Rettung von Lehman gescheitert – Erste US-Grossbank vor dem Aus
Am Markt wurden die Aussichten für Lehman und seine 25.000 Mitarbeiter jedoch düster gesehen. Die Aktie wurde zum Handelsstart in New York zunächst nicht gehandelt. Der Taxkurs lag bei 0,32 US-Dollar und damit um 91,23 Prozent unter dem Schlusskurs vom Freitag. Bereits zuvor hatten die Börsen rund um den Globus teils kräftig nachgegeben. Die Furcht vor weiteren Pleiten geht um. Die Geschäfte der deutschen Tochter Lehman Brothers Bankhaus AG wurden von der Finanzaufsicht BaFin am Montag blockiert, um einen Abfluss von Vermögen zu verhindern. Hierzulande existieren Verbindlichkeiten von rund 14,3 Milliarden Euro.
Experte: «Lehman ist pleite»
Der Vertrauensverlust sei für Lehman so gross, dass er eine erfolgreiche Sanierung ausschliesse, sagte der Professor an der Frankfurt School of Finance, Martin Faust. Das Verfahren unter Gläubigerschutz nach Kapitel elf des US-Insolvenzrechts sieht zwar vor, dass sich ein Unternehmen unter Aufsicht sanieren kann. Lehman betont auch, den Verkauf von Vermögensverwaltung und Aktienhandel voranzutreiben. Es liefen bereits «fortgeschrittene Gespräche» mit «mehreren potenziellen Käufern». Faust urteilte dagegen: «Lehman ist pleite. Der Name ist ruiniert.» Es wäre der erste Bankrott einer US-Grossbank, nachdem bereits mehrere kleine Institute haben aufgeben müssen. Als Wackelkandidat gilt derzeit auch die grösste US-Sparkasse Washington Mutual. Beim Versicherer AIG kursieren Gerüchte, er müsse sich von Konzernteilen trennen, um zu überleben.
Fieberhafte Verhandlungen
Über das ganze Wochenende wurde in fieberhaften Verhandlungen in New York versucht, einen Zusammenbruch von Lehman Brothers abzuwenden. Angestrebt war zunächst ein Notverkauf, später eine Zerschlagung, um wenigstens den gesunden Teil des Finanzhauses zu retten. Die Gespräche scheiterten aber letztlich daran, dass US-Finanzminister Henry Paulson hart blieb und alle Forderungen nach finanzieller Unterstützung seitens der Regierung ausschlug.
Branche verweigert Unterstützung
Washington war bei dem Notverkauf des kleineren Lehman-Konkurrenten Bear Stearns im März und zur Rettung der Immobilienfinanzierer Fannie Mae und Freddie Mac noch eingesprungen. Unter den von der Finanzmarktkrise selbst getroffenen Banken wollte jedoch niemand für die milliardenschweren Risiken von Lehman einstehen. So scheiterte das Rettungskonzept, das die Abtrennung von 85 Milliarden Dollar an vom Ausfall bedrohten Papieren in eine «schlechte Bank» vorsah, schlicht daran, dass die Branche ihre Unterstützung verweigerte.
Von fünfen sind zwei über
Lehman war in der vergangenen Woche immer schneller in den Abgrund geschlittert. Am Mittwoch gab die Bank einen Quartalsverlust von 3,9 Milliarden Dollar bekannt. Zugleich kündigte sie eine Aufspaltung an, um mit dem Verkauf von Unternehmensteilen dringend benötigtes frisches Kapital zu besorgen. Die Anleger überzeugte das jedoch nicht. Die Aktie fiel weiter und verlor innerhalb einer Woche mehr als 80 Prozent an Wert. Das brach dem Traditionshaus schliesslich das Genick.
Bank of America rettet Merrill Lynch
Der ebenfalls notleidende Wettbewerber Merrill Lynch kam dagegen bei der Bank of America unter, die die Investmentbank für 50 Milliarden Dollar schlucken will. Bereits vor Monaten Bear Stearns bei JPMorgan untergeschlüpft. Damit sind noch zwei der ehemals fünf grossen Investmentbanken der USA übrig: Neben JPMorgan ist das Goldman Sachs. Die beiden Unternehmen legen in den kommenden beiden Tagen ihre Bilanzen für das dritte Quartal vor. Die Zahlen werden mit Spannung erwartet. (awp/mc/ps/04)