von Patrick Gunti
Herr Estermann, myclimate ist ein führender Anbieter von Kompensations- Massnahmen im Klimabereich. Bekannt ist vor allem die Kompensation der Emissionen von Flugreisen mit der Unterstützung von Klimaschutzprojekten in Entwicklungsländern. Wie läuft das konkret ab?
Ein myclimate-Kunde nimmt seine Verantwortung für die CO2-Emmissionen die seine Flugreisen verursachen wahr, indem er bereit ist, auf www.myclimate.org oder bei einem unserer zahlreichen Partner ein myclimate-Ticket zu kaufen. Das myclimate-Ticket entspricht einem freiwilligen Betrag entsprechend der Menge CO2-Emmissionen x ?24/TonneCO2. Wir investieren dieses Geld in Klimaschutzprojekte in Entwicklungsländern, welche CO2-Emissionen reduzieren. Das sind Projekte für erneuerbare Energien (z.B. Wind, Sonne, Biomasse) oder zur Förderung der Energieeffizienz.
Schauen wir es an einem Beispiel an: Eine vierköpfige Familie fliegt von Zürich nach Sardinien in den Urlaub. Mit dem myclimate-Ticket können die beim Fliegen anfallenden klimawirksamen Emissionen kompensiert werden. Wie lautet die Berechnungsformel?
Die Flugdistanz retour nach Cagliari, Sardinien beträgt 1’824 km, die Emmissionen für eine Person betragen 542 kg, total für die ganze Familie 2’168km, das enstpricht übrigens ziemlich genau der jährlichen CO2-Emmission des durchschnittlichen Schweizer Autofahrers (10’000km/Jahr mit einem Fahrzeug von rund 8 Liter Bezinverbrauch/100km). Die vier myclimate-Tickets zur Kompensation dieser gut 2 Tonnen CO2-Emmissionen betragen Fr. 81.-. Das alles kann auf unserer Website www.myclimate.org berechnet und gekauft werden.
Ohne die Zusammenarbeit mit den Reiseveranstaltern funktioniert die Idee nicht. Wie gestaltet sich diese Zusammenarbeit?
Diese Zusammenarbeit ist sehr erfreulich und wird laufend besser. Bereits heute gehören 100 Reisebüros zu unseren Partnern. Neu werden wir noch dieses Jahr in die Verkaufs- und Buchungsprozesse integrierte myclimate-Tickets zusammen mit den Reisbüropartnern anbieten. Beim Kauf oder Buchen des Fluges, seis im Internet oder im Reisebüro, können die Kunden die Option inkl. myclimate-Ticket einfach buchen. Es beschleunigt die Umsetzung, wenn Kunden bei ihrem Reisebüro oder ihrer Fluggesellschaft nach dieser Dienstleistung fragen.
«Unsere Dienstleistung ist noch zuwenig bekannt und noch zuwenig in die Reiseverkaufs- und Buchungsprozesse integriert. Doch das ändert sich nun rasch.» (René Estermann, Geschäftsführer myclimate)
Wieviele Menschen, Firmen, öffentliche Stellen und Organisationen sind Mitglied von myclimate und wie viele Tickets werden derzeit ausgestellt?
Myclimate verfügt über gut 300 Vereinsmitglieder und gut 5000 Kunden. Die genaue Anzahl Tickets kann ich Ihnen zur Zeit nicht mitteilen, da wir mit unseren Partnern in den USA, Norwegen und Portugal und unseren Businesskunden die CO2-Mengen und nicht die Ticketanzahl abrechnen. Die Zahlen haben sich ungefähr jährlich verdoppelt seit der Gründung von myclimate anno 02 und seit dem letzten Herbst verdoppeln sie sich beinahe monatlich. Insgesamt sind es erst wenige Promille der Flugkunden, die myclimate-Tickets lösen. Unsere Dienstleistung ist noch zuwenig bekannt und noch zuwenig in die Reiseverkaufs- und Buchungsprozesse integriert. Doch das ändert sich nun rasch. Eine erfreuliche Entwicklung ist im Gang.
Worauf führen Sie diese zurück?
Seit letztem Herbst hat ein enormer Wachstumsschub eingesetzt. Monatlich verdoppeln sich unsere Verkaufszahlen beinahe, auch bei unseren Partnern in der USA und Norwegen. Der Stern-Report, der Al-Gore-Film, der IPCC-Bericht, zahlreiche Meetings wie das WorldEconomicForum und die Medienberichterstattungen haben den Klimawandel zum Top-Thema in der breiten Bevölkerung wie auch bei Führungskräften in Wirtschaft und Politik gemacht. Und die Leute wollen nicht nur darüber sprechen, sie wollen auch selbst konkret etwas Gutes tun.
Wie hoch ist der Anteil von Unternehmen, die ihre Geschäftsflüge quasi klimaneutral durchführen?
Rund die Hälfte unserer Kompensationsumsätze stammen zur Zeit von Businesskunden.
Wie schätzen Sie diesen «Boom» ein. Glauben Sie, dass es den Unternehmen ernst ist mit dem Schutz des Klimas oder geht es dabei vor allem ums Image oder um ein gutes Geschäft?
Jene Unternehmen, die mit uns freiwillig Klimaschutzkompensationen tätigen oder Klimaschutzstrategien entwickeln, denen ist es ernst mit dem Klimaschutz. Die entwickeln Strategien für den nötigen Transformationsprozess, um innert 10-20 Jahren auf ein viel geringeres CO2-Emmissionslevel zu gelangen.
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Was sagen Sie zur Kritik, dass es nicht die Lösung sein kann, wenn sich Emissionsverursacher ein gutes Gewissen einkaufen, aber letztlich nichts für den Schutz der Umwelt tun?
Kompensieren ist tatsächlich nur die 2.beste Lösung für den Klimaschutz, aber die beste für Aktivitäten die sich – zumindest jetzt noch nicht – nicht vermeiden bzw. reduzieren lassen. Klar Priorität haben Massnahmen zur Reduktion von Greenhousegasemissions (GHG-Emission). Myclimate ist dafür im Bereich der Umweltbildung und Sensibilisierung sehr aktiv, zum Beispiel mit Ausstellungen im Verkehrshaus oder Klimaschutz-Workshops an Schulen. Unser Motto lautet «1. wo möglich GHG-Emissionen reduzieren und 2. bei unverzichtbaren Aktivitäten GHG-Emissionen kompensieren».
Mit dem Kompensieren nehmen Sie Verantwortung für Ihre CO2-Emissionen wahr und tragen die Kosten dafür, welche es andernorts braucht, um dieselbe Menge CO2 zu reduzieren. Vielleicht haben Sie z.B. im Moment noch eine neuere, auf fossilen Energien basierte Technologie (Öl- oder Gasheizung), welche erst in 5-8 Jahren ersetzt werden muss. Sie bezahlen uns bis zum Kauf einer neuen Heizung, welche sie dannzumal mit erneuerbaren Energien realisieren, die CO2-Emmissionen. Wir investieren diese Gelder andernorts, wo jetzt neue Anlagen mit erneuerbaren Energien realisiert werden. Wir verstehen myclimate als pragmatischen Katalysator zur Beschleunigung des nötigen technologischen Transformationsprozesse hin zu Technologien, die viel weniger klimaschädigen sind. Freiwillige Kompensationszahlungen sind ein marktwirtschaftliches, sehr wirksames Instrument für den Klimaschutz.
«Unsere Berechnungen zeigen den Unternehmen auf, wo die klimarelevanten Prozesse liegen, wie hoch die CO2-Emmissionen, für welche Aktivität sind.» (René Estermann)
myclimate bietet Unternehmen weitere Möglichkeiten an, wie sie klimaneutral agieren können. Können Sie uns diese kurz vorstellen?
Für sämtliche klimarelevanten Aktivitäten, z.B. sämtliche Mobilität, Heizung, Energieverbrauch, können Firmen, Institutionen, Private oder auch Events wie die letztjährige Fussball-WM in Deutschland mit uns ihre CO2-Emmissionen kompensieren. Zu Beginn steht stets ein Carbon-Assessment, bei welchem wir für die relevanten Aktivitäten die GHG-Emmissionen berechnen. Dafür setzen wir verschiedene Rechner ein. Unsere Berechnungen zeigen den Unternehmen auf, wo die klimarelevanten Prozesse liegen, wie hoch die CO2-Emmissionen, für welche Aktivität sind. Das ist eine gute Entscheidungsgrundlage zur Entwicklung eines Reduktionspfades und zur Wahl, welche Aktivitäten allenfalls kompensiert werden.
Was kennzeichnet Ihre Dienstleistungen im Bereich des boomenden Marktes mit Zertifikaten?
Myclimate geniesst als international tätige Stiftung mit breiter Abstützung in Wirtschaft, Wissenschaft, bei NGO’s und Politik und als einer der Pioniere in diesem freiwilligen CO2-Markt international eine sehr hohe Reputation und Glaubwürdigkeit. So unterschiedliche Kunden wie das World Economic Forum, die FIFA, Greenpeace UK, WWF UK, die europäische Kommission, Ben&Jerry’s, das Schweizer Bafu, Baer Käse, die ETH, das Norwegische Aussenministerium u.v.a. mehr belegen dies.
Die ,Myclimate›-Brand bürgt für beste Projektqualität, hohe Klimaschutzwirksamkeit, kundenorientierte Produkte und tiefe Verwaltungskosten. Unser Vorgehen und unsere Klimaschutzprojekte entsprechen den höchsten internationalen Standards. Im Rahmen internationaler Rankings wird myclimate regelmässig jeweilen unter die Top 5 der Branche weltweit qualifiziert. Soeben erhielt myclimate die weltweit ersten Goldstandard-Zertifikate für sein CDM-Projekt in Indien.
Die Kompensationszahlungen fliessen in Klimaschutzprojekte in Entwicklungsländern. Nach welchen Kriterien werden diese ausgesucht?
Wir unterstützen nur Projekte der höchsten Qualität. Dazu zählen erneuerbare Energien und Massnahmen in der Energieeffizienz, weil sie die Entwicklung eines nachhaltigen Energiesystems fördern. Die Klimaschutzprojekte müssen auf unsere Mitfinanzierung angewiesen sein und sollten einen Nutzen für die lokale Bevölkerung schaffen wie z. B. Arbeitsplätze oder eine bessere Luftqualität. Wir wählen nur erfahrene Projektpartner aus und lernen sie alle persönlich kennen.
Können Sie uns einige Beispiele aus Ihrem Projektportfolio vorstellen?
Im Himalaya stehen über 200 solare Treibhäuser, in denen Gemüse angepflanzt werden, womit die Einheimischen das Gemüse nicht teuer per Flugzeug und Lastwagen einführen müssen. Im indischen Karnataka unterstützen wir ein innovatives Biomasse-Kraftwerk, das Ernterückstände verwertet und daraus Strom und Wärme erzeugt. Nun setzen wir gerade mit einem lokalen Partner den ersten Windpark in Madagsakar auf, und lösen durch Schulung von Ingenieuren einen Technologietransfer aus.
Welcher Anteil der Kompensationszahlungen ist für die Bezahlung der Personal- und Verwaltungsaufwände von myclimate bestimmt?
Die Vorgaben unseres Stiftungsrates gewähren, dass myclimate mindestens 80% der Kompensationserträge in Klimaschutzprojekte investiert. Der tiefe Anteil an Verwaltungskosten zeichnet uns unter anderem gegenüber Mitbewerbern aus.
Sie haben Ihr Amt zu Beginn dieses Jahres angetreten. Mit welcher Zielsetzung?
Ich will mit unserem jungen, ehrgeizigen und hochkompetenten Team myclimate einerseits als führende Klimaschutz-NGO in der Schweiz positionieren und zweitens zusammen mit unserem tollen internationalen Partner-Netzwerk und unserer treuen, rasch wachsenden Kundschaft unsere gute Position als einer der international führenden CO2-Offsettprovider im freiwilligen carbon-Markt stärken. Wir wollen rasch und kundenorientiert die Palette an Kompensationsprodukten ausbauen. Das anstehende Wachstum wollen wir erfolgreich umsetzen in viele innovative, hochwertige, bestwirksame Klimaschutzprojekte. Nichts Gutes, ausser Sie und wir tun es!
Herr Estermann, besten Dank für das Interview!
Zur Person:
René Estermann, dipl. Ing. agr. ETH, wurde per 1. Januar 2007 zum neuen Geschäftsführer myclimate gewählt. Zuvor war Estermann 16 Jahre mit dem Beratungs- und Ingenieurbüro composto+ erfolgreich in der Umweltbranche tätig. Internationale Erfahrung sammelte er u.a. in Projekten der UNIDO in Kuba, bei internationalen Auftritten von Biomasse Schweiz und mit Mandaten im Rahmen der Entwicklungen von bioabbaubaren Polymeren.
Zur Organisation:
myclimate – The Climate Protection Partnership – ermöglicht innovative Lösungen im Klimaschutz und fördert den Einsatz von erneuerbaren Energien und energieeffizienter Technologie. Die internationale Initiative mit Schweizer Wurzeln gehört zu den führenden Anbietern von Kompensationsmassnahmen. Zu ihrem Kundenkreis zählen grosse, mittlere und kleine Unternehmen, öffentliche Verwaltung, Non-Profit Organisationen und Event-Organisatoren.