Rolf P. Schatzmann, Partner Forensic Services, Pricewaterhouse Coopers Schweiz: «Während weltweit nur etwa 25% der Täter aus dem oberen und obersten Management eines Unternehmens stammen, ist die Zahl in de

von Patrick Gunti


Herr Schatzmann, gemäss der PwC-Studie «Economic Crime Survey» waren in der Schweiz in den letzten zwei Jahren 37 % der Unternehmen von Wirtschaftskriminalität betroffen. Trotz verstärkter Überwachung blieb die Quote damit gleich hoch wie 2005. Weshalb ist es nicht gelungen, die Wirtschaftskriminalität besser in den Griff zu bekommen?


Das mag zwei Gründe haben: Erstens wird Wirtschaftskriminalität heute mehr thematisiert und viele Unternehmen stehen offen dazu, dass sie davon betroffen sind. Zweitens haben viele Unternehmen wesentliche Anstrengungen in Bezug auf Kontrollsysteme unternommen. Dadurch werden mehr Fälle entdeckt. Es wird eine gewisse Zeit brauchen, bis diese Massnahmen bewirken, dass die Zahlen sinken.

Wie hoch schätzen Sie die Dunkelziffer?


Wir gehen davon aus, dass die Dunkelziffer beträchtlich ist. Unsere Erfahrung zeigt uns, dass teilweise eine grosse Unbekümmertheit und ein nicht gerechtfertigtes Vertrauen herrschen. Die Dunkelziffer dürfte sich mindestens in der gleichen Grösse bewegen, wie die entdeckten Fälle. 

Welches sind die häufigsten Delikte?


Die drei häufigsten Deliktsarten in der Schweiz sind Unterschlagung (22%), Verletzung des geistigen Eigentums (15%) und Geldwäscherei (8%). International sind die beiden ersten Deliktsarten gleich. An dritter Stelle steht aber Korruption mit 13% während Geldwäsche mit 4% erst an fünfter Stelle erscheint.


«Unsere Erfahrung zeigt uns, dass teilweise eine grosse Unbekümmertheit und ein nicht gerechtfertigtes Vertrauen herrschen.» (Rolf P. Schatzmann, Partner Forensic Services, Pricewaterhouse Coopers Schweiz)


Von wem werden die Wirtschaftsdelikte begangen – gibt es so etwas wie ein «Täterprofil»?


Sir Winston Leonard Spencer Churchill soll einmal gesagt haben: «Ich traue nur der Statistik, die ich selbst gefälscht habe». Gemäss der bereits erwähnten Selbstdeklaration der Unternehmen sind 85% der Täter männlich, zwischen 31 und 40 Jahre alt, haben eine gute Schulbildung (häufig Hochschulabschluss) und sind noch nicht zwei Jahre im Unternehmen oder in derjenigen Funktion, in welcher sie die Tat begangen haben. In der Schweiz gehören 50% der Täter dem oberen und obersten Management eines Unternehmens an und 27% sind temporäre Mitarbeiter oder Aushilfen.&


Welche Motive haben die Täter?


Weitaus an erster Stelle steh die Absicht, sich persönlich zu bereichern um sich einen besseren Lebensstil zu ermöglichen. Paradoxerweise gibt es aber auch taten, bei welchen der Täter davon ausgeht, etwas Gutes für das Unternehmen zu tun. Denken Sie dabei an eine Bestechungszahlung um einen grossen Auftrag zu erhalten. Erst wenn die Tat entdeckt wird, kommen die ernüchternden Konsequenzen und sowohl der Täter wie auch das Unternehmen werden sich bewusst, dass der Schaden den vermeintlichen Gewinn um ein mehrfaches übersteigt. Dabei sind Reputationsschäden noch nicht einmal eingerechnet.


Gibt es Branchen, die besonders betroffen sind?


Eigentlich nicht, die Unterschiede sind marginal. Erstaunlich ist aber, dass Industrie und Handel (Klein- und Grosshandel) immer stärker betroffen sind, während die Finanzindustrie aufgrund der starken Regulierung tendenziell stagniert. Entgegen der allgemeinen Wahrnehmung ist auch der öffentliche Sektor sehr stark betroffen.


Wie steht denn die Schweiz im internationalen Vergleich da?


Die Schweiz liegt mit der Gesamtzahl der Taten leicht unter dem internationalen Durchschnitt (Weltweit 43%, Westeuropa 38%, Schweiz 37%). Erschreckend ist aber die Hierarchiestufe der Täter. Während weltweit nur etwa 25% der Täter aus dem oberen und obersten Management eines Unternehmens stammen, ist die Zahl in der Schweiz doppelt so hoch.


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Lässt sich der durch Wirtschaftskriminalität entstehende Schaden beziffern?


Der geschätzte Gesamtschaden weltweit wird auf mehr als 5,7 Milliarden US$ (5’700’000’000 US$) geschätzt. Der bezifferte Schaden durch die von unserer Befragung erfassten Unternehmen beträgt 4,2 Milliarden US$. Dies ergibt einen durchschnittlichen Betrag von 2,4 Millionen US$ (2’420’700 US$) pro Schadenfall.

Welchen immateriellen Schaden bringt Wirtschaftskriminalität mit sich?


Die drei immateriellen Hauptschäden sind: Reputationsverlust, Schaden in den Geschäftsbeziehungen und Negativwirkung auf die Moral der Mitarbeiter. Da solche Schäden sehr schwierig zu messen sind und teilweise eine Langzeitwirkung haben, ist es nicht möglich, Konkrete finanzielle Auswirkungen zu beziffern. Gehen Sie aber davon aus, dass die Schäden erheblich, teilweise Existenz bedrohend sind.


Die Täter haben oft keine juristische Verfolgung zu befürchten. Weshalb?


Diese Aussage stimmt leider nur für Kadermitarbeiter. Häufig ist es schwierig, Kadermitarbeiter zu ersetzen. Fälschlicherweise gehen viele betroffene Unternehmen davon aus, dass eine Verwarnung genügt. Zwei oder drei Jahre später bemerkt man, dass der Täter einfach eine andere Variante gefunden hat… 


Mitarbeiter der unteren Stufen werden in aller Regel entlassen und in den meisten Fällen der Strafverfolgung zugeführt.


«Unsere Studie trägt den Titel «Menschen, Kulturen und Kontrolle». Genau hier sollten die Unternehmen ansetzen.» (Rolf P. Schatzmann)


Wer deckt die Fälle auf?


Entgegen der allgemeinen Meinung tagen interne Kontrollsysteme nicht einmal einen Drittel zur Entdeckung der Fälle bei. Zwei Drittel kommen durch externe oder interne Hinweise (Whistleblowing) aus.

Wie können einerseits die Unternehmen den Kampf gegen Wirtschaftskriminalität verbessern, welche Schritte sind andererseits auf gesetzlicher Ebene notwendig?


Unsere Studie trägt den Titel «Menschen, Kulturen und Kontrolle». Genau hier sollten die Unternehmen ansetzen. Es genügt nicht, den Mitarbeitern zu vertrauen und wenige Kontrollen durchzuführen. Es wäre sinnvoller, die drei erwähnten Punkte in Einklang zu bringen. Das bedeutet, dass die Unternehmen eine entsprechende Kultur aufbauen und leben sollten. Dazu gehören auch die Definition der Werte und der Ethik des Unternehmens. Wenn die Mitarbeiter nicht klar wissen, was richtig und was falsch ist, machen Kontrollen allein wenig Sinn. Ganz wichtig ist, dass die Unternehmensleitung diese Kultur auch vorlebt (Tone on the top). Unternehmen, welche eine solche Kultur leben und auch die Mitarbeiter entsprechend ausbilden haben gemäss unserer Umfrage einen Drittel weniger Fälle von Wirtschaftskriminalität.


Auf gesetzlicher Ebene sollte ein (Kündigungs-) Schutz für Hinweisgeber (Whisteblower) geschaffen werden. Zudem müssten Unternehmen verpflichtet werden, Anlaufstellen für Hinweisgeber einzurichten.


Herr Schatzmann, besten Dank für die Beantwortung unserer Fragen.





Zur Studie:
Die Resultate der Studie «Global Economic Crime Survey 2007» basieren auf Befragungen von weltweit 5400 Unternehmen in 40 Ländern. In der Schweiz waren 84 Unternehmen beteiligt, die nach dem Zufallsprinzip aus den 600 grössten Firmen des Landes ausgesucht wurden.


Zur Person:
Rolf Schatzmann (Jahrgang 1954) ist Partner Forensic Services bei PricewaterhouseCoopers AG.

Berufliche Tätigkeiten: 
– seit 7 Jahren im Bereich der Prävention und Ermittlung von Wirtschaftskriminalität tätig
– 13 Jahre Leiter des Bundessicherheitsdienstes
– 8 Jahre Berufsoffizier
– 3 Jahre Interne Revision (Citibank N.A.)


Arbeitsgebiete: 
– Aufklärung von Wirtschaftsdelikten inkl. Geldwäscherei und Korruption
– Erarbeitung und Implementation von Konzepten und Abwehr-dispositiven zur Bekämpfung von Wirtschaftskriminalität und damit der Aufrechterhaltung der Integrität
– Beratung in Corporate-Governance-Fragen
– Pre-Employment-Screenings
– Beratung im Bereich elektronisches Dokumentenmanagement und Analyse von Massendaten bei komplexen Fällen


Dozententätigkeit: 
– Dozent an verschiedenen Hoch- und Fachhochschulen im Fachgebiet Bekämpfung der Wirtschaftskriminalität

Publikationen: 
– Zahlreiche Publikationen in den Bereichen Wirtschaftskriminalität, Integrität, Informatikkriminalität, Krisenmanagement und Sicherheit

Zu PricewaterhouseCoopers
Mit dem vernetzten Know-how und der Erfahrung von mehr als 146’000 Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern in 150 Ländern bietet PricewaterhouseCoopers ein umfassendes Angebot von Prüfungs- un d Beratungsdienstleistungen für internationale und lokal führende Unternehmen sowie für den öffentlichen Sektor. Die Spezialisierung der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in der Schweiz auf verschiedene Branchen und Märkte gestattet die spezifische Anpassung der Beratung und Unterstützung an jeden individuellen Kundenwunsch; gerade auch für mittelständische Unternehmen. Die Dienstleistungen umfassen Wirtschaftsprüfung, Steuer- und Rechtsberatung und Wirtschaftsberatung.

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