von Patrick Gunti
Professor Dändliker, die Schweizerische Akademie der Technischen Wissenschaften SATW kommt in ihrer Studie «Erdölknappheit und Mobilität in der Schweiz» zum Schluss, dass wir uns bereits heute auf mögliche Versorgungsengpässe im Treibstoffsektor einstellen sollten. Von welchem Szenario geht man heute aus, wann wird der «Peak Oil», also die maximale Ölförderung erreicht sein?
In welchem Jahr die globale Produktion von konventionellem Erdöl ihr Maximum erreichen wird, ist unter Erdölexperten eine heftig diskutierte Frage. Die verfügbaren Daten der globalen Fördermenge sowie zur Produktion der einzelnen Länder deuten darauf hin, dass der globale Peak innerhalb der nächsten 20 Jahre erwartet werden muss und schon heute sehr nahe liegen könnte. Wichtiger als die Frage, wann genau der Peak Oil eintreten wird, ist jedoch die Vorbereitung auf den unabwendbaren Abstieg.
Wie ist es heute um die Ölproduktion in den wichtigsten Förderländern bestellt – wo ist die Förderung bereits heute rückläufig, welche Länder können die ungebrochen steigende Nachfrage befriedigen?
Die heute verfügbaren Daten zeigen, dass 10 der 16 Nicht-OPEC-Länder und die meisten OPEC-Länd den Peak erreicht oder überschritten haben. Mehr fördern können wahrscheinlich nur gerade 11 Länder weltweit. Es könnte sein, dass damit die ungebrochen steigende Nachfrage für einige Zeit befriedigt werden kann.
Was ist mit Alternativen wie nicht konventionellem Öl oder technischen Fortschritten, mit denen sich der Entölungsgrad steigern liesse? Oder was ist mit eventuellen neuen Erdölfeldern?
Verschiedene Erdölexperten weisen immer wieder darauf hin, dass es neben dem einfach zu gewinnenden konventionellen Erdöl noch grosse Reserven an nicht konventionellem Erdöl gibt, zum Beispiel in Form von Erdölschiefern und Teersanden. Nicht konventionelles Erdöl lässt sich jedoch nur mit viel Energieaufwand gewinnen. Der so genannte «energy return on energy invested» ist daher bedeutend schlechter als beim konventionellen Erdöl. Eine zweite Hoffnung beruht auf der Tatsache, dass Felder mit einem Entölungsgrad von 30%, die bisher als leer angesehen wurden, heute durch spezialisierte Firmen nochmals ausgebeutet werden können. Diese sekundäre Förderung ist allerdings sehr kostspielig und rentiert nur bei hohen Erdölpreisen.
Die Entdeckung von neuen Erdölfeldern geht schon seit 1964 zurück. Auch nicht konventionelles Erdöl aus grossen Meerestiefen von über 500 Metern, wie es vor der Küste Brasiliens entdeckt wurde, ist schwierig zu fördern
Wie reagieren die grossen Öl-Multis und die geostrategischen Akteure auf den Zeitpunkt der rückläufigen Erdölförderung?
Einige wichtige Akteure scheinen sich in alternativen Energien zu engagieren.
Die Schweiz ist überdurchschnittlich stark von Erdöl abhängig, deckt sie doch 57 % ihres Energiebedarfs mit Erdöl. Welches ist der Hintergrund dieser starken Abhängigkeit?
Als erstes ist festzuhalten, dass die elektrisches Energie in der Schweiz praktisch ohne Erdöl, Erdgas oder Kohle erzeugt wird, nämlich etwa zu 40% aus Kernenergie und zu 60% erneuerbar aus Wasserkraft. Allerdings deckt die Elektrizität nur etwa ein Viertel unseres gesamten Energiebedarfs. Die restlichen drei Viertel werden vor allem durch Erdöl (57%) und Erdgas (12%) gedeckt. Kohle und Biomasse (Holz) spielen dagegen im Gegensatz zu andern Ländern in der Schweiz heute praktisch keine Rolle mehr. Vom Erdöl werden etwa 60% als Treibstoff und 40% als Brennstoff verwendet.
Im Bereich der Brennstoffe kann die Schweiz mit Gebäudesanierungen (Minergie) und alternativen Heizsystemen (Sonnenkollektoren, Pellets, Wärmepumpen) ihre Erdölabhängigkeit relativ problemlos abbauen. Schon heute ist es möglich, Gebäude ohne Erdöl und Erdgas zu heizen. Wesentlich ungünstiger sieht die Situation bei den Treibstoffen aus. Die Abhängigkeit vom Erdöl lässt sich hier nicht so einfach überwinden.
«Die SATW schlägt als verbindliches Ziel vor, den Treibstoffverbrauch jährlich um mindestens 2 Prozent zu reduzieren.» (Prof. Dr. René Dändliker, Präsident SATW)
Im Zentrum der Schweizer Mobilität steht der motorisierte Individualverkehr, insbesondere das Auto. Zu welchen Erkenntnissen sind die Autoren der Studie bei der Nutzung von Autos gekommen?
Das Auto steht eindeutig im Zentrum der Schweizer Mobilität. In vielen Fällen wird das Auto für lange Distanzen benutzt; gleichzeitig sind rund 30% der Autofahrten kürzer als 3 Kilometer. Schlüsselt man die zurückgelegten Distanzen pro Person nach ihrem Zweck auf, so zeigt sich, dass 70% aller zurückgelegten Kilometer auf die Mobilität im Alltag entfallen. Zu dieser Kategorie gehören die Wege zur Arbeit, zur Ausbildung, zum Einkauf und die Fahrten in der Freizeit, die im Alltag bereits mehr als 30% ausmachen.
Nun gibt es zur Betreibung von Autos zwar Alternativen, aber eine Ablösung von Benzin und Diesel ist nicht in Sicht. Die Autoren schlagen vor, die Energieeffizienz zu steigern und bei Neuwagen eine Emissionsgrenze von 120 Gramm CO2/km einzuführen. Bei der zu erwartenden Zunahme des Individualverkehrs werden diese möglichen Effizienzgewinne aber gleich wieder kompensiert. Wie kann dieser Trend gestoppt werden?
Die Emissionsgrenze von 120 Gramm CO2/km, oder 5 Liter Benzin/100 km, entspricht auch den Zielvorgaben der EU und dürfte deshalb durch verbindliche Vorschriften in den europäischen Ländern durchgesetzt werden können. Ob der Individualverkehr in der Schweiz im erwarteten Mass zunehmen wird, hängt auch von der wirtschaftlichen und konjunkturellen Entwicklung ab. Im individuellen Nahverkehr könnten Elektroautos eine steigende Bedeutung erlangen. Zudem bietet der sehr gut ausgebaute öffentliche Verkehr bereits heute eine wichtige Alternative zum Individualverkehr und wird dank gezieltem Kapazitätsausbau in vielen Regionen noch an Attraktivität gewinnen können.
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Die Studie kommt zum Schluss, dass bis zu 60 % des heutigen Treibstoffverbrauchs eingespart werden könnte. Mit welchen Massnahmen wäre diese markante Einsparung zu erzielen?
Der Treibstoffverbrauch könnte in allen Mobilitätsbereichen markant gesenkt werden. Die Frage ist, wie dieses Potenzial am besten umgesetzt werden kann. Marktwirtschaftliche Instrumente und staatliche Vorschriften zeigen wohl am ehesten Wirkung. Im kommerziellen Bereich, Lieferverkehr und Güterverkehr, sind die Erfolge bereits messbar, zum Beispiel wurde die Zahl der Leerfahrten massiv reduziert. Auch die öffentliche Hand könnte hier eine Vorreiterrolle übernehmen. Beim Individualverkehr sind vermehrte Nutzung des öffentlichen Verkehrs, CarPooling und Verzicht wohl die wichtigsten Massnahmen. Am meisten Einsparpotenzial bietet offensichtlich der Freizeit- und Ferienverkehr. Allerdings muss die Frage erlaubt sein, ob verordneter Verzicht auf individuelle Mobilität ohne erkennbare unmittelbare Not wirtschaftlich wünschenswert sowie gesellschaftlich und politisch akzeptabel ist.
Statt sich auf mögliche Versorgungsengpässe einzustellen, wird in der Schweiz jedes Jahr mehr Treibstoff verbraucht. Welche verbindlichen Ziele müssten formuliert werden, um eine Umkehr einzuleiten?
Die SATW schlägt als verbindliches Ziel vor, den Treibstoffverbrauch jährlich um mindestens 2 Prozent zu reduzieren.
Freiwillige Massnahmen und Anreizsysteme haben bisher nur bedingt Erfolge gebracht – mit welchen Massnahmen könnte die Richtungsänderung erreicht werden?
Wir sollten trotzdem weiterhin auch auf freiwillige Massnahmen und Anreizsysteme setzen und die Bevölkerung entsprechend sensibilisieren. Deshalb hat die SATW das Thema Erdölknappheit und Mobilität bearbeitet und will an ihrem Kongress in Yverdon-les-Bains am 29./30. August über Fakten und technischen Möglichkeiten informieren. Sie ist auch bereit über mögliche regulatorische Massnahmen zu diskutieren.
Wie sind Behörden und Politik auf das in der Studie geschilderte Szenario vorbereitet?
Freiwillige Massnahmen werden in der Schweiz seit 1990 vor allem von den Bundesprogrammen Energie2000 und EnergieSchweiz unterstützt. Die Schweiz verfügt heute über ein sehr kohärentes Energieeffizienzprogramm, das auch den Mobilitätssektor stark einbezieht. Neben marktwirtschaftlichen Instrumenten könnten auch staatliche Vorschriften zu einer Reduktion des Treibstoffverbrauchs beitragen. Entsprechende Projekte und Vorschläge gibt es durchaus. Deren Umsetzung setzt jedoch einen politischen und gesellschaftlichen Konsens voraus.
Wie sieht es mit der Bevölkerung aus? Ist das Thema hier präsent?
Wir werden ja dann sehen, wie viele Leute am Freitag und Samstag nach Yverdon-les-Bans kommen.
Müsste um dem Problem Herr zu werden nicht eine grundlegende Wandlung unserer Ansprüche an Mobilität stattfinden, entsprechend einer Veränderung unserer Lebensgewohnheiten?
Als Präsident der Akademie für Technische Wissenschaften fühle ich mich nicht berufen über mögliche Veränderungen des individuellen und sozialen Verhaltens der Bevölkerung zu spekulieren. Gerard O’Neill, ein amerikanischer Physiker und Raumfahrtpionier, hat allerdings bereits 1981 aufgrund einer Analyse der Übereinstimmung von Prognosen und Realität festgestellt: «Wir unterschätzen immer die Geschwindigkeit des technologischen Wandels und überschätzen die Geschwindigkeit des gesellschaftlichen Wandels ». Daran hat sich bis heute nichts geändert.
Fachleute, Behörden und Bevölkerung müssen sich des Problems bewusst sein und sich Gedanken über die künftigen Mobilitätsgewohnheiten machen. Was ist diesbezüglich vom SATW-Kongress «Mobilität 2030» vom 29. und 30. August in Yverdon zu erwarten?
Dieses Jahr findet ein ganz besonderer SATW Kongress statt: ein Kongress mit einem zusätzlichen, attraktiven Programm für die Bevölkerung. Am eigentlichen Kongress vom Freitag, 29. August, von 10:30 bis 16:30, werden Personen aus Forschung, Wirtschaft und Politik über Ressourcen, Klima und technologische Innovationen informieren und diskutieren. Auch die SATW Studie «Erdölknappheit und Mobilität in der Schweiz» wird dann von den Autoren persönlich vorgestellt.
Am so genannten SATW MobilitätsSalon, am Freitag von 17:00 bis 20:30 und am Samstag von 10:00 bis 16:00, können die Besucherinnen und Besucher über 50 energieeffiziente Fahrzeuge auf zwei, drei und vier Rädern testen. Neben dem Probe fahren finden Diskussionsrunden mit Nationalräten und Studierenden statt, zudem allgemein verständliche Präsentationen. Wir hoffen natürlich, dass die Bevölkerung genügend mobil und neugierig ist um nach Yverdon-les-Bains zu kommen.
Professor Dändliker, besten Dank für das Interview.
Zur Organisation:
Die Schweizerische Akademie der Technischen Wissenschaften (SATW) vereinigt Personen, Institutionen und Fachgesellschaften, die in den technischen Wissenschaften und deren Anwendung tätig sind. Sie fördert die Technik zum Wohle der Gesellschaft und stärkt das Verständnis der Gesellschaft für die Technik. Die SATW ist politisch neutral und nicht kommerziell orientiert. Zurzeit hat sie rund 240 Einzelmitglieder und 60 Mitgliedsgesellschaften.
In verschiedenen Fachbereichen setzt die Akademie Arbeitsgruppen ein. Diese erarbeiten Studien sowie Empfehlungen und führen interaktive Veranstaltungen durch. Die SATW unterhält ständige Fachkommissionen auf den Gebieten angewandte Biowissenschaften, Energie, Informations- und Kommunikationstechnologie, Nanotechnologie, Ethik und Technik, Technik und Gesellschaft sowie Auslandbeziehungen.