei bisherigen Unternehmen nicht zugänglich waren.


Und wie lautet Ihr persönliches Fazit über die vor Jahresfrist vollzogene Fusion?


Der Prüfstein kam 2008 schneller als erwartet in Form der Finanzkrise. Trotz den Anforderungen eines Triple Merger konnten an allen Fronten die Erwartungen bezüglich Zuverlässigkeit und Effizienz erfüllt werden. Obwohl die Effizienzgewinne zu einem beträchtlichen Teil an die Kunden weitergegeben wurden, konnte 2008 das Budget übertroffen werden. 2009 wird aber sicher schwieriger werden, trotzdem sind wir zuversichtlich.


Die Umsetzung der strategischen Ziele der SIX Group AG beruht auf den drei Säulen Integration, Internationalisierung und Innovation. Können Sie diese drei Schwerpunkte etwas ausführen und erläutern, wie weit deren Umsetzung fortgeschritten ist?


Integration bedeutet, die gesamte Wertschöpfungskette bei Wertschriften und im Zahlungsverkehr nicht nur unter einem Dach zu haben, sondern diesen Prozess effizient zu führen. Internationalisierung heisst, über die Grenzen hinaus zu wachsen, wenn dies unsere Stammaktivitäten abrundet und uns Know How generiert. Innovation schliesslich beinhaltet das Entwickeln neuer Aktivitätsbereiche, die nur im Verbund möglich sind. Bei den ersten beiden sind wir weit fortgeschritten, das letztere wird die Aufgabe der nächsten Jahre sein.


Mit dem Ausbau des Geschäfts in den verschiedenen Divisionen wie Cash Markets, Derivates Markets, Securities Services, Multipay, Cards & Payments sowie Financial Information erfolgte auch eine Diversifizierung des Risikos. Hat sich dieser Schritt rückblickend als «goldenes Händchen» erwiesen?


Risikodiversifikation war immer ein wichtiges Ziel des Zusammenschlusses zur SIX Group. Und die Finanzkrise hat gezeigt, wie schnell sich Konstellationen ändern können. Die frühere SWX konnte stets darauf vertrauen, dass grosse Emittenten der Börse «treu» bleiben würden. Wenn nun auch solche sicheren Werte ins Wanken kommen, erweist sich die Diversifikation der Geschäftsaktivitäten als kluge Strategie.


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Ende 2008 stand der Blue-Chip-Index SMI an der SIX Swiss Exchange bei rund 5’535 Punkten. Im Vergleich zum Vorjahreswert entspricht dies einem Minus von beinahe 35 Prozent. Wie gut schläft man noch als Präsident einer Schweizer Börsen-Holdinggesellschaft und wie gut ist die Schweizer Börse in der gegenwärtigen Situation gegen eine Übernahme geschützt?


Die Schweizer Börse kann nicht übernommen werden, da ein langjähriger Aktionärsbindungsvertrag der Eigentümerbanken besteht. Dies im Interesse einer stabilen Infrastruktur des Schweizer Finanzplatzes. Dass ich weiterhin gut schlafe, hat damit zu tun, dass wir mit der Börse einen Marktplatz zur Verfügung stellen und vom Handel und den verbundenen Dienstleistungen profitieren, unabhängig davon, ob die Kurse steigen oder sinken. Dieser Marktplatz muss aber auch unter widrigsten Bedingungen offen bleiben.


Die SIX Group AG ordnet seit Anfang 2009 die Regulierung und Überwachung der Emittenten und des Börsenhandels neu. Was hat Ihr Unternehmen zu diesem Schritt bewogen und welche Vorteile erwarten Sie von diesen Massnahmen?


Es waren drei Gründe: Die neue Finanzmarktaufsicht (Finma), die Finanzkrise und unser ständiges Bemühen, besser zu werden. Die Finma hat uns weiterhin die Selbstregulierung zugestanden, allerdings mit strengeren Auflagen. Die Finanzkrise hat gezeigt, wie wichtig gut regulierte Börsen sind. Alle «faulen» Papiere wurden OTC gehandelt, nie über die etablierten Börsen, wo die Transparenzbestimmungen viel weiter gehen. Und schliesslich muss es unser stetes Bemühen sein, auch in diesem Bereich immer besser zu werden.


«Der «Masterplan Finanzplatz Schweiz» ist keineswegs Makulatur geworden, im Gegenteil. Die Schweiz kann aus der Finanzkrise auch im internationalen Vergleich gestärkt hervor gehen, wenn die Weichen richtig gestellt werden.»
Prof. Peter Gomez


Auf Mitte 2009 wird der Wertschriftenhandel der SIX Swiss Exchange neu in Zürich konzentriert. Damit wird vor allem der Handel der 32 Schweizer Blue-Chip-Aktien, der heute an der SWX Europe in London betrieben wird, an die SIX Swiss Exchange in Zürich verlegt. Welche Gründe waren für diesen Entscheid massgebend?


Zum einen traten die betroffenen Firmen selber an uns heran und baten uns um eine Änderung der unbefriedenden Situation der doppelten Regulierung. Zum anderen können wir beträchtliche Einsparungen erzielen, ohne dass die Qualität der Dienstleistung leidet.


Im September 2007 ist in dem von der nachmaligen SIX Group AG, der Schweizerischen Bankiervereinigung, der Schweizerischen Versicherungsverband und der Swiss Funds Association erarbeiteten «Masterplan Finanzplatz Schweiz» das Ziel formuliert worden, die Schweiz bis 2015 im internationalen Geschäft als globalen Top-3-Finanzplatz zu etablieren. Hat sich an dieser Zielsetzung nach dem «annus horribilis» 2008 etwas geändert?


Der Masterplan ist keineswegs Makulatur geworden, im Gegenteil. Die Schweiz kann aus der Finanzkrise auch im internationalen Vergleich gestärkt hervor gehen, wenn die Weichen richtig gestellt werden. Die gemischten Arbeitsgruppen von Bund und Finanzindustrie werden in den nächsten Wochen eine umfassende Lageanalyse vornehmen und Ziele wie Massnahmen überprüfen und gegebenenfalls anpassen. Im April soll an einem «Finanzgipfel» über die Resultate informiert werden.


Eigentümer der SIX Group AG sind praktisch ausschliesslich Banken, die wohl auch ihre eigenen Interessen einbringen. Werden durch diese Aktionärsstruktur andere Wirtschaftszweige nicht benachteiligt?


Beim Zusammenschluss wählte die SIX-Group eine Governance nach dem Prinzip «user-owned ? user-governed». Unsere Eigentümer (und gleichzeitig Kunden) sind eine Vielzahl von in- und ausländischen Banken. Im Gegensatz zu ausländischen Börsen, bei denen branchenfremde Eigner nicht immer die Interessen des Finanzplatzes an erster Stelle sehen, hat bei unseren Eigentümern die Wettbewerbsstärke der Finanzinfrastruktur (erreicht bspw. durch Tarifsenkungen) Vorrang vor hohen Dividenden.


In einer Studie aus Ihrer Zeit als HSG-Professor haben Sie eine sieben Punkte umfassende «Erfolgsformel für nachhaltiges Wachstum» mit erarbeitet. Darin raten Sie, Innovation und Effizienz als gleichwertige Unternehmensziele zu verankern. Innovationen sind aber in der Regel auch mit Investitionen verbunden. Wo muss Ihrer Meinung nach der Hebel angesetzt werden, dass hierfür auch weiterhin die entsprechenden Mittel zur Verfügung stehen?


Wer jetzt erst über Ihre Frage nachdenkt, hat voraussichtlich schlechte Karten. Unternehmen müssen sich in wirtschaftlich guten Zeiten neu erfinden. Gleichzeitig müssen sie ihre Effizienz steigern, um für schlechte Zeiten gewappnet zu sein. Dies ist sehr anspruchsvoll, führungsmässig wie organisatorisch. Die jetzige Krise zeigt, dass viele Unternehmen ihre Hausaufgaben nicht gemacht haben (so als Paradebeispiel die amerikanische Automobilindustrie) und nun beim Staat um Hilfe ansuchen. Und dies vermutlich ohne viel Erfolg. Langfristig gut geführte Unternehmen werden auch diese Krise gut überstehen.


Herr Gomez, wir bedanken uns für dieses Interview.





Peter Gomez:
Prof. Dr. Peter Gomez (*1947) ist Präsident des Verwaltungsrates der SIX (Swiss Infrastructure and Exchange) Group, der SIX Swiss Exchange und der Eurex Zürich/Frankfurt.  Gleichzeitig ist er Dean der Executive School for Management, Technology and Law der Universität St. Gallen. Nach Studium in St. Gallen und einer Visiting Professorship in den USA war er während über zehn Jahren in führenden Positionen der Ringier-Gruppe, der Distral-Gruppe und der Valcor AG tätig, bevor er 1990 an die Universität St. Gallen zurück kehrte. Dort leitete er das Institut für Betriebswirtschaft und setzte als Rektor in der Zeit von 1999 – 2005 eine grundlegende Studienreform und Neupositionierung der Universität St. Gallen um. Seine Forschungsinteressen und Publikationen betreffen die ganzheitliche strategische Führung und die Organisation von Unternehmen des privaten, öffentlichen und Non-Profit-Bereichs.


SIX Group AG:
Die SIX Group betreibt die schweizerische Finanzplatzinfrastruktur und bietet weltweit umfassende Dienstleistungen in den Bereichen Wertschriftenhandel und -abwicklung sowie Finanzinformationen und Zahlungsverkehr an. Das Anfang 2008 aus dem Zusammenschluss von SWX Group, Telekurs Group und SIS Group entstandene Unternehmen befindet sich im Besitz seiner Nutzer (160 Banken verschiedenster Ausrichtung und Grösse) und erwirtschaftet mit rund 3?600 Mitarbeitenden und internationaler Präsenz einen Umsatz von über 1,5 Milliarden Schweizer Franken.
Als einer der führenden europäischen Börsen- und Infrastrukturbetreiber bietet die SIX Group erstklassige Dienstleistungen rund um den schweizerischen und grenzüberschreitenden Handel und die Zulassung von Effekten an. Die weiteren Geschäftsfelder der Unternehmensgruppe umfassen kostengünstige und effizien-te Dienstleistungen in den Bereichen Clearing, Abwicklung, Verwahrung und Verwaltung von Wertschriften sowie internationale Finanzinformationen für Anla-geberatung, Vermögensverwaltung, Portfoliomanagement, Finanzanalyse und Wertschriftenabwicklung. Schliesslich decken die Dienstleistungen im Zahlungs-verkehr die Akzeptanz und Verarbeitung von Zahlungen mit Kredit-, Debit- und Kundenkarten sowie die Abwicklung von Interbank-Zahlungen und e-Rechnungen ab.

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