Ralf Bopp, Direktor Handelskammer Deutschland-CH: «Hauptmotiv für eine Firmengründung in der Schweiz ist für die meisten Firmen eine effizientere Marktbearbeitung im Vertrieb»

von Patrick Gunti


Der Handel zwischen der Schweiz und Deutschland hat letztes Jahr ein weiteres Rekordhoch erreicht. Das Handelsvolumen, also die kumulierten Importe und Exporte, beliefen sich auf 90,9 Mrd. CHF, was einem Plus von 13,5 % gegenüber dem Vorjahr entspricht. Die Schweizer Exporte nach Deutschland stiegen gegenüber dem Vorjahr um 14,7% auf 35,8 Mrd CHF, in umgekehrter Handelsrichtung nahmen die Importe aus Deutschland um 12,7% auf 55,1 Mrd CHF zu.


Herr Bopp, ein Drittel aller Schweizer Importe kommt aus Deutschland, ein Fünftel aller Exporte gehen ins nördliche Nachbarland. Welches sind die Hauptgründe für das stetige Wachstum?


Zunächst einmal ist die gute Konjunktur dafür verantwortlich, die viel nachhaltiger verläuft als prognostiziert wurde. Darüber hinaus ist die deutsche und die Schweizer Wirtschaft sehr eng miteinander verflochten, so dass der Boom in beiden Volkswirtschaften für stützende bzw. beschleunigende Momente sorgt. Analysiert man ferner die Struktur des Warenaustauschs so fällt auf, dass über 60% Zulieferprodukte, Halbfabrikate und Investitionsgüter ausmachen. Dies zeigt deutlich die Verzahnung auf.


Auf welche Warenarten entfielen die Importe und Exporte hauptsächlich?


Die Hauptwarenarten des Importes aus Deutschland sind Maschinen und Anlagen, (24,4%), Chemische und Pharmazeutische Produkte (15,8%), Metalle (12,5%) sowie Automobile (9,9%). Bis auf letztere Gruppe ist der Export nach Deutschland gleich strukturiert. Maschinen und Anlagen hatten einen Anteil von 26,7%, Chemische und Pharmazeutische Produkte von 25,7% Metalle 13,7% und statt Automobile, lieferte die Schweiz Uhren und Präzisionsinstrumente mit einem Anteil von 11%.


Geographisch konzentriert sich der deutsch-schweizerische Handel auf gewisse Regionen – in Deutschland vor allem auf Baden-Württemberg, Nordrhein-Westfalen und Bayern. Erklärt sich dies alleine mit der geografischen Nähe?


Nicht ganz alleine, obwohl die geografische Nähe gerade im Fall von Baden-Württemberg eine sehr grosse Rolle spielt. Über ein Drittel der Schweizer Exporte fliessen in dieses Bundesland und über ein Viertel der Importe kommt von dort. Die drei genannten deutschen Bundesländer zählen auch zu den wirtschaftlich stärksten in der Bundesrepublik – kein Wunder wenn mit diesen der Aussenhandel mit der Schweiz besonders intensiv ist.


Wie sieht es im umgekehrten Fall aus – welches sind die Regionen in der Schweiz, die in erster Linie profitieren?


Dazu gibt es leider keine statistischen Angaben. Es ist aber unschwer zu erkennen, dass die Wirtschaftszentren der Schweiz, also vom Raum St. Gallen, über Zürich, Basel, Zentralschweiz, Bern bis Lausanne und Genf den Hauptanteil auf sich vereinen. Ganz besonders involviert sind sicherlich auch die grenznahen Kantone, insbesondere Zürich.


«Steuern spielen bei der Investitionsentscheidung natürlich auch eine grosse Rolle, aber eine weit geringere als allgemein angenommen wird.» (Ralf Bopp, Direktor Handelskammer Deutschland-Schweiz)


Die Handelskammer berät und unterstützt Unternehmen aus beiden Ländern, wenn sie auf der Suche nach einem geeigneten Standort in der Schweiz resp. in Deutschland sind. Der Anteil deutscher Unternehmen, die einen Standort in der Schweiz suchen, ist dabei deutlich grösser als umgekehrt. Welches sind nach Ihren Erfahrungen die wichtigsten Kriterien dieser Standortwahl?


Bei der Frage nach den wichtigsten Kriterien antworten uns die meisten deutschen Unternehmer, dass für sie die Lebensqualität, die Infrastruktur für ihr Unternehmen und die geografische Lage besonders wichtig sind. Steuern spielen bei der Investitionsentscheidung natürlich auch eine grosse Rolle, aber eine weit geringere als allgemein angenommen wird. Das Hauptmotiv für eine Firmengründung in der Schweiz ist für die meisten Firmen eben doch eine effizientere Marktbearbeitung im Vertrieb.


Wo liegen generell die Schwerpunkte der Beratungstätigkeit Ihrer Organisation?


Wir konzentrieren uns auf 3 Schwerpunktbereiche: Erstens ein praktisch hilfreiches Dienstleistungsangebot für die Firmen im Wirtschaftsverkehr zwischen Deutschland, der Schweiz und dem Fürstentum Liechtenstein. Hierzu gehören vor allem die Exportberatung und aktive Unterstützung beim Exportaufbau, die Geschäfts- und Kooperationspartnervermittlung. Ausserdem die Beratung in Rechts- und Steuerfragen, die Standort und Investitionsberatung sowie die Beratung in MWSt Fragen.

Zweitens bieten wir ein bedeutendes Kontaktnetz zu Firmen, Verbänden und Behörden an und stellen eine Kommunikationsplattform mit vielen Veranstaltungen, Seminare, Workshops, Business-Lunches oder auch Produktepräsentationen, die rege in Anspruch genommen wird. Drittens dienen wir als Anlaufstelle für die Unternehmen bei Schwierigkeiten im Handelsverkehr und bringen die Anliegen der Wirtschaft gegenüber den zuständigen Regierungsstellen und Institutionen zur Geltung.


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Überraschend abgenommen haben 2006 die Direktinvestitionen zwischen den beiden Ländern. Schweizer Unternehmen zogen über 1,5 Mrd. Euro aus Deutschland zurück. Die Direktinvestitionen Deutschlands in der Schweiz schrumpften gar von 4,8 Mrd. auf 217 Mio. Euro. Was für eine Erklärung haben Sie?


Eine zuverlässige Interpretation ist zur Zeit noch schwierig und wäre erst bei mittelfristig gleichem Verlauf sicherer. Wenn sich hierin nicht erste Schwächezeichen der konjunkturellen Entwicklung zeigen, so könnte eine gewisse Saturierung dafür verantwortlich sein. Die Hauptzielländer der Schweizer Direktinvestitionen sind vor allem die USA und das Vereinigte Königreich, mit weitem Vorsprung vor Deutschland, das in den vergangenen Jahren erst an 3. oder 4. Stelle der Rangliste folgte. Einerseits war nach dem Einkaufsboom der Schweizer Unternehmen nach der Wiedervereinigung ein Zurückfallen der Direktinvestitionen zu erwarten, andererseits dürften mitunter die höheren Wachstumsraten im angelsächsischen Raum für diese Rangfolge ursächlich sein.


Die ersten Monate 2007 lassen darauf schliessen, dass die Handelsbeziehungen zwischen den beiden Ländern auch im laufenden Jahr florieren werden. Von welchen Zahlen gehen Sie aus?


Ich würde mich nicht wundern, wenn die Zuwachsraten erneut etwas über 10% liegen würden.


Sie befürchten Handelshemmnisse wegen der ab Juli 2009 in Kraft tretenden Zollsicherheitsinitiative der EU. Welche Forderungen haben Sie in diesem Zusammenhang an die Politik?


Als wichtigste Änderung ist in diesem Zusammenhang die obligatorische Vorausmeldung für Waren im Ex- und Import zwischen der EU und Drittstaaten, also auch der Schweiz vorgesehen. Dies erzeugt eine erhebliche Zusatzbürokratie. Im internationalen Vergleich ist Deutschland für die Schweiz der wichtigste Handelspartner und die Schweiz zählt zu den 10 wichtigsten Handelspartnern Deutschlands. Eine zeitliche Verlängerung der Grenzabfertigung würde für beide Handelspartner massive Nachteile mit sich bringen und hätte grosse Auswirkungen auf den Verkehr im grenznahen Raum.


Es ist sehr zu begrüssen, dass die Schweiz und die EU- Verhandlungen aufnehmen werden, um auf dem Weg der gegenseitigen Anerkennung von Sicherheitsstandards dieses drohende Handelshemmnis abzuwenden. Die Handelskammer spricht sich aber dafür aus, dass vor allem eine Abschaffung der Voranmeldefristen erreicht wird. Eine Reduzierung der Voranmeldefrist auf «Null», würde trotzdem noch tausende von Einzelmeldungen an der Grenze entstehen lassen, die von den Firmen auszufüllen, abzugeben und vom Zoll zu prüfen sind.


«Eine zeitliche Verlängerung der Grenzabfertigung würde für beide Handelspartner massive Nachteile mit sich bringen und hätte grosse Auswirkungen auf den Verkehr im grenznahen Raum.» (Ralf Bopp)


Inwiefern versucht die Handelskammer Deutschland-Schweiz Einfluss auf die Politik zu nehmen?


Die Handelskammer beschäftigt sich nicht mit Politik. Unsere Zielsetzung ist die Förderung des Handels und der Dienstleistungen im grenzüberschreitenden Wirtschaftsverkehrs nach den Grundsätzen der Gegenseitigkeit. Wie bereits erläutert wenden wir uns mit Nachdruck gegen Wirtschaftshemmnisse und schlichten bei auftretenden Schwierigkeiten.


Die Zahl der Deutschen, die sich in der Schweiz niedergelassen haben, ist in den letzten acht Jahren um fast zwei Drittel angestiegen. In welchen Berufen sind Deutsche in der Schweiz vor allem tätig?


Soweit wir das beobachten hauptsächlich in medizinischen – und Pflegeberufen, im Management und im Gastgewerbe.


Wie sehr suchen Schweizer Firmen in Deutschland gezielt nach Arbeitskräften?


Zu dieser Frage liegen uns keine zuverlässigen Informationen vor. Es zeigt sich jedoch, dass gerade die Fachqualifikationen die in der Schweiz knapp sind und die gesucht werden, meistens in Deutschland – und im umliegenden Ausland – gleichzeitig gesucht werden. Und hier hat der Standort Schweiz im Wettbewerb um diese Fachqualifikationen eine sehr gute Ausgangsposition.

Letzte Frage: In den letzten Monaten ist das Thema der vielen deutschen Staatsbürger in der Schweiz vor allem durch die Boulevardpresse hochgeschaukelt worden. Sie sind selber Deutscher – wie erleben Sie persönlich Schlagzeilen wie «Die Deutschen kommen»?


Es interessiert mich natürlich und ich beschäftige mich mit den Sachinformationen. In der Tat ist eine deutliche Zunahme festzustellen: 1999 wurde die 100.000er Grenze überschritten und seitdem ist die Zahl auf über 170.000 angewachsen. Die Deutschen haben aber trotz des Zuwachses gerade einen Anteil von etwas über 11% der Ausländer in der Schweiz und sie sind die viertgrösste ausländische Herkunftsgruppe.


Herr Bopp, wir bedanken uns für das Interview.





Zur Person:
Ralf J. Bopp, geb. 13.9.1959 in Frankfurt a.M., verheiratet 3 Kinder, Dipl. Volkswirt, seit 1.12.1990 in der Schweiz und seit 1.7.2005 Direktor der Handelskammer Deutschland-Schweiz


Zur Organisation:
Die Handelskammer Deutschland-Schweiz ist seit rund 100 Jahren ein wichtiges Bindeglied in den Wirtschaftsbeziehungen zwischen Deutschland, der Schweiz und dem Fürstentum Liechtenstein. Die Handelskammer Deutschland-Schweiz ist eine moderne Dienstleistungsorganisation und Teil des weltumspannenden deutschen und schweizerischen Kammer-Netzwerkes. Sie ist eine private Organisation, die sich über freiwillige Mitgliedschaften und exklusive Dienstleistungen wie Rechts- und Steuerberatung, Firmengründungen, Markterschliessung- oder Exportberatung finanziert. Mit spezialisierten Fachleuten liefert die Handelskammer Deutschland-Schweiz Dienstleistungen, Konzepte, Strategien und Gutachten. Darüber hinaus vertritt sie wichtige Messen, vermittelt Geschäftskontakte und Vertriebspartner, veranstaltet Seminare und führt einen Auskunftsdienst mit über 15’000 Kontakten pro Jahr.

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