Sankar Krishnan, Managing Director Middle East, Alvarez & Marsal, Dubai
von Gérard Al-Fil
Herr Krishnan, einer der Firmengründer und Partner Ihres Unternehmen, Bryan Marsal wickelt seit dem Fall von Lehman Brothers am 14. September 2008 die Investmentbank als deren CEO ab. Nun soll die Bank mit dem neuen Namen LAMCO wieder auferstehen. Was können wir konkret erwarten?
Sankar Krishnan: Oh, ich habe schon vermutet, dass Sie mich als Erstes nach Lehman Brothers fragen würden. Leider aber ich bin bei Alvalraz & Marsal als Managing Director für die Region Mittlerer Osten verantwortlich. So kann ich den Fall Lehman Brothers, den unsere Kollegen in New York betreuen, nicht kommentieren.
Als Turnaround-Spezialist dürften Sie aber auch am Persischen Golf auf gut gefüllten Autragsbüchern sitzen?
Lehman ist unser promintestes Beispiel. Das stimmt. Lehman hat eine globale Krise ausgelöst und so ist bis heute auch in der Golfregion der Bedarf nach einem professionellen Restrukturierungs-Consulting enorm. Die Auftragslage hat aber erst vor Kurzem bei uns angezogen. Bis ins zweite Halbjahr 2009 war es recht still.
Weil sie erst seit Ende 2007 in Dubai ansässig sind und man Alvarez & Marsal aus diesem Grund noch nicht so gut kennt?
Eher, weil die Firmen zögern, externen Rat hinzuzuziehen. Das ist kein mittelöstliches Phänomen. Wohl aber dauern die Entscheidungsprozesse im Orient länger als in Europa und den USA.
Warum zögern viele Unternehmen mit konsequenten Schritten, selbst wenn bereits Feuer unter dem Dach ist?
Zunächst liegt ist in der menschlichen Natur, Umsatzrückgänge als vorübergehend zu bewerten. Man hofft. Ein oft jahrelanger Boom führt zu ausreichenden Reserven. Schreiben die Firmen jedoch über mehrere Quartale rote Zahlen, wird das Management nervös. Es wird aus dem Fenster geschaut und nach den Schuldigen gesucht. Mal ist es der Markt, dann wieder die Banken. Man versteift sich auf externe Effekte – und übersieht dabei die Masse im Unternehmensinnern, die über die Boomjahre angesammelt hat und jetzt einem Turnarond im Wege steht. Mittlere und grosse Unternehmen, aber auch kleinere Firmen sind oft Schatztruhen, in den viel Cash-Flow «gefangen» (locked up) ist. Diese Assets zu erkennen in Zahlungsströme umzuwandeln oder aufzulösen, darauf haben wir uns spezialisiert. Es sind also nicht immer der Markt und die Banken mit ihrer Kreditpolitik schuld.
Wo haben Sie konkret Einbrüche und in welchem Ausmass festgestellt?
Namen können wir nicht nennen, denn unsere Mandatsarbeit ist ein sehr diskretes Geschäft. Börsennotiert sind nur die wenigsten Kunden. Auch sind viele Mandate keine Insolvenzen, sondern Wackelkandidaten… und wer möchte schon, dass Kunden und Mitbewerber erfahren, wenn die Finanzlage prekär ist?
Das klingt sehr nach Advokatur und Kreditgewerbe. Sind die meisten Mitarbeiter bei Alvarez & Marsal Rechtsanwälte und Ökonomen?
Das möchte man vermuten. In Wahrheit sind wir überwiegend Spezialisten, die in der jeweiligen Branche, die wir betreuen, über Jahre, wenn nicht Jahrzehnte gearbeitet haben. Unser Philosophie lautet: echten Rat kann nur erteilen, wer den «Patienten» und sein Umfeld aus dem Effeff kennt.
Welche ist «Ihre» Branche?
Ich bin auf die Retail-Branche fokussiert, weil ich meine Karriere bei Macy?s in New York begann, wo ich 25 Jahre gearbeitet habe. Macy?s Department Store ist eine der grössten Kaufhausketten in den USA, bei der ich zuletzt eine Management-Funktion für Finance and Operations ausübte.
Beraten Sie neben Ihrer Funktion als Managing Director Middle East also auch weiterhin aktiv Mandate im Handel?
Ja.
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Die Staaten des Golf-Kooperationsrates (Saudi-Arabien Kuwait, Bahrain, Katar, Vereinigte Arabische Emirate (VAE) und Oman) wuchsen laut IWF 2009 nur um 0,7 Prozent, nach 6,4% im 2008. Wie hat sich dieser Einbruch auf das hiesige Retail-Geschäft ausgewirkt?
Wir betreuen hier am Persischen Golf eine grosse Supermarktkette, deren Umsatz um 40 Prozent einbrach. In den arabischen Ölstaaten nehmen wir weiters Mandate aus den Bereichen Bau und Immobilien, Informationstechnologie und aus der Finanzbereiche wahr, Branchen, die von der Krise am stärksten betroffen sind. Unsere bedeutsamsten Ländermärkte sind die VAE, Saudiarabien und Kuwait.
Gibt es typisch nahöstliche Ursachen für Unternehmenskrisen?
Bei der Stabsübergabe an die Nachfolge an der Spitze im Unternehmen gerät der Motor oftmals ins Stottern. Die neue Generation ist nicht immer in dem Masse engagiert und fokussiert, wie die Väter und Gründer der Firma. Ausserdem beobachten wir, dass schon mal der Wille zur Diversifikation fehlt. An ein einzelnes Produkt oder an einen Markt festzuhalten stellt sich jedoch gerade in schwachen Konjukturphasen als fatal heraus.
Über welche Kanäle ziehen Sie Aufträge an Land?
In den meisten Fällen kommen Private Equity-Firmen auf uns zu, weil sie eine Fusion oder Akquisition einfälden wollen. Zusammenschlüssen können in Schieflage geratene Unternehmen wieder auf Kurs bringen. Im M&A-Bereich will jedoch keine der beteiligten Parteien «die Katze im Sack» kaufen. Ein detaillierter Plan zur Sanierung ist oftmals notwendige Voraussetzung, damit die Gremien bei beiden Kandidaten zustimmen. Und natürlich, um die Banken und Financiers für neue Kapitalinjektionen und Expansionspläne an Bord zu holen.
Stichwort Kapitalgeber. Sie unterhalten auch eine Niederlassung in Mumbai. Locken Sie Investoren aus Indien an den Golf?
In den Wirtschaftsbeziehungen zwischen Golfstaaten und Indien spielt sich der Investitionsfluss mehrheitlich umgekehrt ab. Arabische Investoren ziehen Indien immer stärker in ihre Anlageüberlegungen ein. Firmen aus dem Subkontinent wollen die Golfregion eher als erweiterten Absatzmarkt für ihre Produkte nutzen. Wir bei Alvarez & Marsal können aber durchaus Turnaround-Firmen und potenzielle Investoren, also Banken, Private Equity-Firmen, Family Offices usw. zusammenbringen.
Warum?
Einerseits ist der indische Binnenmarkt so riesig, dass Financiers aus Indien zunächst zehn Mal in der eigenen Heimat investieren, bevor sie eine Rupie im Ausland anlegen. Andererseits ist das Wachstumspotenzial in puncto Transformation in Indien noch höher als in den vergleichsweise entwickelten Golfstaaten. In Indien arbeiten noch immer 70 Prozent der Einwohner in der Landwirtschaft, auch wenn die IT-Zentren in Mumbai, Chennai und Bangalore natürlich im Mittelpunkt der globalen Medienaufmerksamkeit stehen.
Herr Krishnan, vielen Dank für das Gespräch.
Der Gesprächspartner
Sankar Krishnan stammt aus dem indischen Madras, das 1996 in seinen ursprünglichen Namen Chennai umbenannt wurde, der Hauptstadt des südostindischen Bundesstaates Tamil Naidu. Herr Krishnan wuchs in den USA aufund bagenn seine Karriere bei der Kaufhauskette Macy?s der er für ein Vierteljahrhundert die Treue hielt. Für Alvarez & Marsal baute Sankar Krishnan Ende 2007 die Mittelostniederlassung in Dubai auf, die er als deren Managing Director bis heute führt.
Das Unternehmen
Im Jahr 1983 gründeten Tony Alvarez II und Bryan Marsal das Unternehmen Alvarez & Marsal (A&M). Letzterer ist seit dem Fall der Investmentbank Lehman Brothers auch deren CEO. In dieser Funktion zeichnet er für die Neuausrichtung der Bank verantwortlich, gegen die Forderungen in Höhe von 875 Mrd. Dollar hängig sind und die als LAMCO wiederauferstehen soll, wie Mitte März 2010 bekannt wurde. Dazwischen liegen über 25 Jahre Tätigkeit in der weltweiten Turnaround-Beratung und Sanierung von Firmen. Weitere Tätigkeitsfelder sind Steueroptimierung, Zerschlagung, Konfliktmanagement, Fusionen und Akquisitionen. A&M ist weltweit an 40 Standorten auf vier Kontienenten ansässig. Die Schweiz wird von den europäischen Niederlassungen in München, Paris und London aus abgedeckt.