Russisch-Ukrainischer Gasstreit eskaliert

Auch in Italien und Frankreich waren Rückgänge im Gasvolumen spürbar. Der russische Monopolist Gazprom hatte zuvor im Streit über höhere Preise die Lieferungen an die benachbarte Ukraine drastisch gekürzt. Dennoch sind in Deutschland und anderen europäischen Ländern genug Reserven da, um Haushalte und Industrie weiter zu versorgen. Die Europäische Union protestierte scharf gegen den Lieferstopp.


Glos fordert Gazprom und Ukraine zu Beilegung des Streits auf
Bundeswirtschaftsminister Michael Glos (CSU) forderte Gazprom und die Ukraine dringend dazu auf, ihren Streit beizulegen. Nach einem Treffen mit dem Gazprom-Vizechef Alexander Medwedew betonte Glos in Berlin, dass in Deutschland keine Engpässe drohten. So gebe es neben den Gasspeichern die Zusage von Gazprom, die Gaslieferungen über andere Leitungen ausserhalb der Ukraine zu transportieren und somit Ausfälle aufzufangen.


Grund für die Engpässe ist der seit Neujahr schwelende Streit zwischen Russland und der Ukraine. Neben dem Streit um neue Verträge beschuldigt Gazprom die Ukraine, die Transitleitungen anzuzapfen, um Gas abzuzweigen. Gazprom drosselte deshalb die Lieferungen über die Ukraine um 65,3 Millionen Kubikmeter Gas. Medwedew warf der Ukraine vor, am Dienstag drei Pipelines nach Europa abgeschaltet zu haben. Dadurch fliesse siebenmal weniger Gas Richtung Europa. Das ukrainische Unternehmen Naftogas teilte hingegen mit, Russland wolle die Durchleitung seines Gases nach Westeuropa komplett einstellen.


Gazprom zu Verhandlungen bereit
Medwedew bekräftigte, dass Gazprom jederzeit zu Verhandlungen bereit sei. Aber selbst in der Krise habe die Ukraine nicht den Wunsch an den Verhandlungstisch zurückzukehren. «Die Situation ist sehr ernst», sagte Medwedew. Die Ukraine müsse ihre Verpflichtungen als Transitland erfüllen. Gazprom werde gemeinsam mit den westeuropäischen Partnern Transporte über alternative Routen prüfen. «Andere Länder können nicht als Geiseln gehalten werden – dies ist ist eine Nachricht an beide Seiten», sagte der tschechische Ministerpräsident und EU-Ratspräsident Mirek Topolanek und forderte ein rasches Ende des Streits. Er deutete an, ein gemeinsames Gespräch mit den Konfliktparteien suchen zu wollen.


Deutschlands wichtigster Gas-Importeur E.ON Ruhrgas sprach von massiven Einschränkungen bei der Versorgung. An der deutschen Grenzstation Waidhaus in Bayern, wo das Gas nach Deutschland gelangt, könne in Kürze die über die Ukraine transportierte Menge vollständig ausfallen. E.ON-Ruhrgas-Chef Bernhard Reutersberg sagte: «Auch unsere Möglichkeiten stossen an ihre Grenzen, wenn diese drastischen Lieferkürzungen anhalten und die Temperaturen weiterhin auf sehr niedrigem Niveau bleiben.» Zugleich warnte er vor Panikmache: «Keiner wird frieren. Das gilt auch für die nächsten Wochen und Monate». Man habe genug Gas in unterirdischen Speichern für den Winter.


Deutsche Gasbranche sieht keinen Grund zur Panik
Die deutsche Gasbranche sieht keinen Grund zur Panik. «Die Verbraucher können sich auf eine sichere Versorgung mit Erdgas verlassen», sagte der Geschäftsführer des Bundesverbandes der Energie- und Wasserwirtschaft (BDEW), Martin Weyand, am Dienstag in Berlin. Nach Angaben des BDEW verfügt Deutschland mit seinen 46 Speichern über die höchste Erdgas- Speicherkapazität in Europa. Die Kapazitäten entsprechen nach den Angaben fast einem Viertel des Jahresverbrauchs 2007. Gazprom regte zur Versorgungssicherheit den Bau zusätzlicher Speicher in Deutschland und anderen EU-Staaten an. «Wir begrüssen einen Ausbau des Gas-Speicher-Systems und werden ihn tatkräftig unterstützen», sagte Medwedew.


Mittel- und Osteuropa besonders betroffen
Besonders betroffen von der Eskalation in dem Streit sind Mittel- und Osteuropa. So erhielt die Türkei kein Gas mehr aus ukrainischen Transitpipelines. Neben der Türkei sind Ungarn, Kroatien, Bulgarien und Serbien komplett von russischen Lieferungen durch die Ukraine abgeschnitten. Die Slowakei rief den Notstand aus. Hier fehlten 70 Prozent der sonst in das Land gepumpten Menge russischen Gases. Um die Versorgung der Haushalte, von Krankenhäusern und anderer wichtiger Einrichtungen zu garantieren, müssen industrielle Abnehmer mit Kürzungen bis zu 100 Prozent rechnen.


Auch die bulgarische Gasgesellschaft Bulgargas teilte mit, dass das Land kein russisches Gas mehr erhalte. Bulgarien drängte angesichts der Lieferprobleme die EU auf eine Wiederinbetriebnahme eines Reaktors im Atomkraftwerk Kosloduj. Österreich meldete, dass 90 Prozent weniger Erdgas als normalerweise ankamen.


Versorgung der Schweiz mit Gas nicht in Gefahr
Der Verband der Schweizer Gasindustrie (VSG) sieht weiterhin keinen Versorgungsengpass in der Schweiz. Die Schweiz verfüge über eine geografisch breit diversifizierte Erdgas-Beschaffung. Nur rund 20% des importierten Erdgases stammten aus Fördergebieten in Russland, sagte Daniel Bächtold, Sprecher des VSG, gegenüber der Nachrichtenagentur SDA. Zudem sei in Europa im Moment genügend Gas zu ziemlich günstigen Preisen auf dem Markt. Diese folgten verzögert dem Erdölpreis. Ein drastischer Anstieg des Gaspreises aufgrund des Streits zwischen Kiew und Moskau sei deshalb nicht zu erwarten. Gasversorger in Westeuropa verfügten des Weiteren über grosse Untertagsspeicher, mit denen die Versorgung über Wochen sichergestellt werden könne, sagte Bächtold. (awp/mc/pg/32)

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