Reformbarometer: Schweiz überholt Deutschland und Österreich
Seit September 2002 erfasst und bewertet es die Reformanstrengungen in den für das Wachstum und die Beschäftigung entscheidenden Bereichen Arbeitsmarktpolitik, Sozialpolitik sowie Finanz- und Steuerpolitik dieser drei Länder. Für diesen Zeitpunkt wurde das Barometer für alle drei Länder auf den Startwert 100 gesetzt, auch wenn die Schweiz eine wesentlich bessere Ausgangsposition aufwies. Die Resultate werden seither jährlich präsentiert.
Schweiz erstmals an der Spitze
In der Periode von Oktober 2007 bis September 2008 belegt die Schweiz mit 109, 4 Punkten den ersten Platz, gefolgt von Österreich mit 107, 3 Punkten und Deutschland mit 105,7 Punkten. Damit liegt die Schweiz erstmals auch mit ihrem Endresultat an der Spitze des Barometers, und sie übertrifft ihre beiden Nachbarn wiederum in Bezug auf die Reformdynamik. Der Teilindikator Sozialpolitik konnte sich von den Rückschritten der letzten Jahre zu einem grossen Teil erholen, und auch jener der Arbeitsmarktpolitik hat sich leicht verbessert. Ein grosser Reformschritt konnte in der Steuer- und Finanzpolitik eingeleitet werden. Insgesamt fällt die aktuelle Schweizer Reformbilanz somit positiver aus als in den letzten Jahren. Gänzlich erlahmt hingegen sind im letzten Jahr die Reformbemühungen in Österreich und Deutschland. Durch die Grossen Koalitionen sowie Wahlkämpfe blockiert, mussten diese beiden Länder gar reformpolitische Rückschritte verzeichnen.
IV-Reform für gutes Abschneiden verantwortlich
Zurückzuführen ist das gute Abschneiden der Schweiz auf Reformen in der Invaliden- und Krankenversicherung, die in der Vergangenheit negativ bewertet wurden, jetzt aber positiv korrigiert werden konnten. Damit konnten entscheidende Reformrückschritte aufgeholt werden. Darüber hinaus hat in erster Linie die Vereinfachung der Mehrwertsteuer für den Anstieg des Reformbarometers gesorgt. Gleichzeitig aber fällt auch ins Gewicht, dass die beiden Referenzländer durch Reibungsverluste in den Grossen Koalitionen und Wahlkämpfe reformpolitisch praktisch blockiert waren. Insgesamt wurde der Aufschwung der letzen Jahre in allen drei Ländern zu wenig genutzt, um wichtige strukturelle Reformen voranzubringen und sich für schwierigere Zeiten zu wappnen.
Arbeitsmarktpolitik: Die bedeutendste arbeitsmarktpolitische Massnahme in der betrachteten Periode ist die Botschaft zur Teilrevision des Arbeitslosenversicherungsgesetzes. Die Vorlage sieht die Beseitigung von Fehlanreizen vor, wodurch Einsparungen in erheblicher Höhe realisiert werden sollen. Bedauerlicherweise beinhaltet die Vorlage mit der Erhöhung des Lohnbeitragssatzes aber auch Mehreinnahmen in beträchtlicher Höhe, wodurch die positive Bewertung etwas getrübt wird. Dennoch hat der Indikator damit den Schluss- und zugleich Höchststand von 110,8 Punkten erreicht.
Sozialpolitik: Der Teilindikator weist mit 95,9 Punkten seit seinem starken Abfallen im September 2005 den höchsten Wert auf. Mit einem Plus von 3,7 Punkten hat er sich gegenüber 2007 deutlich verbessert. Im Rahmen des Krankenkassengesetzes wurden mit der Vorlage über die Spitalfinanzierung, der Neuregelung des Risikoausgleichs sowie der Neuordnung der Pflegefinanzierung drei positiv bewertete Reformen vorgenommen. Den grössten Beitrag zum Anstieg dieses Teilindikators hat jedoch der korrigierte Bundesbeschluss über die Zusatzfinanzierung der Invalidenversicherung geleistet. Das nun verabschiedete Gesetz beinhaltet im Vergleich zur 2005 sehr negativ bewerteten Botschaft einen Anstieg der Mehrwertsteuer um lediglich 0,4 statt 0,8 Prozentpunkte auf insgesamt 8,0 Prozent, und dies auch nur befristet auf sieben Jahre. Zusätzlich soll neu ein separater IV-Ausgleichsfonds mit einem der AHV entnommenen Startkapital von 5 Mrd. Franken geschaffen werden, wodurch die Finanzierung der IV und der AHV getrennt werden.
Finanz- und Steuerpolitik: Hier hat neben der Aufhebung der sogenannten Dumont-Praxis und der Botschaft des Bundesrats zur Ergänzungsregel der Schuldenbremse zweifelsohne die Botschaft des Bundesrates zur Reform der Mehrwertsteuer die grösste Bedeutung. Der erste Teil der zweiteiligen Botschaft beinhaltet ein vollständig überarbeitetes Mehrwertsteuergesetz, das Vereinfachungen und dadurch Einsparungen zur Folge hat. Der zweite Teil der Vorlage sieht einen Einheitssatz von 6,1 Prozent anstelle der heutigen drei Sätze von 7,6 Prozent (Normalsatz), 3,6 Prozent (Beherbergungssatz) und 2,4 Prozent (reduzierter Satz) vor. Gleichzeitig sollen 20 der heute 25 Steuerausnahmen abgeschafft werden. Durch diese Reformen entsteht ein Arbeits- und Investitionsanreiz, der das Wachstum der Volkswirtschaft um geschätzte 0,3 bis 0,8 Prozent des Bruttoinlandproduktes anschieben sollte. Zudem dient ein möglichst niedriger, einheitlicher Mehrwertsteuersatz nicht nur dem Werk- und Dienstleistungsplatz Schweiz, sondern verbessert auch seine Stellung im internationalen Standort-Wettbewerb. Der vorgesehene sozialpolitische Zuschlag von 0,1 Prozent wäre aufgrund der zu erwartenden positiven Effekte nicht nötig gewesen und fällt deshalb negativ ins Gewicht. Politökonomisch ist diese Vorlage insofern bemerkenswert, als der Bundesrat eine mutige und zukunftsorientierte Botschaft präsentiert hat, die allerdings vom Parlament noch gestutzt werden dürfte. Der Teilindikator Steuer- und Finanzpolitik verzeichnet somit einen Anstieg von 7,2 Punkten und weist einen Schlussstand von 122,9 Punkten auf.
Reformpolitische Lehren und Vorschläge: Die Erkenntnis aus dem letzten
D A CH-Reformbarometer hat sich auch in diesem Jahr bestätigt: Wirtschaftlich gute Zeiten sind schlechte Zeiten für Reformen. Die ökonomische Logik legt Strukturreformen gerade in Zeiten des Wirtschaftsaufschwungs nahe, die Politik allerdings folgt einer anderen. Statt für die Zukunft vorzusorgen oder Schulden abzubauen, werden von der Politik insbesondere in Wahlperioden Geschenke verteilt. In der Schweiz ist es zudem das politisch-institutionelle System, dass keine Reformen zulässt, die zu weit vom Status quo entfernt liegen. Umso wichtiger sind kleine Schritte in die richtige Richtung. So muss im Bereich der Sozialpolitik die AHV mit wirksamen Massahmen «demographiefest» gemacht werden. Mit der 6. IV-Revision müssen weitere Massnahmen getroffen werden, die das Sozialwerk auf eine solide Basis stellen. Zudem hat im Rahmen der Finanz- und Steuerpolitik die Mehrwertsteuerreform höchste Priorität, wobei insbesondere Verwässerung bei den Steuerausnahmen und dem Einheitssatz zu vermeiden sind. Denn die weitere Verbesserung der Schweiz im Standortwettbewerb hat steuerpolitisch höchste Priorität. Schliesslich sind in der Schweiz die hohe Arbeitsmarktflexibilität und der offene Arbeitsmarkt als bewährte Instrumente der Schweizer Wirtschaftspolitik zu erhalten. (Avenir Suisse/mc/pg)