Roland Berger Studie «Pharmaindustrie – fight or flight?»
Dazu gehören auch die Schweizer Konzerne Novartis und Roche. Die Pharma-Experten von Roland Berger Strategy Consultants haben darüber hinaus Interviews mit Topmanagern geführt, um ihre Ergebnisse zu validieren und daraus strategische Konsequenzen abzuleiten. Die Studie identifiziert drei Dimensionen von Diversifizierung: Innovation, Integration und Risikominderung. Der wichtigste Bereich für Diversifizierung ist nach Meinung der befragten Unternehmen das Generikageschäft. Angesichts des steigenden Kostendrucks bei innovativen Medikamenten und stetig steigender F&E-Investitionen mit negativer Rendite setzt die Branche auf das diversifizierte Geschäftsmodell als Weg aus der Krise. Und anders als in der Vergangenheit honoriert die Finanzwelt Diversifizierung.
Wendepunkt
«Die grossen Pharmaunternehmen befinden sich an einem Wendepunkt», sagt Aleksandar Ruzicic, Principal und Pharma-Experte bei Roland Berger Strategy Consultants. Kostendämpfungsmassnahmen im Gesundheitswesen, ein erschwerter Marktzugang sowie der Ablauf des Patentschutzes für eine enorme Zahl von Arzneien zwingen die Unternehmen dazu, ihr herkömmliches Geschäftsmodell zu überdenken. «In den kommenden drei Jahren verlieren Medikamente im Umfang von 50 Prozent des Umsatzes der Pharmaindustrie den Patentschutz. Daher rechnen 65 Prozent der Pharmaunternehmen mit einer strategischen Krise», sagt Ruzicic. «67% der Führungskräfte der Branche halten daher Diversifizierung als potenziellen Ausweg aus dieser Krise.» Die Roland Berger Studie «Fight or flight?» identifiziert drei Dimensionen von Diversifizierung: Risikominderung, Innovation und Integration.
Hauptaugenmerk der Branche richtet sich auf Generika
Aktuell scheint die Branche in erster Linie die ziemlich konservative Strategie der Risikominderung zu favorisieren. 78 Prozent der Führungskräfte nehmen Generika als den wichtigsten Diversifizierungsbereich wahr, gefolgt von Consumer Health (50%) und Impfstoffen (42%). Unternehmenszukäufe sollen in diesem Zusammenhang den Umsatz beflügeln und zugleich Geschäft in den boomenden BRIC-Ländern ermöglichen. Diversifizierung entlang der Dimension Innovation steht an zweiter Stelle. Sie resultiert aus dem Trend zu personalisierter Medizin und Diagnostik. Integrationsstrategien entlang der Versorgungs-Wertschöpfungskette würden Pharmaunternehmen zu aktiven Anbietern von Gesundheitslösungen machen. Die meisten Entscheider der Branche scheuen vor diesem Pfad aber noch zurück, weil ihnen der Anpassungsbedarf noch zu gross erscheint.
Die Kunst, ein diversifiziertes Unternehmen zu führen
«Um aus Diversifizierung Wert schöpfen zu können, ist entscheidend, vorhandene Kompetenz zu nutzen und die damit verbundenen Synergien zu realisieren», sagt Ruzicic. Die Topmanager der Pharmaindustrie sind in diesem Zusammenhang sehr vorsichtig. Die Studienteilnehmer erwarten den grössten Transfer von Fähigkeiten und Kompetenz in den Bereichen Generika (45%) und Diagnostik (43%). Die Führungskräfte gehen davon aus, dass Produzenten innovativer, patentgeschützter Arzneimittel nicht über die Kompetenz für eine Vorwärtsintegration verfügen. Insbesondere werden trotz massiver Investitionen der Zugang zu Verschreibern oder Markenkonzepte, nicht als Unternehmenskompetenzen wahrgenommen, die für eine Diversifizierungsanstrengung genutzt werden könnten.
Krise der F&E-Produktivität treibt die Diversifizierung voran
Mehr als 60 Prozent der Befragten nehmen aktuell eine Neubewertung ihres herkömmlichen Geschäftsmodells vor, das sich auf hochmargige, patentgeschützte Medikamente konzentrierte und zwar aus zwei Gründen: Erstens erwartet die Branche, dass die Margen innovativer Medizin unter erheblichen Druck geraten, da die öffentliche Hand weltweit ihre defizitären Haushalte unter Kontrolle bringen muss. Zweitens gehen sie nicht mehr davon aus, dass die massiven F&E-Investitionen die erforderlichen Renditen einbringen. Fast die Hälfte der Studienteilnehmer erwarten eine negative Rendite ihrer heutigen Investitionen in diesem Bereich. Die anhaltenden Restrukturierungsanstrengungen von F&E-Funktionen in der gesamten Industrie stützen diese Einschätzung.
Finanzwelt und Aktionäre honorieren Diversifizierung
Anders als in der Vergangenheit bestrafen die Finanzmärkte diversifizierte Unternehmen nicht mehr. Nachdem innovative Pharmaunternehmen in den vergangenen zehn Jahren Marktkapitalisierung in Höhe von 400 Mrd. US-Dollar eingebüsst haben, setzt die Finanzwelt nun erneut grosse Hoffnungen in diversifizierte Unternehmen. Bereits heute ist das Kurs-Gewinn-Verhältnis diversifizierter Unternehmen höher als das fokussierter Unternehmen.
Diversifizierung wird von Dauer sein
Mehr als 80 Prozent der Führungskräfte der Pharmaindustrie sind überzeugt, dass es sich bei Diversifizierung um einen langfristigen Trend handelt, der sich ungeachtet der Schwierigkeiten im Bereich F&E fortsetzen wird. Der Rest betrachtet es als eine Überbrückungsstrategie, die Gewinn- und Wachstumsdefizite ausgleichen soll. Ruzicic: «Die globale Pharmaindustrie der Zukunft wird diversifizierter sein: Von hoch fokussierten, innovativen Anbietern bis hin zu voll integrierten Gesundheitskonglomeraten wird es alles geben. Unternehmen, die eine Diversifizierung erwägen, sollten jetzt mit den Vorbereitungen beginnen: die Position des First Mover bietet eine ausgezeichnete Möglichkeit, die Zukunft der Gesundheitsversorgung aktiv mitzugestalten.» (roland berger/mc/ps)
Über Roland Berger Strategy Consultants
Roland Berger Strategy Consultants, 1967 gegründet, ist eine der weltweit führenden Strategieberatungen. Mit 36 Büros in 25 Ländern ist das Unternehmen erfolgreich auf dem Weltmarkt aktiv. 2.100 Mitarbeiter haben im Jahr 2008 einen Honorarumsatz von mehr als 670 Mio. Euro erwirtschaftet. Die Strategieberatung ist eine unabhängige Partnerschaft im ausschließlichen Eigentum von rund 180 Partnern. In der Schweiz beschäftigt die Roland Berger AG Strategy Consultants, Zürich, 70 Mitarbeitende.