Protein-Wechselwirkungen: Wer macht mit wem Party und wer vermiest sie?
Zürich – Mit einer neuen Methode messen Forschende der ETH Zürich in Zellen, welche Proteine mit welchen wechselwirken. Damit legen sie einen Grundstein für die Entwicklung neuer Wirkstoffe gegen Krankheiten wie Krebs oder Alzheimer.
Im Inneren von Zellen geht es zu wie in einem gut gefüllten Dance Club: Hunderte sind am feiern. Manche bleiben für sich alleine, andere gehen durch die Menge und quatschen mit jedem, den sie antreffen. Die einen grüssen sich nur flüchtig, andere bleiben die ganze Zeit mit ihren besten Freunden zusammen. In diesem Club spielen sich also jede Menge unterschiedliche Interaktionen unter den Partygänger:innen ab – und genauso ist es in Zellen mit den Proteinen.
Denn Zellen sind gefüllt mit vielen verschiedenen Arten von Proteinen, die miteinander wechselwirken und oft in Gruppen zusammenarbeiten. Diese Gruppen heissen Komplexe und sind eigentlich molekulare Maschinen, die nur dann einwandfrei funktionieren, wenn ihre einzelnen Bestandteile zusammenspielen.
Partycrasher unterbricht normale Wechselwirkung
Welche Proteine wie miteinander wechselwirken, hängt auch vom Zustand des Körpers ab. Unter normalen Bedingungen in einem gesunden Körper schliessen sich zwei Proteine, die wir Blau und Rot nennen, zusammen. Ändern die Bedingungen, zum Beispiel durch zellulären Stress, kann Protein Blau seinen Interaktionspartner wechseln und mit Protein Gelb zusammentun, das nichts als Ärger macht und damit die Party stört.
«Veränderte Wechselwirkungen zwischen Proteinen können zu Krankheiten wie Alzheimer, Parkinson oder Krebs führen», erklärt Cathy Marulli. Sie ist Doktorandin bei Paola Picotti, Professorin am Institut für molekulare Systembiologie der ETH Zürich. «Es ist deshalb wichtig zu wissen, wie sich Protein-Protein-Wechselwirkungen zwischen gesundem und krankhaftem Zustand unterscheiden und wie die Bindungsstellen zwischen zwei Proteinen beschaffen sind. Kennen wir diese bis ins letzte Detail, können wir Wirkstoffe entwickeln, die ungewünschte Wechselwirkungen blockieren und die Zelle wieder ins Gleichgewicht bringen», erklärt sie.
Soziales Netzwerk der Proteine aufdecken
Die ETH-Biochemiker haben deshalb einen bewährten Ansatz der Proteinforschung weiterentwickelt, um damit das komplette Interaktionsnetzwerk der Proteine, das sogenannte Interaktom, zu analysieren.
Die entsprechende Studie ist soeben in der Fachzeitschrift Nature Biotechnology erschienen.
Schon vor einigen Jahren entwickelte Picotti und ihre Mitarbeitenden die sogenannte LiP-Massenspektrometrie. Damit können die Forscherinnen in beliebigen biologischen Proben strukturelle Änderungen von tausenden von Proteinen messen, ohne dass die Proben zuvor speziell aufgereinigt werden müssen. Mit dieser Methode haben sie zuletzt Proteine und deren Funktionen analysiert.
Nun haben sie LiP-Massenspektrometrie weiterentwickelt, um auch die Interaktionen zwischen Proteinen zu bestimmen. Zu diesem Zweck identifizierten sie zunächst rund 6000 Interaktionsschnittstellen zwischen Proteinen und andere Stellen, die sich verändern wenn Proteine miteinander wechselwirken. Diese Stellen nutzten sie anschliessend als Marker, um beurteilen zu können, ob ein Protein unter einer bestimmten Bedingung seine Interaktion zu anderen Proteinen verändert.
Sie verwendeten dazu Enzyme, die Proteine in Stücke schneiden. Diese Enzyme können Proteine nur an frei zugänglichen Stellen angreifen. Ist an einer Stelle ein anderes Protein angedockt, kann das Enzym dort nicht schneiden. Detaillierte Informationen zu den Proteinbruchstücken halfen den Forschenden daher, zu analysieren, ob und wo einzelne Proteine mit anderen wechselwirken. Auf diese Weise konnten die Forschenden die Wechselwirkungen von etwa 1000 Proteinen gleichzeitig und direkt in einer ungeordneten Zellmatrix untersuchen.
Markante Änderungen in gestressten Zellen
Um die neue Methode zu entwickeln, arbeiteten die Forschenden mit Hefezellen. Sie untersuchten dabei, wie sich die Wechselwirkungen von Proteinen im Normalzustand von jenen einer Stresssituation, ausgelöst durch eine chemische Substanz, unterscheiden.
Dabei deckten die Biochemikerinnen auf, dass die Stresssituation rund fünf Dutzend Proteinkomplexe und damit ihre Interaktionen verändert hatten. Zudem zeigten die Forscher:innen auf, dass ein Proteinkomplex namens SAGA eine wichtige Rolle im Interaktionsnetzwerk der Hefezelle spielt. Nahmen sie SAGA aus dem Spiel, verhielten sich rund zwei Drittel der Proteinkomplexe in der Stresssituation anders. «SAGA ist der DJ auf der Party. Wenn er stummgeschaltet ist, dann hören erst einmal einige Partygruppen auf zu tanzen. Sie beeinflussen weitere Partygänger, die sich ebenfalls zurückziehen. Das zeigt, dass ein einzelne Akteur in der Zelle einen überproportional grossen Einfluss auf andere hat», sagt Marulli.
Auf andere Arten übertragbar
Die erarbeitete Methode lässt sich auch für andere Organismen anwenden. «Für jede Art, die wir untersuchen wollen, müssen wir lediglich einen neuen Satz an Bindungsmarkern erarbeiten, dann können wir mit dieser Methode auch die Proteininteraktionen in Zellen von Mäusen oder Menschen untersuchen», sagt Marulli. Der nächste logische Schritt ist deshalb, die Interaktionsmarker für das Interaktom menschlicher Zellen zu bestimmen, um fehlerhafte Protein-Wechselwirkungen in einem Durchgang zu analysieren.
Die Bestimmung der Protein- Wechselwirkungen ist in Bezug auf Krankheiten enorm wichtig. «Wir wollen deshalb unsere Technik für diagnostische Zwecke und für die Erforschung von Krankheitsmechanismen weiterentwickeln», sagt Picotti. Die Hoffnung ist berechtigt: Schon frühere Ansätze, die in ihrem Labor entwickelt wurden, sind vom ETH-Spin-off Biognosys in die Praxis übertragen worden.
Pharmaforschung zielt auf Interaktionen ab
An den Interaktionsmarkern ist auch die Pharmaforschung stark interessiert. Sind die Interaktionsstellen bekannt, können Forschende effizient nach chemischen Verbindungen suchen, die ungewünschte Wechselwirkungen unterbrechen oder neue aufbauen können.
Wirkstoffe, die die Protein-Wechselwirkungen beeinflussen, sind derzeit eine vielversprechende neue Richtung in der pharmazeutischen Forschung. Mit solchen Substanzen könnten möglicherweise auch Proteine adressiert werden, die mit heutigen Wirkstoffen nicht zugänglich sind. Oder es können neue Medikamente mit weniger Nebenwirkungen entwickelt werden. (ETH/mc/pg)