Prof. Ueli Mäder, Institut für Soziologie Uni Basel

von Patrick Gunti


Herr Mäder, Sie sind Co-Autor der Studie «Wie Reiche denken und lenken», die in Buchform im Händel erhältlich ist. Gut hundert Interviews erlaubten Einblicke in Lebens- und Denkweise von Personen mit über 100 Mio. Franken Vermögen. Fast alle Angefragten gaben Auskunft, hat Sie das überrascht?


Ja, die vielen Zusagen haben mich schon überrascht und auch gefreut. Sie zeugen wohl von einer Bereitschaft, sich kritischen Fragen zu stellen.


Hatten Sie das Gefühl, dass bei den Reichen auch das Bedürfnis da war, ihren Reichtum zu erklären oder vielleicht sogar zu rechtfertigen?


Ja, etliche Reiche relativieren auch immer wieder ihren Reichtum und ihren Einfluss. Der Milliardär Götz Werner erklärte mir zum Beispiel, gar nicht so reich zu sein. Schliesslich seien alle seine Mittel in den vielen Drogerien gebunden. Dass sich auch Reiche möglichst gut darstellen, ist verständlich und menschlich.


Zumindest von aussen betrachtet sind Personen mit einem Vermögen von 100 Mio. Franken sehr reich, gehören zu den sogenannt «Superreichen». Lassen wir «super» mal weg: Wann gehört man den in der Schweiz zu den Reichen?


Ich zähle zu den Reichen, wer von den Erträgen seiner Vermögen gut leben kann. Dazu sind ein paar Millionen Franken nötig. Der genaue Betrag hängt halt von den Ansprüchen ab. Das zeigt, wie relativ der Begriff ist.


Wie definieren die Befragten selber ihren enormen Reichtum?


Mehrere Interviewte haben dreissig Millionen Franken als untere Reichtumsgrenze angegeben. Früher galt jeder Millionär als reich. Aber eine Million ist heute auch nicht mehr, was sie einmal war.



«Dass sich auch Reiche möglichst gut darstellen, ist verständlich und menschlich.» Prof. Ueli Mäder, Institut für Soziologie Universität Basel


Rund die Hälfte der Superreichen hat ihr Vermögen geerbt. Trotzdem glaubt zumindest ein Teil von Ihnen, sie hätten das Geld selber erarbeitet. Woher kommt dieses Selbstverständnis?


Wir leben in einer stark individualisierten Gesellschaft. Da scheinen alle ihr Glück selbst zu schmieden. Das ist auch bei Armen so und ebenfalls trügerisch. Eine Frau sagte mir, sie sei selber schuld, dass sie wo wenig verdiene. Sie hätte halt in der Schule besser aufpassen müssen.


Welche Unterschiede haben Sie zwischen Personen mit geerbtem Reichtum und Wirtschaftsführern wie beispielsweise Daniel Vasella feststellen können ? oder anders gesagt zwischen altem und neuem Reichtum, oder auch zwischen Regionen wie Basel und Zürich?


Ältere Reiche betonen gerne, wie sozial verträglich der Reichtum sei. Sie spenden ihr Geld auch à fonds perdue. Man gibt, aber sagt nichts, lautet das Motto. Neue Reiche heben mehr die wirtschaftliche und individuelle Nützlichkeit hervor. Sie betreiben ein pragmatisches Sponsoring.


Kaufen können sich die Reichen alles ? was bereitet ihnen denn Freude?


Etliche Reiche konsumieren immer noch viele klassische Luxusgüter wie goldene Uhren. Genug scheint nie genug zu sein. Bei andern ist eine Sättigung feststellbar. Einzelne fragen sich sehr ernsthaft: wozu das alles? Einer sagte mir: die Welt habe ich schon gesehen und die nächste Yacht macht mich auch nicht glücklicher.


Reichtum heisst bei weitem kein sorgenloses Leben ? was macht den Superreichen Angst?


Die Frage unserer Endlichkeit bewegt auch die Superreichen. Etliche sorgen sich zudem um den gesellschaftlichen Zusammenhalt. Sie fürchten, dass es gefährlich werden könnte, wenn sich die soziale Schere weiter öffnet. Dann könnte nämlich der Arbeitsfrieden auseinander brechen.


Sie waren an den Wohnorten der Reichen, haben beobachtet, wie sie leben, wohin sie in die Ferien gehen, wo sie zur Schule gehen, wie und mit wem sie ihre Freizeit verbringen etc. Abgesehen von gelegentlichen Home-Stories in den Illustrierten bleibt diese Welt in der Regel verborgen. Sie haben denn auch quasi eine steigende Abschottung des Reichtums festgestellt. Worauf führen Sie das zurück?


Es gibt Reiche und Reiche. Die einen leben schier in einem Ghetto. Andere geben sich sehr volksnah. Etliche Reiche sind auch betagt. Ich denke etwa an alte Frauen, die alleine in ihrer Villa wohnen. Das ist manchmal eine recht einsame Geschichte.
 
Haben die Befragten ein Bewusstsein für Armut? Können sie sich überhaupt vorstellen, wie es ist, am Existenzminimum zu leben ? oder sogar darunter?


Viele Reiche würdigen vor allem die erwerbstätigen Armen, also die fleissigen working poor. Sie tendieren manchmal auch dazu, die Armut zu romantisieren oder zu verharmlosen. Ein Reicher, der selbst ein ganzes Unternehmen erbte, äusserte sich ziemlich despektierlich über Sozialhilfeabhängige, die bloss die hohle Hand hinhalten würden. 


In welchem Ausmass und auf welche Art und Weise unterstützen die Reichen weniger begüterte Menschen?


In der Schweiz gibt es über 12?000 gemeinnützige Stiftungen. Das ist ja erfreulich. Reiche bevorzugen diese private Unterstützung. Sie können so staatliche Anstrengungen ergänzen, aber nicht ersetzen. Ich halte es für wichtig, dass die Existenzsicherung eine gesellschaftliche Verantwortung bleibt. Wir dürfen sie nicht der etwas beliebigen Freiwilligkeit überlassen. Denn darauf ist kein Verlass.



«Etliche Reiche sind für eine soziale Marktwirtschaft und für ein ausgewogenes Verhältnis von Kapital und Arbeit.»


Aus Ihrem Buch geht hervor, dass sich die Reichen und Mächtigen der Tatsache, dass die Kluft zwischen Arm und Reich immer grösser wird, durchaus bewusst sind. Wie beurteilen sie diese Tatsache und was tun sie dagegen?


Ja, etliche Reiche sind für eine soziale Marktwirtschaft und für ein ausgewogenes Verhältnis von Kapital und Arbeit. Sie wenden sich gegen den dominanten Marktliberalismus, der einseitig das Kapital vermehren will und die Schere zwischen Arm und Reich vergrössert.


Hierzulande besitzen weniger als 3 % der Leute gleich viel Vermögen wie die übrigen 97 %. Welche Auswirkungen befürchten Sie durch diese wie Sie es genannt haben «historisch noch nie dagewesene Monopolisierung von Reichtum?».


Die starke Konzentration des Reichtums bringt einseitige Abhängigkeiten mit sich. Sie entmutigt auch viele. Wer viel arbeitet, kommt sich manchmal fast ein wenig blöd vor. Zudem weckt dieser Reichtum auch gefährliche Illusionen. Etwa bei Jungen, die auch zum schnellen Geld kommen wollen.


Was wären aus Ihrer Sicht geeignete Mittel um zu verhindern, dass sich die Vermögens- und Einkommensschere weiter öffnet?


Wir müssen den sozialen Ausgleich ernsthaft voran bringen. Ich würde zuerst die unteren Löhne anheben und allen Jugendlichen eine Ausbildung ermöglichen.


Herr Mäder, besten Dank für das Interview.





Das Buch:
«Wie Reiche denken und lenken» Ueli Mäder, Sarah Schilliger und Ganga Jey Aratnam, Rotpunktverlag, Zürich 2010, 444 S., 38 Franken.


Zur Person:
Ueli Mäder, geboren 1951, ist Professor für Soziologie an der Universität Basel und der Hochschule für Soziale Arbeit. Er leitet das Institut für Soziologie und das Nachdiplomstudium in Konfliktanalysen. Seine Arbeitsschwerpunkte sind die soziale Ungleichheit und die Konfliktforschung.

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